„Jung, dynamisch, kreativ“ –

Reinhardt Gutsche

dies sind im allgemeinen soft skills, die den „Yuppies“ angeheftet werden und bei denen man unwillkürlich an jene smarten IT-Jungunternehmer denkt, die lässig im gerade angesagten Café in Prenzlauer Berg bei Latte macciato mit ihrem neuesten MacBook am Design der nächsten Marketing-Kampagne basteln. Aber man muss nicht aus Schwaben nach Berlin gekommen und Stammkunde bei der Bio-Company sein, um dieser erlauchten Spezies von Neu-Berlinern anzugehören. Man kann auch aus Kasachstan stammen, deutsch-russische Wurzeln haben, in Marzahn wohnen und seine kreativen Fähigkeiten Kindern und multikulturellen Begegnungen widmen.

Im Hellersdorfer Kulturforum, seit einigen Jahren unter der Regie des Kulturrings betrieben, treffen wir Natalija Sudnikovic. Vor uns sitzt eine temperamentvolle, vor Ideen sprudelnde, mit ihrer kurzen Pony-Frisur fast noch mädchenhaft wirkende Frau mit lebhaften Augen, der man ihre vier Töchter (von 4 bis 20) wahrlich nicht ansieht. Seit mehr als zehn Jahren gehört sie zu denjenigen, die mit viel Phantasie, Engagement und Leidenschaft für ein vielfältiges und abwechslungsreiches Angebot an kulturellen Veranstaltungen und Begegnungen in einer Wohngegend sorgen, in der viele „Spätaussiedler“ wohnen, also russophone Emigranten zumeist mit deutsch-ethnischen Wurzeln.

Zu den beliebten Veranstaltungsreihen, die unter ihrer Ägide seither stattfinden, gehören das Jolka-Fest, mit dem in Russland und angrenzenden Ländern traditionell der Jahreswechsel begangen wird, die Konzertreihe „Russische Romanzen“, in denen sich russische Künstler einem zumeist deutschen Stammpublikum in einer mit der Zeit recht familiären Atmosphäre vorstellen, die monatliche „Russendisko“ für Erwachsene (mit immer mehr deutschem Publikum) sowie die allsonntägliche Märchen-Kinderdisko, die jeweils einem anderen Märchen gewidmet ist (z.B. „Aschenputtel-Ball“). Ein Knüller und Publikumsrenner ist die „Masleniza“, das alljährliche Butterfest, das russischen Pendant zum deutschen Karneval vor der Fastenzeit.

Ihr wohl wichtigstes „Baby“ ist für Natalija Sudnikovic das Berliner Tschechow-Theater (BTT), eines der ältesten deutsch-russischen Theaterprojekte in Berlin. Gegenwärtig bereitet sie mit dem Ensemble ein Stück mit Loriot-Texten vor. Es wird zweisprachig dargeboten: vor der Pause russisch und nach der Pause deutsch.

Natalija Sudnikovic ist vieles in einer Person: Regisseurin, Managerin, Drehbuch-Autorin. Ja, richtig, Drehbuchautorin: Zu jeder ihrer Veranstaltungen erstellt sie ein regelrechtes Szenarium. Beim Tschechow-Theater steht sie zudem gelegentlich auch selber als Schauspielerin auf der Bühne.Nach Deutschland kam Natalija vor ca. 15 Jahren. Zwei ihrer Töchter sind schon hier geboren. Sie habe zwei Leben, sagt sie, eines in Kasachstan und eines in Berlin. In ihrem ersten Leben war sie Lehrerin für Biologie und Geografie. Aber schon in der Schule hatte sie den Drang, den Unterricht nicht auf herkömmliche Weise zu gestalten, sondern eher als Spiel zu inszenieren. An ihrer Schule leitete sie zudem eine Theatergruppe.

Ihre Leidenschaft für Kinder und das Theater wollte sie unbedingt in ihr „zweites Leben“ in Berlin einbringen. Der Verein „Babel e.V.“ und später der Kulturring mit dem Hellersdorfer Kulturforum boten ihr dafür geeignete Plattformen. Sie sei froh, auf solche Menschen wie Lutz Wunder getroffen zu sein, („Eine gute Seele!“). Der für diesen Projektbereich zuständige Kulturring-Verantwortliche ließe sie gewähren, helfe nach Kräften und stöhne aber auch manchmal unter der Last ihrer Ideenfeuerwerke. Ja, sie sei nicht immer leicht zu handhaben, räumt sie freimütig ein und hält sich selbst für etwas chaotisch, spontan und temperamentvoll, zuweilen schon mal für stressig... Aber sie habe auch viel gelernt, seit sie in Deutschland ist. „Ich bin zufrieden mit meinem Leben. Ich habe eine zweite Chance, ich kann machen, was ich möchte.“ Berlin findet sie super – die beste Stadt der Welt sei dies, kinderfreundlich, grün. Sie und ihre Töchter haben hier viele Freunde und nette Nachbarn gefunden. Vor allem aber ist sie mit ihrer Familie stolz auf ihre selbstbestimmte Existenz, ohne auf Sozialunterstützung angewiesen zu sein. Ihre Geschichte gehört wohl zu den Beispielen gelungener Integration, über die man leider viel zu selten hört und liest.

Natalija Sudnikovic möchte mit ihren kulturellen Initiativen und Aktivitäten dazu beitragen, dass sich Deutsche und ihre fremdstämmigen Mitbürger über Kunst und Feste einander näherkommen und besser verstehen. „Über die Kultur kann man sich besser verständlich machen: Die Kunst ist eine Sprache, die jeder versteht“, so ihr Credo.

Multi-Kulti ist gescheitert? Dann besuchen Sie doch mal eine Veranstaltung des Kulturrings, die von Natalija Sudnikovic organisiert wurde...

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