„frei im AUFTRAG“

Petra Hornung

Die DDR-Fotojournalisten Eberhard Klöppel und Peter Leske

Wenn im Kontext von „Kunst in der DDR“ der Terminus Auftrag fällt, führt das gewöhnlich zu Assoziationen bestimmter Befindlichkeiten zur „Auftragskunst“ oder zur Hinterfragung des sogenannten „gesellschaftlichen Auftrages“ als einem wesentlichen Bestandteil der Kunstpolitik der DDR: Dies in Relation zum so bemessenen Raum, den individuellen künstlerischen Intentionen gegenüber und der Gestaltungsfreiheit an sich in solchem Rahmen.

Um diese Phänomene zu werten und sozusagen aus historisch kritischer Sicht greifbar werden zu lassen, wird gern der Weg einer kategorischen Gegenüberstellung gewählt. Das hat den Vorteil einer gut nachvollziehbaren, weit unkomplizierten Einordnung und den Nachteil einer undifferenzierten Pauschalisierung. Das trifft in der Tendenz auf alle Genres der Bildenden Kunst zu. Und die Gepflogenheiten der Analyse, die sich erfreulicherweise endlich und trotzdem auch auf das weite und hochinteressante Feld der künstlerischen Fotografie der DDR richten, könnten in die durchaus hoffähige Gefahr geraten, ebendiese naheliegenden Muster zu nutzen. Auf der einen Seite also die verordneten Kunstdoktrin, die von getreuen Staatskünstlern beflissen, doch in Ermangelung eigener Position, im halbgewalkten, propagandistischen Gewande und in minderer Qualität, in den entsprechenden Auftragswerken ihren jämmerlichen und dennoch wohlhonorierten Niederschlag fanden. Demgegenüber die Freien Künstler, die mit ihren ästhetisch wertvollen Werken die eigentliche Kunstgeschichte geschrieben haben. Hier – Wirklichkeitszwang in aller unterster Vergegenständlichung und volkstümelnder Manier; da – eine experimentierfreudige, feingeistige Reflexion; die sensible und harte Umkreisung der Wahrheit. Um es gleich vorwegzunehmen, das Werk der beiden Fotografen Klöppel und Leske wird nicht geeignet sein, die Unterschiede zwischen dem „Offiziellen Blick“ (unter dem sie sich antizipatorisch beheimatet gefühlt haben sollen) und der freien künstlerischen Fotografie sichtbar zu machen. Abgesehen davon, der Vater des Gedankens, den „gesellschaftlichen Auftrag“ in der DDR betreffend, war tatsächlich die „Indienstnahme“ der Künstler, eine Funktionalisierungsabsicht mittels Kunst, der letztlich eine gesellschaftsstabilisierende Rolle zugewiesen wurde, die gleichsam an soziale und moralische Festlegungen gebunden sein sollte. Das „wichtige Gute“ sollte schließlich ein schönes Bild ergeben. Nur war eben dieses bis zum Ende geltende Postulat über die Jahre löchrig geworden. Innen- und außenpolitische Zäsuren, Brüche, Verwerfungen … forderten ihren Tribut nach Veränderung. Zum einen ums internationale Prestige besorgt, zum anderen dem Druck zunehmend mitbestimmender Institutionen, Fachleute, Künstler, allen voran des Berufsverbands VBK, dem endlich auch die Fotografen angehörten, nachgebend, konnte seit den frühen 1980er Jahren – zähneknirschend zwar, doch duldend – Saulus zum Paulus mutieren, indem sich das staatliche Auftragswesen der DDR unter der Hand, aber stringent zu einem ebenso anspruchsvollen wie verlässlichen Fördersystem für Künstler entwickelte. Inhaltlich führte die so deklarierte und wegweisende These von „Weite und Vielfalt“ zu Rahmenbedingungen, die Themenstellung und -gestaltung von nun an und zudem beliebig ausdeuten ließen. Im Grunde waren das paradiesische Zeiten für den Großteil der Künstlerinnen und Künstler aller Genres.

Die Resonanz der geliehenen Freiheit zeitigte ausgesprochen unterschiedliche, hochgeladene Facetten, die auf jeden Fall zu einer Blüte der Fotografie der DDR geriet, die in Qualität, Brisanz und Wirkung einmalig war. Ein guter Teil gerade auch der damals jungen, hochmotivierten Fotografengeneration faszinierte mit ihren artifiziellen und kritischen Werken, die ihre Gegenstände in Distanz und im lustvollen oder betroffenen Aufspüren der bröckelnden Fassade des Sozialismus sahen. Ihre Themen – Tod, Einsamkeit, Außenseiter, Gegenwehr – formulierten sich zunehmend auf einer experimentellen, freien Ebene, die zuvorderst ästhetischen Gesetzen folgte, die ihre eigene Semantik hatten. Dies war eine ästhetische Kultur der Verweigerung, des Protestes, des Rückzuges. Die staatlich gebende Hand wurde in keinster Weise etwa aus Dankbarkeit gestreichelt. Sie nahmen nicht nur den kleinen Finger, nicht nur die ganze Hand. Sie wollten den Arm abhacken, um sich hernach das Herz vorzunehmen.

„frei im AUFTRAG“; frei kleingeschrieben, AUFTRAG in großen Lettern – so die selbstgewählte Überschrift der beiden Fotografen Eberhard Klöppel und Peter Leske, die in ebendieser hintergründig lesbaren Andeutung als Verweis auf ihre Werke gelten kann. Susan Sonntag teilte in ihren großartigen Essays die Fotografen in zwei Typen ein: in Wissenschaftler und in Moralisten. Für Leske und Klöppel taugen diese Kategorien eher als zarte Überschneidungspunkte innerhalb völlig anders gerichteter Intentionen. Es geht den beiden Künstlern vielmehr um jene Zwischenreiche der Einfühlung, um eine emphatische Bestandsaufnahme der Welt, die weder dazu geeignet ist, eine wissenschaftliche Analyse quasi als fotografisches Resultat vorzuweisen, noch ethisch-sittliche Grundsätze einer Menschengesellschaft zu registrieren oder zu werten. Stattdessen treten die Künstler eher zurück und überlassen es den prosaischen Bildobjekten, von ihren Befindlichkeiten, Verhältnissen, Situationen zu erzählen. Wie durch Zauberhand scheint alles vertraut und doch irritierend anders. Genauer vielleicht. Schwarz, Weiß, Grautöne, Struktur, Strenge, Ruhe und Bewegung, Mittelpunkte, Anschnitte, Ränder, Licht und Schatten. Diese Stille hat oft eine geradezu beunruhigende Dimension. Sie resultiert nicht aus im Verlauf unserer bewegten Welt angehaltener Zeit; ist eher präzise abgewogen: Nach eingehender Betrachtung wird gerade scheinbar Beiläufiges ins Bild gesetzt. Der freudige Schreck beim Entdecken, immer wieder aufs Neue. Traumhafte Kompositionen, in der die Zeit ebenso flüchtig leicht wie für die Gültigkeit einer Ewigkeit eingeschrieben zu sein scheint. Zeit; verkürzt, verwandelt und doch dokumentiert. Dabei richtet sich die Konzentration weniger auf die konkret festzumachende Botschaft als auf die Formulierung des Nichtsagbaren. Jene Empfindsamkeit scheint auf, die letztlich ein Bild der Anmutung zeichnet. Die Arbeit der beiden Fotografen besteht darin, das innere Erleben, das sich dann in Fluss setzt, wenn es ihren Nerv trifft und alles in sich aufzunehmen bereit ist, zu Tage zu fördern. Nur das Oberflächliche wird ausgespart; zu sorgfältig die Vorbereitung, zu feingeistig das Anliegen, zu groß die Lust, hinter die Dinge zu sehen, zu ernst deren Auffassung von Kunst. Kein Effekt, kein Voyeurismus, nichts Spektakuläres, was sie hochhalten ist der Respekt vor den Dingen, die Neugier auf Menschen, deren Würde ihnen am Herzen liegt in ihren Welten, das Nebeneinander von Glück und Beklemmung, Vergänglichem und möglichem Erhalt. Anteil nehmen, nicht einmischen.Das Werk von Peter Leske und Eberhard Klöppel weist eine große mentale Nähe zueinander auf, weil beide die Dinge ähnlich sehen. Der riesige Fundus, aus dem sie ihre künstlerischen Register ziehen, ist von gleichem Urgrund. Nur je nach Gewichtung ihrer Gestaltungsintentionen eigener Themenstellungen können diese differieren. Wenn in den Arbeiten von Peter Leske dem Pathos zugesetzt werden soll: „Meine Hand für mein Produkt“, und die Parole geradezu absurd sprichwörtlich den Verlust des Schwur- oder Zeigefingers ins Licht setzt – so gesehen nicht bei der fleißigen Arbeit, sondern überdimensional bei einem „weiß der Teufel“ aus welchem Anlass geführten Zwei-Händespiel, dann wird die scharfe Ironie sofort und eindeutig lesbar, ohne dass die Indizien sich dafür nachweisen ließen. Marx auf dem Kopf – verkehrt herum auf einem Plakat ausgerollt… Ein vorgeblicher Schnappschuss; zum Schreien komisch, in Zeiten, in denen man damit nicht spaßt, und doch veröffentlicht – sozusagen aus Versehen. Das trickreiche Spiel, beherrscht als kleiner Triumph, der der Seele befreiend gut tat.

Eberhard Klöppel kriegt jede Monumentalität klein, wenn er die formalen Über- und Unterspannungen der Komposition im Bild regieren lässt. Bildbeherrschend das Thälmanndenkmal, davor – wie Ameisen – die Personen, von hinten in kleinster Dreieinigkeit in Demutsgeste gebeugt und deshalb noch einmal kleiner. Die Kumpel im Schacht, der Aufzug etwas aus der Mitte gerückt, lässt uns im Unklaren darüber, ob derselbe sich nach oben oder nach unten bewegt. Die Wahrnehmung spielt uns den Streich, dass sich ein Hoch und Runter beständig – wie im Comic – abspielt. Die Fracht – zwei im engsten Raum gedrängte, ernsthaft und niedergeschlagenen Auges blickende Mannspersonen mit Helm, die offenbar ihrer, dieser lebenslangen Mission ausgesetzt sind.

Solche Fotografien lassen sich weder vereinnahmen noch sind sie tauglich für vordergründige Propagandazwecke. Die unzähligen Bilder aus Arbeits- und Lebenswelten untergraben den offiziellen DDR-Blick sicher nicht – aber sie sind zu eigensinnig sensibel, zu genau, um sie allen Ernstes banal umfunktionieren zu können. Mit der Kamera dokumentieren Klöppel und Leske vielleicht das, was man unter den „Mühen der Ebene“ verstand, eingeschlossen dieses zähe Bewusstsein der Menschen, sich unfreiwillig und lebenslang mit einer so empfundenen Provinzialität abzufinden. Die Sehnsucht ins Gesicht geschrieben, und doch ein kleines Glück genießen können; Feiern, Fasching, Liebe, Freunde, Späße… fernab der großen, weiten, schönen Welt und unerreichbar. Es ist nicht das ganz große Unglück, die absolute Depression und Ausweglosigkeit, die als Spuren auf den fotografierten Gesichtern zu erkennen sind. Zur Not konnte man ja einen Ausreiseantrag stellen. Die Position einer Radikalisierung, das Bedürfnis nach Destabilisierung, Destruktion, nach Reflexion auf eine zutiefst unbefriedigende Zeit in einem Land der Auflösung ist beiden Künstlern fremd und weicht dem vorbildlichen Gefühl leiser Melancholie. Die Mittel von Ironie und Hintergründigem mit teilweise surrealen Tendenzen scheinen für diese Geisteshaltung auch adäquater zu sein.

Im Grunde ist es eben diese Zurücknahme, die das Bild, das man sich im wirklichen Leben vorschnell macht, auf subtile Weise durcheinander bringt. Und das ist ein Kunststück.

Pressefotografie, zumindest die, die in der Wochenzeitschrift „Neue Berliner Illustrierte“ (NBI) mit Anspruch veröffentlicht wurde, bei der beide Bildjournalisten bis zur Wende angestellt waren, ist natürlich immer an eine medienimmanente Sprache gebunden. Was Klöppel und Leske zu dieser Zeit mit ihrem Können und mit ihrem Engagement tun, und in welcher Weise sie das tun, geschieht in eigenem Auftrag. Umso erfreulicher war für sie, dass sie das Privileg hatten, dasselbe gut bezahlt zu bekommen, gut ausgestattet mit der uneingeschränkten Möglichkeit, auch jenseits der Grenzen zu reisen und zu Hause davon zu berichten. Und nicht zuletzt hatten sie die Zeit, die sie brauchten, um ihre großen Themen und Projekte in exzellenter Qualität auszuführen. „Wir waren die Fettaugen auf der Wassersuppe der DDR.“ – Einer von Beiden hat das in einem Interview gesagt. Entstanden sind meisterliche Bilder mit atemberaubender Wirkung, die berühren, erstaunen, nachdenklich machen und einen hohen ästhetischen Genuss bereiten. Pressefotografie vom Feinsten, die mit ihren autarken Werken zum einen zur Kunstgeschichte der DDR gehört und zum anderen einen dokumentarisch lauteren Blick in die gesellschaftliche Psyche eines untergegangenen Landes gestattet.

Es gibt also keinen Grund für rückblickende Klischees, noch dazu angesichts der Situation der Künstler und der Kunst in heutiger Zeit. Schlussendlich könnte der Eindruck vermieden werden, dass die unschädliche Lust, auf einem eh´ toten Hasen herum zu trampeln, größer ist als den neuen aufs Korn zu nehmen. Du kannst Leiharbeiter beschäftigen. Das ist rechtens. Sie in ihrer Lebenswelt zu fotografieren, könnte die Würde des Menschen beschädigen. Wenn Du einen Sponsor findest, der sein Geld zum Beispiel mit Leiharbeitern gemacht hat, kannst Du Dir als Fotograf einen guten Anwalt nehmen. Angst vor der Kunst hat heute kein Geldgeber, kein Auftraggeber. Und das Blut im Schuh guckt sich weg.

Archiv