An der Schule fällt die Mauer

Burkhard Schwerbrock / Reno Döring

Der 9. November 1989. 2009 ist dieses historische Datum in aller Munde. Vor 20 Jahren hielt die Mauer dem Druck der DDR-Bürger nicht mehr Stand. An der Bornholmer Brücke öffneten Grenzer den Schlagbaum, und Massen strömten von Ost- nach Westberlin. Das war der Anfang vom Ende zweier deutscher Staaten, die sich nach einem knappen Jahr zu einem Staat zusammenschlossen.

Die dabei waren, erinnern sich! Was aber ist mit den Nachgeborenen? Wie ist ihre Kenntnis darüber? Leider nur bruchstückhaft. Mit der Mauer verschwand die Geschichte und es bildeten sich Mythen – positive wie negative. Und noch immer prallen Ost und West in teilweise gegenseitigem Unverständnis aufeinander. Dieses vorhandene Unverständnis, oder auch die Unkenntnis bei den Nachgeborenen, war für den Komponisten und Autor Burkhard Schwerbrock Anlass, ein Musical mit den Titel „Zweimal Deutschland“ zu komponieren, welches in der Zeit von 1961 bis 1989 spielt. Mehr aber noch war sein Anliegen, es mit Kindern und Jugendlichen auf die Bühne zu bringen. Hierfür konnte er als Partner Schüler der Marie-Elisabeth-Lüders Oberschule und den Kulturring in Berlin e.V. gewinnen.

Die Handlung des Musicals ist einfach und spiegelbildlich angelegt: Ein großer Tag! Familie Ost und Familie West (jeweils Vater, Mutter, Sohn und Tochter) bekommen ihre Autos – Familie Ost einen Trabbi, Familie West einen Käfer. Die Kinder sind wechselseitig ineinander verliebt. Beide Familien wollen sich besuchen. Es ist der 13. August 1961, sie treffen auf den Mauerbau und werden zurückgewiesen. Die Zeit bis zum Mauerfall wird durch zwei Lieder überbrückt: Das Wirtschaftswunderlied (WEST) und das Lied vom Sieg des Sozialismus (OST). Am 9. November 1989 fällt die Mauer und die Familien kommen endlich zusammen.

Von April bis Ende Juni wurde das Musical mit 22 Schülerinnen und Schüler an der Marie-Elisabeth-Lüders Oberschule in Schöneberg erarbeitet und am 03.07.09 aufgeführt. Die Schüler wirkten auch als Beleuchter und Kulissenschieber mit und schufen in Zusammenarbeit mit zwei Kunstlehrerinnen das Bühnenbild. Außerdem wurde eine Dokumentation zur Geschichte der Mauer erstellt.

Die DarstellerInnen (bis auf vier Männer ausschließlich junge Frauen um die 18) entdeckten und entwickelten während der Probenzeit erstaunliche Fähigkeiten. Obwohl es sich nicht um eine musik- oder theaterorientierte Schule handelt, gingen sie mit großer Energie zur Sache. Frauen schlüpften in Männerrollen. Unter Anleitung einer erfahrenen Sängerin (Hattie St John) erarbeiteten sie ein Dutzend Lieder. Einige traten sogar als Solistinnen hervor.

Unter der Regie des Komponisten und unterstützt durch den Musiklehrer der Schule brachte der Choreograph Robert Coverton sie tänzerisch in Schwung, und so entstand eine dynamische Musicalaufführung, die die Zuschauer in ihren Bann zog und mit großem Beifall belohnt wurde. Eine weitere open-air-Aufführung folgte am 11.07.09 auf dem Reuterplatz im Rahmen der Langen Tafel Neukölln.

Alle Beteiligten waren sich einig, dass die Erarbeitung des Musicals für sie eine wichtige Erfahrung war. Sie entdeckten an sich Fähigkeiten und Eigenschaften, die im normalen Schulalltag nicht verlangt werden. Die Entwicklung von Ausdrucks- und Entscheidungskompetenzen in der Teamarbeit führte zu einer Festigung ihres Selbstbewusstseins. Eine Schülerin mit palästinensischer Herkunft und religiösem Hintergrund z. B. setzte sich in der Verkörperung des ostdeutschen Mädchens eine Perücke auf. Ihre Bühnenpräsenz war daraufhin so stark, dass sie Szenenapplaus bekam. Insgesamt fiel das starke Engagement bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf. Sie eigneten sich als Darsteller auf der Bühne künstlerisch deutsche Geschichte an, um sichtbar zu machen, dass sie auch im realen Leben bereit sind, ihr Land handelnd zu verkörpern. Allein diese Erfahrung spricht dafür, welche Impulse die Erarbeitung eines Theaterstücks bei aktiv mitwirkenden Schülern auslösen kann. Dies sollte weiter Schule machen.

Dank gebührt dem Direktor und dem Kollegium der Marie-Elisabeth-Lüders-Oberschule, die die Aufführung ermöglichten, der Neuköllner Oper, die Kostüme unentgeltlich bereitstellte und dem Kulturring in Berlin e. V., dessen Schirmherrschaft eine Förderung des Projekts durch die Aktion Mensch möglich machte.

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