Stolpersteine im Bezirk Pankow

Frank Rebenstock, Dieter Kaeuffer

„Ein Projekt, das die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Zigeuner, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus lebendig erhält,“ heißt es dazu auf der Internetseite www.stolpersteine.com. Das Projekt Stolpersteine wurde im Jahre 1993 als Entwurf von dem Kölner Künstler Günter Demnig initiiert. Die erste (wenn auch erst nachträglich legalisierte) Verlegung fand 1997 in Berlin-Kreuzberg statt. Heute findet man Stolpersteine an ca. 300 Orten in Deutschland, Österreich, Ungarn und in den Niederlanden. Berlin ist nach Hamburg die Stadt mit den meisten verlegten Stolpersteinen.

Mit Beginn unserer Tätigkeit beim Kulturring in Berlin e.V. im November 2008 wurden wir zum ersten Mal mit dem Thema Stolpersteine konfrontiert: In unserem Einstellungsgespräch wurde uns von unserer Einsatzkoordinatorin dieses Thema im Rahmen der kommunalen Geschichtsarbeit vorgestellt. Unsere Aufgabe ist es, die Stolpersteine im Großbezirk Pankow zu erfassen und die Geschichte der durch den Stolperstein gewürdigten Person zu recherchieren. Wir waren neugierig und an dem Thema interessiert. Dies vor allem deshalb, da das Thema Nationalsozialismus und die damit verbundenen Verbrechen dieses Regimes in unserer Schulzeit nur kurz angerissen, oder zum größten Teil überhaupt nicht behandelt wurden.

Im Zuge der Projektplanung kamen wir, der Historiker (Frank Rebenstock) und der Fotograf (Dieter Kaeuffer), schnell zu einem fruchtbaren Konsens: Sobald eine erste Liste der Verlegeorte zusammengestellt ist, kann die Hintergrundrecherche beginnen, während gleichzeitig die Verlegeorte fotografisch dokumentiert werden sollen. Wir kamen zu dem Ergebnis, dass nicht nur der Stolperstein durch ein einfaches Foto abgelichtet werden soll, sondern dass wir die Aufnahmen derart anlegen, dass zusätzlich eine Weiterverarbeitung, zum Beispiel in den Kult-Touren des Kulturrings, ermöglicht wird. Hierzu legten wir einige Standards fest: Zur Aufnahme der Steine soll gleichzeitig auch eine Aufnahme des Standorts mit einer Positionsmarkierung des Steines erstellt werden. Von der schriftlichen Dokumentationsseite her sollten alle verfügbaren Quellen herangezogen werden. Hier dient natürlich das Internet als primäre Quelle. Es finden sich Seiten, auf denen man Daten und Lebensläufe der Personen findet. Kaum jedoch finden sich alle relevanten Daten eines Opfers auf nur einer Webseite. Vielmehr muss aus verschiedenen Quellen ein abgerundetes, möglichst vollständiges Bild der betreffenden Person zusammengesetzt werden.

Bei unseren Recherchen stießen wir auf bewegende Schicksale, wie z.B. das von Georg Streiter, der im Konzentrationslager Ravensbrück ermordet wurde. Als Gründe für seine Verschleppung in das KZ reichte nach den durch uns gefundenen Unterlagen die Übermittlung von Botschaften an polnische und französische Kriegsgefangene.

Das Schicksal der Eheleute Nathan und Malcha Gutmann, Raumer Str. 21, 10437 Berlin, ist besonders dramatisch: 1938 entschloss sich das Ehepaar, mit den beiden kleinen Töchtern und nur zwei Koffern als Gepäck aus Deutschland zu fliehen. Zunächst gelangten sie nach Paris, dann weiter nach Belgien. Am 5. Mai 1939 wurde in Antwerpen die dritte Tochter geboren.

Nach dem Überfall Deutschlands auf Belgien flohen die Gutmanns nach Südfrankreich. Dort festgenommen, verbrachte man die Familie ins Übergangslager Rivesaltes. Hier entschied sich die Mutter, die drei Kinder zurück zu lassen, während sie selbst in einem Viehwaggon in das französische Sammellager Drancy gebracht wurde. Der Vater wurde einige Zeit danach ebenfalls dorthin gebracht. Später wurde das Paar nach Auschwitz deportiert. Hier fanden beide den Tod. Die drei Mädchen wurden aus dem Lager Rivesaltes heraus geschmuggelt und gelangten so in die Schweiz.

Bei unseren Recherchen gibt es zuweilen auch Momente, die uns mit großer Trauer erfüllen. Es dreht uns den Magen herum, und wir müssen einen Moment innehalten, um kurz durchatmen zu können. Wenn wir zum Beispiel lesen müssen, dass ein Opfer nicht einmal das dritte Lebensjahr erreichen durfte, weil es, vornehmlich wegen seiner Abstammung, so genanntes „lebensunwertes Leben“ war, und es deshalb den Euthanasiegesetzen zum Opfer fiel.

Umso weniger verstanden und verstehen wir, dass es auch zuweilen Kritik an der Aktion Stolpersteine gibt: So stieß Günter Demnig zum Beispiel in München auf Widerstand. Der Münchner Oberbürgermeister erlaubte keine Verlegung von Stolpersteinen in Münchner Bürgersteige. Auch die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, kritisierte Demnig folgendermaßen: wer die NS-Zeit nicht erlebt habe, könne nicht so ein Projekt in Angriff nehmen. In Zossen hatte ein bekennender Antisemit bei der Verlegung von Stolpersteinen vor seinem Ladenlokal heftig protestiert und gerichtliche Schritte hierzu angekündigt, die allerdings schon im Vorfeld, da der Gehweg Stadtland ist, abgeschmettert wurden.

Die vorgebrachte Kritik ist jedoch oftmals nur als Einzelfall zu sehen. Mittlerweile bewerben sich Städte, Kommunen, Einzelpersonen oder Einrichtungen darum, Steine verlegen zu lassen und übernehmen zugleich die Patenschaft darüber.

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