Querdurch – Kein Wiener Schmäh

R.D. / P.H

Seit Anfang Februar präsentiert die Kulturbundgalerie Treptow Druckgrafiken sowie experimentelle Arbeiten auf Papier des Wiener Künstlers Thomas Nemec. Schon bei den ersten Gästen der Ausstellungseröffnung, an der neben vielen Künstlerkollegen auch die Bezirksbürgermeisterin von Treptow-Köpenick, Gabriele Schöttler, sowie die Kulturamtsleiterin Doris Thyrolph teilnahmen, gingen die Meinungen zu der Präsentation weit auseinander und führten zu teils kontroversen Diskussionen darüber, ob so „etwas“ öffentlich gezeigt werden soll oder nicht.

Aber das ist es ja gerade, was die Kunst von Thomas Nemec so aufregend macht. Das liegt, so Laudator Prof. Philipp Maurer, „...in erster Linie an der herb zupackenden Zeichnung des Thomas Nemec, die ihre Gegenstände realistisch erfasst. Realistisch nämlich, also mit starkem Strich und reichlich brutalem Zugriff und sehr scharfem Blick zur Wahrheit vordringend. Er pfeift auf den in der Welt sehr geschätzten Wiener Schmäh, der oft biedermeierlich die Dinge beschönigt, ihnen Liebreiz verleiht, wo eigentlich Grauen ist. Der Wiener Schmäh des Thomas Nemec ist nicht die bürgerliche Heurigen- und Walzerseligkeit, sondern der proletarische Schmäh der Kneipen, Beisln und Branntweiner. Und der ist eben nicht bitter, nicht Melange sondern Slibowitz, nicht Walzer sondern Rock und Blues mit einem ordentlichen Schuss Schmalz, echtem Schweineschmalz.“

Thomas Nemec steht in der großen Wiener Tradition der politisch engagierten kritischen Realisten, die bekanntesten sind wohl Alfred Hrdlicka und Georg Eisler, denn vor allem von Fritz Martinz und von Hans Escher hat Thomas Nemec viel gelernt: künstlerisch, sozial und politisch. Thomas Nemec spielt mit den kruden Tabus und eingeschliffenen Sehgewohnheiten, zitiert Maurer den Nicht-Wiener Uwe Baumann. Und er sei in der so typisch wienerischen Laune, menschliche Absonderlichkeiten frontal und rücksichtslos aufzugreifen – nicht anzugreifen, denn er hat, so Maurer, für die Absonderlichkeiten durchaus Verständnis, manchmal lächelndes, manchmal hohnlachendes Verständnis. Dies reflektieren auch einige Werke der Ausstellung. Zum Beispiel in den Bildern mit den Tokio-Toupets, den Schamhaar-Perücken, die der Samurei mit seinem Schwert abzuschneiden, durchzuschneiden, zu durchdringen droht. Wunsch, Wunschverdrängung, Wunscherfüllung!!! Nach Maurers Auffassung sind „zur ästhetischen Beschreibung der Bilder des Thomas Nemec Worte wie derb, vulgär, ordinär, sexistisch durchaus angebracht – aber diese Derbheit, Vulgarität, Obszönität, die auch manchmal peinlich berührt, ... ist eine andere: künstliche, künstlerische.“

Einige Arbeiten in der Ausstellung sind in Zusammenarbeit von Thomas Nemec mit dem Siebdrucker Andreas Stalzer entstanden, so die zu sehende Ikone. Maurer beschreibt sie als „blasphemisch, witzig, sexistisch, mit unendlichen historischen Reminiszenzen aufgeladen, politisch völlig unkorrekt (‚Ja derferns denn des?’, würde ein Wiener fragen), skandalträchtig, aber doch kein Skandal (‚is eh wurscht’), ästhetisch und handwerklich so qualitätsvoll, dass der betretene Betrachter es in den Bereich der Kunst abschieben kann (‚wiss ma eh, de Künstla!, ollas Noarrn!’). Ein solcher ‚Narr’ ist Thomas Nemec, der uns Vieles von der Welt zeigt, der die privaten, sozialen, politischen Absonderlichkeiten menschlichen Verhaltens mit liebevoller Ironie und sympathisierendem Schmäh schildert, d.h. ins Bild setzt und vorführt.“

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