Wollt Ihr den Totalen Markt? Verteidigt die Kultur vor dem Freihandelsabkommen!

Reinhardt Gutsche

Lange blieben die TTIP-Hinterzimmer-Verhandlungen wischen den USA einerseits und der Europäischen Union andererseits zur Schaffung eines gemeinsamen euro-atlantischen Marktraumes TAFTA von der breiten Öffentlichkeit unbeachtet. Genauer gesagt, sie wurden mit einigem Erfolg vor dieser Öffentlichkeit verborgen. (s. „Kultur-News“ 02/14). Inzwischen aber regt sich in der europäischen Zivilgesellschaft anschwellender Widerspruch bis Widerstand. Langsam scheint es zu dämmern, welches Kuckucksei mit diesem Abkommen den europäischen Verbrauchern, Steuerzahlern und Wahlbürgern da ins Nest gelegt werden soll. Aber Bedenken und Skepsis gibt es inzwischen auch in den USA: Die Debatte ist also keine Debatte Europa gegen USA. Deren Frontverlauf ist nicht mit dem Atlantik identisch. Kritik am TTIP hat demnach nichts mit „Antiamerikanismus“ zu tun, wie notorische Apologeten argwöhnen und mit diesem Verdikt jede Art von Einwänden à priori disqualifiziert sehen wollen.

Besonders heftig kommen kritische Töne bekanntlich aus der Sphäre der Kultur. Das Hauptargument dieser Kritiker ist das spezifisch europäische Verständnis von Kultur und Bildung, wonach es sich hierbei eben nicht um „normale“ Waren wie jede andere handelt, sondern um eine soziale Daseinsvorsorge. Der Präsident der Akademie der Künste Klaus Staeck sieht daher in den Verhandlungszielen, die Kulturgüter und -dienstleistungen wie Autos, Masthähnchen und Genmais der ungeschützten Konkurrenz auszusetzen, eine Kampfansage. Er sieht nichts weniger als die Eigenheiten des europäischen Kulturlebens in Gefahr. So würden plötzlich Filme, Bücher, Theaterproduktionen oder Opernfestspiele allein dem freien Spiel ökonomischer Kräfte ausgesetzt. Ein Handelsabkommen, das sich wesentlich US-amerikanischen Standards unterwürfe, wäre das Ende von staatlichen Kulturförderungen, Preisbindungen und auch das Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dies alles sind durch lange, mitunter kämpferische demokratische Prozesse legitimierte und gewachsene Errungenschaften des 20. Jahrhunderts im sozialdemokratisch geprägten europäischen Kulturraum. All dies existiert in den USA nicht. Das Kulturleben ist dortzulande der wohlwollenden Sponsorengnade oder den Launen des Marktes ausgeliefert.

Für Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, ist klar: Franz Kafka mit seinen zu Lebzeiten marginalen Auflagen hätte unter dem Diktat von Quote und Gewinnmargen auf einem total liberalisierten Buchmarkt nie eine Chance gehabt. Die Kultur, so hatte der EU-Chefunterhändler Karel de Gucht auf einer Anhörung im Berliner Wirtschaftsministerium im Herbst zwar treuherzig versichert, spiele in den Verhandlungen „keine Rolle“, dort werde nichts verändert. Alexander Skipis und viele andere sind aber „weiterhin sehr, sehr skeptisch, weil diese Anhörung selbst in einer sehr, sehr freundlichen, aber geradezu erschütternden Unverbindlichkeit und Allgemeinplätzen abgehalten worden ist – sowohl von dem amerikanischen Chef-Unterhändler Michel Froman, wie eben auch von Karel de Gucht“ (DRadio, 19.05.2014). Diese Skepsis ist aller Erfahrung nach nur allzu berechtigt, gehört es doch zu den erprobten Tricks gewiefter US-amerikanischer Unterhändler, mit semantisch-definitorischen Mätzchen in die juristischen (englischen) Texte gleichsam versteckte „Cookies“ einzuschmuggeln, die ihnen post festum verborgene, für sie vorteilhafte Auslegungsspielräume eröffnen.

Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates Olaf Zimmermann macht an einem anderen hypothetischen Beispiel deutlich, woher der Wind weht: „Unsere öffentlichen Museen, Theater, kulturellen Zentren oder was auch immer, die wir ja quasi aus dem Markt herausgenommen haben und öffentlich finanzieren, sind natürlich für einen kommerziellen Anbieter ein Handelshemmnis.“ Jeder private „Theaterunternehmer“, der sich in einer deutschen Stadt mit öffentlich finanziertem Stadttheater mit einer Privatbühne ansiedeln will, könne dann in der Subventionierung des Stadttheaters durch die Öffentliche Hand einen „wettbewerbsverzerrenden“, erheblichen Konkurrenzdruck verspüren und entweder dessen Verschwinden oder die äquivalente Subventionierung einfordern. Die Philosophie dieses geplanten Freihandelsabkommens würde ihn dazu berechtigen, andernfalls vor einem privaten Schiedsgericht gegen die betreffende Stadt zu klagen und „Schadensersatz“ für „entgangene Gewinne“ aus seinem Projekt einzufordern. Man braucht nicht viel Phantasie zu der Vorstellung, dass sich hier im Handumdrehen ein regelrechtes Geschäftsmodell entwickeln würde, um die öffentlichen Haushalte in Europa zu schröpfen. Denn was für das Stadttheater gilt, gälte dann auch für Bibliotheken, Schulen usw., ebenso wie für Kindergärten, Sportvereine u. ä.Ein anderer wichtiger Bereich ist das persönlichkeitsbezogene Urheberrecht und das vergütungsbezogene Urhebervertragsrecht, wofür sich Gerhard Pfennig zufolge keine Entsprechung im US-amerikanischen Rechtsraum finde. (Dort ist z.B. nicht der Regisseur, sondern der Produzent der Inhaber der Filmrechte.) Der Urheberrechtsexperte ist der Sprecher der „Initiative Urheberrecht“ und Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der „Deutschen Verwertungsgesellschaft für Bildende Kunst“. Ihm schwant nichts Gutes: „Wir sind beunruhigt, weil wir einfach nicht wissen, was da gespielt wird.“ Auch Siegmund Ehrmann, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien (SPD), sieht die kulturelle Vielfalt und die kulturelle Infrastruktur in Europa durch TTIP gefährdet. Allerdings vertraut er auf den „Haltepunkt“ des Verhandlungsmandats, das die audiovisuellen kulturellen Dienstleistungen ausklammert und an das die EU-Kommission gebunden ist. Es verweist explizit auf die völkerrechtlich verbindliche UNESCO-Konvention zur Kulturellen Vielfalt, auf die im Mandat Bezug genommen wird, die sowohl die meisten EU-Staaten, als auch die EU als Ganzes ratifiziert haben, nicht allerdings die USA. „Aber das ist eine Verhandlungsposition, die für uns sehr wichtig ist.“ Eine etwas kleinmütige Formel „... für uns sehr wichtig“ ist aber nicht dasselbe wie: „Davon werden wir keinen Deut abrücken...“. Aber gerade darum geht es in dieser Debatte.

Die Akademie der Künste hatte Mitte Mai zu einem Akademiegespräch unter dem Titel „Verteidigt die Kultur! Das Freihandelsabkommen“ eingeladen. Unter den Teilnehmern war die Vize-Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission Verena Metze-Mangold, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates Olaf Zimmermann, der zitierte Urheberrechts-Anwalt Gerhard Pfennig und als einziger Ausländer bezeichnenderweise der französische Botschafter Maurice Gourdault-Montagne als Vertreter desjenigen europäischen Landes, das sich besonders vehement für die Verteidigung der kulturellen Vielfalt in Europa und die „kulturelle Ausnahme“ in den TTIP-Verhandlungen und gegen die befürchtete kulturelle Uniformierung einsetzt.

In ihrem Grußwort bekannte die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters, sie fühle sich „angesichts der drohenden Invasion von Legionen amerikanischer Chlorhähnchen und anderer Unannehmlichkeiten“ wie dereinst „die Gallier angesichts der Römischen Eindringlinge“. Sie blickte dabei den Botschafter des Landes direkt an und pries die Asterix-Geschichten als „ein Geschenk Frankreichs an ganz Europa“. Es gehe um nicht weniger als „ums große Ganze, um unsere Identität als Kulturnation. Als solche wird Deutschland in der ganzen Welt wahrgenommen.“ Diese Identität mit ihrer Vielfalt des Angebots und der Meinungen sei „nur möglich, weil wir die im Grundgesetz verbriefte Freiheit der Kultur schützen und sie auskömmlich finanzieren, sie so unabhängig machen vom Zeitgeist, von privaten Geldgebern – und auch von einem allzu freien Spiel der Marktkräfte“. Dies heißt im Subtext: Der mit dem TTIP drohende gesellschaftliche Paradigmenwechsel hin zu einem Totalen Markt bedroht auch die Freiheit der Kultur und die kulturelle Infrastruktur Deutschlands, immerhin des Landes mit der höchsten Theaterdichte der Welt, in welchem „pro Jahr ... zehnmal mehr Besucher in den Museen gezählt (werden) als alle Bundesligaspiele zusammen haben.“ In Deutschland gebe es jährlich eine Neuveröffentlichung auf tausend Einwohner, jedes zweite Profiorchester spiele auf deutschem Boden, und in keinem anderen Land gebe es mehr Kulturfestivals als hier in Deutschland. Sie bekannte sich ausdrücklich zu einer „auskömmlichen Kulturfinanzierung, damit die Künste kritisch, sperrig, heterogen und nicht nur affirmativ auftreten können... Öffentliche Kultur- und Medienförderung ist unsere Stärke, in den USA jedoch kaum vorhanden. Wir haben es da mit zwei diametral entgegengesetzten Gesellschaftsmodellen zu tun. Ich denke, wir Europäer haben hier viel zu verlieren und wenig zu gewinnen.“

Wenn aber die Kultur als die entscheidende, identitätsprägende differentia specifica Europas vor dem markttotalitären TAFTA-Projekt geschützt werden muss, impliziert dies im Umkehrschluss nichts anderes als die Hypothese, totale Marktwirtschaft und Kultur seien diametral gegenüberstehende inkompatible Werte. Drastischer kann das Urteil über TTIP/TAFTA nicht ausfallen. Akademiepräsident Staeck ist daher auch unmissverständlich: „Wenn die Politik wirklich – ich sage mal das harte Wort – uns verkauft, unsere Demokratie infrage stellt, also praktisch sich selber auch infrage stellt, dann ist für mich der Fall erreicht, wo man auch nicht mehr als treuer Staatsbürger alles hinnimmt, was da irgendwo beschlossen wird. Das ist für mich eine ganz, auch wirklich politische, persönliche und ganz existenzielle Frage.“ Diese Entschlossenheit, wie sie u.a. AdK und Kulturrat dankenswerterweise an den Tag legen, verdient die Unterstützung all jener, denen die Vielfalt einer kritischen und freien Kultur in diesem Lande am Herzen liegt. Der Kulturring in Berlin gehört unbedingt dazu.

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