Wie wir Tschechow ehren (können)

Lutz Wunder

Eine Gedankenskizze zum 150.Geburtstag von Anton Tschechow im Jahre 2010

Als vor einigen Jahren das Projekt eines Berliner deutsch-russischen Theaters im Marzahner Nordwesten ins Leben gerufen wurde, entschieden sich die Gründer mit Bedacht dafür, es nach Anton Pawlowitsch Tschechow zu benennen. Denn mit seinem Namen verbinden sich viele Anknüpfungspunkte für eine theaterorientierte, kulturelle Integrationsarbeit, wie sie den Initiatoren vorschwebte.

Tschechow als ein bedeutender Schriftsteller und Dramaturg des russischen Theaters am Ende des neunzehnten Jahrhunderts ist heute ein Klassiker. Er wird ebenso als ein europäisch orientierter Künstler und Mensch gesehen, dessen Werke auch auf deutschen Bühnen heute viel gespielt werden. Er ist ein Dramaturg, den Deutsche und Russen gleichermaßen verehren und verstehen und dessen Werke alle in Originalsprache und Übersetzung vorliegen.

Von Beginn an standen im Mittelpunkt der Angebote des Tschechow-Theaters zuallererst die Inszenierungen des Kulturring-Ensembles „T(heater) & T(anz)“ mit Einaktern Tschechows. Die ersten Inszenierungen waren in Russisch. Schnell kam die Idee auf, Tschechow an einem Abend in zwei Sprachen zu spielen, und dafür gab es auch einen Partner im Kulturring, die Theatergruppe „Die Ideealisten“. Obwohl das Ensemble T&T heute selbst zweisprachig spielt, ist diese Kooperation geblieben. Und so werden deutsch- und russischsprachige Menschen in das Theater gelockt und treffen sich hier zu einem gemeinsamen Kunstgenuss.

Aber wie ist der Künstler und Mensch Tschechow im Alltag des Theaters präsent, wenn nicht Theater gespielt wird? Viele Menschen kennen Tschechow nur dem Namen nach oder gar nicht. Ein Porträt und eine kurze Vita in einem Rahmen, im Eingangsbereich angebracht, machen auf den Namensgeber aufmerksam. Es gibt Veranstaltungen zu den Geburts- und Todestagen, und dann steht sein Porträt neben einem Blumengebinde. Eine Büste wäre auch sehr eindrucksvoll und angemessen. Interessierte fragten, welche Literatur es von bzw. über Tschechow gibt. Zwei Vitrinen, die Mitglieder des Freundeskreises des Theaters mit Buchausgaben Tschechows füllten, geben darüber Auskunft. Alle Kulturring-Medienpoints wurden nach entsprechenden Büchern abgefragt und halfen bei der Suche. Und nun kann sich der interessierte Besucher gut informieren, in den Büchern blättern oder lesen. Es fehlen nur noch Ausgaben in russischer Sprache, und auch die sollen bald vorhanden sein. Vorstellbar wäre auch, Bücher oder Hörbücher zum Verkauf anzubieten, wenn sie auf Kommissionsbasis von einem kooperativen Buchhändler bereitgestellt werden.

Wie können Menschen für Tschechow interessiert werden, ist eine wichtige Frage nicht nur für die Werbe- und Öffentlichkeitsarbeit, sondern grundsätzlich auch für den Bildungscharakter der kulturellen Angebote. Im Verlaufe der Projektarbeit mit Schulen sind intensive Kontakte im Stadtteil entstanden. Viele neue Ideen sind dazugekommen. So könnten im Theater für den Literaturunterricht Lesungen aus dem Werk des Künstlers stattfinden (Stichwort Lesepaten) oder Hörbücher vorgestellt werden, ergänzt durch filmische, biographische Dokumentationen bzw. Spielfilme. Ein Kurzvortrag zu Leben und Werk des Künstlers als ein ständiges Angebot – gewissermaßen als Dienstleistung – hätte sicherlich schon viele Besuchergruppen interessiert.

Eigentlich wäre auch zu probieren, ob das Werk des Autors – und seine Kurzgeschichten eignen sich doch vorzüglich dafür – regelmäßig in einem literarischen Salon zum Vortrag kommen sollte. Dabei würde dann nicht ausschließlich Tschechow gelesen werden, denn schließlich inspirierte er auch andere Schriftsteller von Weltruhm.

Der Besucher eines besonderen Ortes, einer Veranstaltung möchte in der Regel gern etwas zur Erinnerung mitnehmen. Auch hierfür könnte sich das Theater etwas einfallen lassen. Denkbar wäre eine Postkarte mit einem Tschechow-Porträt. Immer häufiger finden auch bildkünstlerische Ausstellungen im Hause statt. Aber noch nie gab es eine Fotoausstellung über Tschechow, keine Ausstellung über Bühnenbilder seiner Stücke, Porträts berühmter Darsteller seiner Stücke oder Bilder aus Inszenierungen. Es besteht großer Nachholbedarf.

Wie interessant und angemessen ehren wir Tschechow im Alltag, war die Ausgangsfrage, und leichtfüßig sind so viele Ideen entstanden, dass Verein und Theater im Jahr seines 150. Geburtstages zügig an die Arbeit gehen können – ohne einen Tschechow-Tempel aufzubauen. Denn Tschechow-Museen, nach ihm benannte Straßen und Plätze, ja sogar Orte und Städte, Sondermünzen, Buchausgaben gibt es schon viele. Aber warum sollten die Ideen eigentlich ausgehen?

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