Heimatlos

Ingo Knechtel

fühlen sich wohl die wenigsten von uns. Manche Soziologen gehen so weit zu sagen, bei „sozial Entwurzelten“ käme dies vor. Aber wenn Sie die Frage nach der Heimat konkret stellen, werden Sie vielleicht überrascht über die Antworten sein. Für den einen scheint es ganz klar: „Ich bin ein Berliner!“ Die andere sagt vielleicht: „Ich lebe zwar seit 20 Jahren hier, meine Heimat ist Berlin jedoch nie geworden. Mein Herz schlägt für Thüringen! Dort wurde ich geboren und dort sind meine Wurzeln.“ Vor kurzem besuchten uns zuhause in Kaulsdorf Kolleginnen meiner Frau, die in Wedding und Charlottenburg beheimatet sind – sie waren neugierig. Noch nie hatten sie jemand östlich von Friedrichshain besucht. Für sie hat das nichts mit Ost-West-Barrieren in den Köpfen zu tun, vielmehr mit der Größe der Stadt. Sie fühlen sich ihrem Kiez verbunden. Frage ich einen vor über 10 Jahren nach New York ausgewanderten Freund, der aus Sachsen stammt, was er heute als seine Heimat ansieht, überrascht er mich vielleicht mit einer völlig unerwarteten Antwort. Mein Karlshorster Freund ist kurzzeitig unschlüssig, sagt dann aber, er fühlt eine starke Verbundenheit zu ... Island. Und er begründet dies, für ihn sei die Heimat der Ort, der ihn besonders geprägt hat oder mit dem ihm besondere Erlebnisse verbinden. Für manch eine(n) mag es vielleicht auch zwei Heimaten geben, in unserem Portrait können Sie darüber lesen. Heimatverbundenheit regt auch oft an, sich näher mit Geschichte und Geschichten zu beschäftigen – und häufig auch mit der eigenen Biografie. Oft fängt es einfach damit an, dass man/frau mit offenen Augen sein Wohnumfeld betrachtet. Über ein solches Projekt mit Schülern im Heine-Viertel berichten wir im Innenteil. Aus etwas Abstraktem, Emotionalem wird dann vielleicht auch etwas Veränderungswürdiges. Und ich denke, Heimat ist auch immer dort, wo man eigene Spuren hinterlässt. Denn dort fühlt man sich gebraucht, eben zu Hause.

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