Richter gnadenlos

Ingo Knechtel

„Zerstörte Vielfalt – zerstörte Leben“, möchte man das Motto des Themenjahrs zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 ergänzen. Mit der Verschärfung des Strafrechts sorgten die damaligen Machthaber schnell dafür, dass alle in ihren Augen undeutschen Lebensweisen eliminiert wurden. Dazu zählten auch gleichgeschlechtliche Beziehungen, die nach § 175 StGB als „widernatürliche Unzucht“ bezeichnet wurden. Nach langen Jahren der Auseinandersetzung und des gesellschaftlichen Disputs sind sie heute in der modernen (sprich aufgeklärten) Welt weitgehend akzeptiert, wurden jedoch unter dem Nazi-Regime unter verschärfte Strafe gestellt, durch die auch viele Betroffene in Konzentrationslagern interniert wurden und dort ihr Leben lassen mussten.

In jahrelangen Forschungen hat sich der Kulturring in Berlin e.V. seit den 1990er Jahren mit diesem Thema befasst, verschiedene Publikationen herausgebracht und Ausstellungen gestaltet. So ist es nur folgerichtig, dass er auch in diesem Jahr an weitere Schicksale der Schwulenverfolgung erinnert. Dazu wird gegenwärtig die bestehende Ausstellung erweitert; sie soll dann im Sommer im Rathaus Charlottenburg in der Otto-Suhr-Allee gezeigt werden.

Auch ein neuer Aspekt treibt die Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft „Rosa Winkel“ und der zeitweiligen Projektgruppen um. Bei den bisherigen Forschungen in den Archiven wurden unzählige Seiten aus Strafakten gelesen. Erschütternde Schicksale der Opfer der damaligen Willkürjustiz verfolgten viele bis in ihren Schlaf. Aber ebenso tauchten immer wieder die Namen der Täter auf, der Kripo- und Gestapo-Schergen, der Richter, die für das (Über-)Leben der schuldlos in ihre Fänge geratenen Menschen so entscheidend waren, die im Namen des Volkes „Recht sprachen“. Einer dieser Vertreter des Unrechts, Richter am Kriminalgericht Berlin-Moabit, war Friedrich Sponer. Was war das für ein Mensch? Wie wurde er zum Richter gnadenlos, oder wie er auch nach 1945 bezeichnet wurde, zum „Blutrichter“? Näheres über das Leben dieses Menschen zu erfahren, wird wohl nahezu unmöglich sein, fehlen uns doch die Schilderungen von Zeitzeugen aus seinem persönlichen Umfeld, auch aus seinem Freundeskreis. Annähern können wir uns an den Menschen Sponer nur anhand biografischer Angaben und anhand seiner Taten.

Friedrich Sponer wurde am 24.1.1884 in Loslau (Oberschlesien, heute Polen) als Sohn eines Baumeisters geboren. Er studierte Jura in Kiel und Berlin, legte 1914 in Berlin die zweite Staatsprüfung ab. Nach seinem Kriegsdienst mit Fronteinsatz wohnte er ab1919 in Berlin-Charlottenburg, ab 1927 in der Küstriner Straße 12. Er war verheiratet, hatte mit seiner Frau drei Kinder. Ab 1920 begann seine Karriere als Richter beim Landgericht II Berlin, 1921 wurde er dann Amtsgerichtsrat in Berlin-Mitte, danach gab es keine Beförderungen mehr. Ab dem 3.4.1933 wurde er zum Vorsitzenden des Schöffengerichts 603, das vornehmlich über Unzuchtsdelikte zu befinden hatte. Und – folgerichtig – wurde er am 1.5.1933 Mitglied der NSDAP.

Als Richter hat Friedrich Sponer in den ersten Jahren der Nazi-Diktatur die praktische Durchsetzung der Strafverschärfung gegen Homosexuelle 1935 an Berliner Gerichten wesentlich mitgeprägt. Von 1935 bis 1939 führte er bei einem Drittel aller Berliner Verfahren gegen Homosexuelle als Einzelrichter den Vorsitz. Bisher sind 921 Urteile bekannt. Darunter kamen 184 Verurteilte allein aus Charlottenburg-Wilmersdorf. Er war berüchtigt für den kurzen, unerbittlichen Prozess. Die Urteile waren oft anderthalb Jahre Gefängnis nach 15 Minuten Verhandlungsdauer. Bei Berufungsverfahren kam es häufig zu Strafmilderungen durch das Landgericht Berlin.In dieser Zeit kreuzten sich die Wege Sponers mit dem Damenfriseur Rudolf Knoll, genannt „Ruth“ und dem Schauspieler Lothar Warsitz, mit Künstlernamen Lothar Devaal. Für beide brachte diese Begegnung mit Sponer – wie für so viele andere – eine abrupte Änderung ihres Lebens.

Der 1907 in Reichenback geborene Knoll wohnte 1938 mit seinem Freund in der Landsberger Str. 89. In seiner Wohnung wird er am 9.3.38 festgenommen. Nach langen Verhören gesteht er schließlich, sich in der Leipziger Straße und im Tiergarten Partner gesucht zu haben, den letzten vor der Festnahme im „Moka Efti“ in der Leipziger Straße. Am 11. April wurde Anklage erhoben wegen „widernatürlicher Unzucht“, am 25. Mai verurteilte Richter Sponer den Angeklagten zu einem Jahr 6 Monaten Gefängnis. Vom Strafgefängnis Tegel gelangte Knoll dann nach Zweibrücken und schließlich ins berüchtigte Moorlager Rodgau im Emsland.

Der 1906 in Langenbielau (Schlesien) geborene Lothar Warsitz, entschied sich nach einem abgebrochenen naturwissenschaftlichen Studium, Schauspieler zu werden. Schon 1933 wurde Warsitz Parteigenosse der NSDAP, konnte dann als Schauspieler von 1937 bis 1939 bei der Berliner Tobis Film AG arbeiten. Am 25.3.1939 lernt Lothar Warsitz den SS-Rottenführer Hillemeyer kennen, der sich zum Schein mit ihm einlässt und ihn dann anzeigt. Nach Gestapo-Verhören und Prozess wurde Warsitz am 12.8.1939 vom Amtsgerichtsrat Sponer als Homosexueller zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Er war gerade 33 Jahre alt und ohne eine Chance auf einen weiteren künstlerischen Erfolg.

Richter Sponer indes war erfolgreich im Sinne seiner Dienstherren. Mit Beginn des 2. Weltkriegs leistete er Militärdienst als Heeresrichter (Oberkriegsgerichtsrat), ab September 1944 in der Dienststellung Oberfeldrichter. Noch vor Kriegsende wurde er aus dem Militärdienst aus gesundheitlichen Gründen entlassen.

Mit seinen Urteilen war Sponer ein willfähriges Werkzeug der damals Herrschenden, er war – das kann man an seinem Diensteifer sehen – ein überzeugter Täter. Er zerstörte mit seinen Urteilen unzählige Menschenleben. Nach dem Krieg arbeitete Sponer bis 1949 als Hilfsmonteur im Industriebüro Dr. Fritz Schafferdt in Charlottenburg. Am 16.9.1949 erfolgte seine „Entnazifizierung“. Damit war er voll pensionsberechtigt. Im Entnazifizierungsverfahren sagte Sponer: „In meinem großen Bekanntenkreis, bei täglichen Zusammenkünften in Moabit mit Kollegen und bei sonstiger Gelegenheit habe ich für Aufklärung über dieses System gesorgt, das uns keinen Segen bringen konnte, da es auf homosexuellen Bindungen und auf Lüge teilweise aufgebaut war.“

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