Hinter der Kamera − Jüdische Fotografinnen

Die Fotografie entwickelte sich in der Weimarer Republik zu einem wichtigen Medium. Neue Techniken, wie die Durchsetzung des Kleinbildfilms, der die schwer zu handhabenden Glasplatten ablöste, und neue Vervielfältigungsmethoden, wie der Offsetdruck, sorgten für die rasante Verbreitung der Fotografie. Eine Sparte, in der gerade auch junge Frauen ein offenes Betätigungsfeld fanden. Hier mussten sie sich nicht gegenüber bereits etablierten männlichen Kollegen behaupten.

Der Jahresschwerpunkt 2019 der Ausstellung WIR WAREN NACHBARN im Rathaus Schöneberg widmet sich genau diesem Thema. Dazu liegen bereits einige biografische Alben vor, die sich mit dem Leben und Wirken einzelner Fotografinnen befassen, so beispielsweise zu Gisèle Freund. In neuen Alben zu Eva Kemlein (1909-2004) und Yva (1900-1942) werden die Biografien dieser beiden wichtigen Persönlichkeiten präsentiert. Dabei wird das Album zu Eva Kemlein durch eine eigene, neue Hörstation ergänzt.
Eva Kemlein fand den Weg zur Fotografie über ihre Ausbildung an der Lette-Schule. Während des Nationalsozialismus versuchte sie, der rassistischen Verfolgung als Jüdin zu entgehen und ging zeitweilig nach Griechenland ins Exil. Später tauchte sie in Berlin unter. Sie überlebte; mit ihr überstand ihre Leica die Zeit der Bedrohung. Umgehend nach der Befreiung dokumentierte Eva Kemlein den Neubeginn. Sie fotografierte den ersten Magistrat im Mai 1945, spezialisierte sich dann auf die Bühnen der Stadt, insbesondere die Ost-Berliner. Als Theaterfotografin wurde sie zur Grenzgängerin. Die begleitende Hörstation beruht auf Material von Magdalena Kemper. Sie vermittelt den lebendigen Eindruck einer Frau, die durch die verschiedenen Unterstützer, die ihr mit Versteck und Lebensmitteln geholfen haben, nicht den Glauben „an das Gute im Menschen“ verloren hat.

Yva, eigentlich Elsa Neuländer, die sich vor allem als Modefotografin einen Namen gemacht hatte, ist heute den meisten nur als Lehrmeisterin von Helmut Newton bekannt. Sie betrieb ein eigenes Fotoatelier mit mehreren Mitarbeitern und erhielt Aufträge von großen Magazinen wie „Die Dame“ oder „Uhu“. Ihr wirtschaftlich erfolgreiches Photographisches Atelier musste sie in der Nazi-Zeit einer nichtjüdischen Freundin übertragen, arbeitete dann als Angestellte dort weiter. Elsa Neuländer wurde 1942 in eines der Vernichtungslager verschleppt und dort ermordet.

Gisèle Freund machte 1925 an der Rückert-Schule die Mittlere Reife und erhielt zum Abitur von ihrem Vater, dem Kunstsammler Julius Freund, ihre erste Leica. Ab 1929 studierte sie Soziologie in Frankfurt am Main und war auch in den politischen Auseinandersetzungen um den aufkommenden Nationalsozialismus engagiert, ihre Kamera hatte sie immer dabei. Ab 1931 hielt sie sich zu Forschungszwecken für ihre Doktorarbeit vorwiegend in Paris auf, bevor sie 1933 endgültig dorthin emigrierte. In Paris beendete sie ihre Dissertation (dt. Titel: „Photographie und bürgerliche Gesellschaft. Eine kunstsoziologische Studie“) und porträtierte mit den ersten Farbfilmen diverse Literaten und Exilschriftsteller, u. a. James Joyce, Heinrich Mann und Walter Benjamin. 1940 floh sie nach Südfrankreich und lebte im Untergrund. 1941 ging sie ins Exil nach Buenos Aires und kehrte 1952 nach Frankreich zurück. In der Nachkriegszeit wurde sie durch ihre fotojournalistischen Reportagen (u. a. über Evita Peron) sowie ihre frühen und späteren Porträts, die zum Teil ikonographischen Status erlangten, berühmt. Berlin besuchte sie nur noch als Fotografin, zu eigenen Ausstellungen und 1996 zur Rückbenennung der Straße ihrer Kindheit in Haberlandstraße.

Das biografische Album und die Hörstation zu Gisèle Freund sind bereits Bestandteil der Ausstellungsinstallation. Die Alben zu Eva Kemlein und Yva sind in diesem Jahr neu hinzugekommen. Im Rahmenprogramm werden 2019 einzelne Aspekte der Fotografie und ihre Protagonistinnen näher beleuchtet. Daneben wird das Projekt der Hörstationen, die einzelne Alben akustisch untermalen, fortgesetzt.
Regina Szepansky / Ilona Zeuch-Wiese

„Wir waren Nachbarn − Biografien jüdischer Zeitzeugen“, täglich außer freitags im Rathaus Schöneberg, geöffnet von 10 – 18 Uhr, der Eintritt ist frei.

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