Vidusign –

Felix Hawran

erster Videoworkshop mit Gehörlosen in Wien oder Eine Einführung in die Welt der Gehörlosigkeit

Das internationale Treffen zum Start des neuen EU-Bildungsprojektes vidusign des Kulturrings begann mit leiser Verwunderung. Hatten wir uns doch im Voraus monatelang eingelesen, recherchiert, mit Experten aus verschiedenen Ländern gesprochen – um uns dann von wie selbstverständlich über die Lippen kommenden Sätzen zunächst aus dem Konzept bringen zu lassen. Offensichtlich gibt es in Deutschland, Europa und auch darüber hinaus zwei entgegengesetzte Ansätze, mit Gehörlosigkeit umzugehen: Zum einen die Förderung einer eigenständigen Gehörlosenkultur und -Identität, die sich vor allem über die Gebärdensprache definiert. Fast jedes Land hat eine eigenständige Gebärdensprache und auch von Region zu Region gibt es teilweise große Unterschiede. Die Kommunikation mit Hörenden erfolgt im Idealfall über hochqualifizierte Gebärdensprachdolmetscher, die nicht nur simultan von Sprache in Gebärden und umgekehrt übersetzen, sondern auch von einer Gebärdensprache in eine andere. Besonders in den skandinavischen Ländern wird eine ausgeprägte Gehörlosenkultur gefördert. In Deutschland haben Gehörlose seit 2002 Recht auf einen Dolmetscher, etwa bei Behörden oder beim Arztbesuch.

Auf der anderen Seite gibt es den Ansatz des Oralismus, bei dem gehörlose Kinder mit Sprachtherapeuten zum Sprechen und Lippenlesen ausgebildet werden. Zusätzlich kommen immer mehr sogenannte Cochleaimplantate zum Einsatz, Hörprothesen, die vor allem bei gehörlosen Kindern mit noch funktionierendem Hörnerv eingepflanzt werden und nach einiger Übung das Hören ermöglichen können. Ziel ist es, die Kinder von klein auf wie Hörende zu erziehen und vollständig in die Gesellschaft einzubinden. Diese Methode ist in weiten Teilen Europas die am stärksten praktizierte, was daran liegen mag, dass gehörlose Kinder zu 90% hörende Eltern haben und diese Oralismus als naheliegendsten Weg wählen.Besonders im Bildungssystem werden die Konflikte zwischen den beiden Lagern deutlich: Häufig wurde an Schulen Gebärdensprache verboten, um das Erlernen der Lautsprache nicht zu gefährden. Somit verfügen viele Gehörlose nur über geringe Kenntnisse einer Gebärdensprache, fühlen sich aber gleichzeitig nicht wirklich in der hörenden Welt zu Hause. Immer mehr Experten fordern daher eine bilinguale Erziehung, die den Kindern später (trotz Implantaten) die Entscheidung überlässt, ob sie sich stärker mit der Gehörlosenkultur oder dem Oralismus identifizieren.

Das Projekt vidusign zielt darauf, die Gegensätze mit der Idee zu überbrücken, dass alle Menschen auch über eine visuelle Sprache kommunizieren können, mit Fotos und Videos, die auch ohne Ton und Text ihre volle Wirkung entfalten. Der erste Videoworkshop am 15. Januar in Wien mit sieben gehörlosen Trainern und zehn hörenden Projektmitgliedern aus ganz Europa hat dies eindrucksvoll bewiesen. Die Teilnehmer haben in gemischten Kleingruppen wunderbar kreative Stop-Motion-Videos produziert und sich dabei sehr intensiv über Ideen ausgetauscht.

Zudem hat das Projekt eine politische Dimension, da unter der Zielgruppe der gehörlosen Jugendlichen in Europa eine besonders hohe Arbeitslosigkeit herrscht. Inklusion auf dem Arbeitsmarkt kommt nach wie vor nur schleppend voran, obwohl es sowohl europaweit als auch national zahlreiche Initiativen gibt, wie etwa den Aktionsplan „einfach machen“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Vidusign möchte das Selbstvertrauen und die Kompetenzen von gehörlosen Jugendlichen stärken, um sich für visuelle Berufe etwa in der Filmindustrie oder im Bereich Grafikdesign zu bewerben. Es bleibt zu hoffen, dass sich Arbeitgeber gegenüber Bewerbern mit besonderen Bedürfnissen öffnen werden und Inklusion nicht als Mehraufwand, sondern als Mehrwert verstehen lernen.

Hier gibt es die Videos und Fotos des Workshops sowie Neuigkeiten zu vidusign zu sehen:

www.facebook.com/Vidusign

www.mediaeducation.net

Archiv