Illusion und Wirklichkeit eines Projekts

Andreas Schmidt, Ingrid Landmesser

Im Mai trafen sich Mitarbeiter des Kulturrings aus Reinickendorf, Pankow und Teilnehmer anderer freier Träger für knappe vier Wochen im Bildungswerk des Kulturrings zu einem Lehrgang zum Thema: Projektplanung – Projektmanagement – Kommunikationstraining – Öffentlichkeitsarbeit. Das Kulturforum Hellersdorf, sein Konferenzraum, sein Garten und seine Küche (vielen Dank für die Rundumversorgung!) waren trotz des wechselhaften und unbeständigen Wetters und der wechselhaften und unbeständigen politischen Situation unserer Zeit ideal.

„Ich weiß erst, was ich gesagt habe, wenn ich die Antwort vernommen habe.“ Dieser Satz von Norbert Wiener war gewissermaßen ein Motto, das Kursleiterin Petra Steuer gleich zu Anfang in den Raum gestellt hat. Und sie sollte Recht behalten: an Missverständnissen war der Lehrgangsprozess reich, aber ebenso reich war er an Möglichkeiten, diese Missverständnisse aus der Welt zu schaffen. Die Reinickendorfer, die mit acht Leuten größte „Fraktion“, kamen mit einem bereits laufenden Projekt: Sie interviewen Frauen, die schon im Deutschland der Weimarer Republik und des Dritten Reichs gelebt haben. Sie wollen deren Erfahrungen jungen Menschen in einem Buch oder einer Broschüre zugänglich machen. Die Pankower bearbeiten ein schon längere Zeit laufendes Projekt, das mit einer Dokumentation die überall in Berlin zu findenden Messingpflastersteine (sog. Stolpersteine) bekannt machen will. Stolpersteine werden zum Gedenken an im Dritten Reich getötete oder vertriebene jüdische Mitbürger oder andere Opfer vor deren ehemaligen Wohnhäusern gelegt. Ein weiteres Projekt bewegt sich zwar noch in der Fiktion, ist aber real angedacht: Die Überführung eines Kunstwerks (es handelt sich um ein Wandbild aus dem ehemaligen „Haus des Kindes“) aus der Versenkung in einen öffentlichen Raum.

Diese Projekte galt es nun zu planen. Petra Steuer – eine fundierte „Füchsin“ nicht nur im Projektmanagement, sondern auch in Psychologie – zeigte den Teilnehmern im Laufe des Lehrgangs die wichtigsten Instrumente, die ein Projekt zum Erfolg führen können. Sie lehrte, alle Chancen und Risiken zu sehen, die von außen auf die eigenen Stärken und Schwächen einwirken. Das war mitunter nicht schmerzlos. Auch weil sie im Rollenspiel zusammengewürfelter Gruppen und ebensolcher Einzelcharaktere zwischen Ungeduld, Unmut und Überforderung immer wieder auf das A und O eines Projekts hingewiesen hat: nämlich die Teambildung und die Aufgabenverteilung. Aber auch Steuers Tempi sind ein A und O. Ein Teilnehmer dazu: „Sie reiten so schnell wie der Reiter in Goethes Erlkönig - obwohl das Kind, also wir - gar nicht wirklich krank ist.“ Darauf sie: „Es ist noch zu langsam!“ Natürlich hat sie Recht und Unrecht zugleich. Denn sie lässt niemanden zurück, sofern er Probleme und Fragen hat. Sofern etwas zu abstrakt erscheint, kann man alles hinterfragen, und sofort lässt sich ein konkretes Bild finden, das eine abstrakte Grafik, ein Schema, eine Tabelle belebt und sichtbar werden lässt. Doch Zeit kostet es in jedem Fall. Und Zeit ist Petra Steuer sehr wertvoll, zu wertvoll, als dass man auch nur eine Sekunde verschwenden könnte.

Der Wechsel zwischen Fiktion und Realität im Lehrgang ist schließlich auch in eine eigene Wirklichkeit gemündet und hat das ganze Konfliktpotenzial, das zwischen einzelnen Menschen herrschen kann, an die Oberfläche geholt. Aber wer die Kraft hatte, sich dem zu stellen, geht von hier aus selbstbewusster, stärker nach Hause. Vielleicht entschließt er sich, ab morgen wieder oder erstmals selbstständig durchs Leben zu gehen, mit einem Projekt zum Mond zu fliegen, einen mobilen Alterspflegedienst in unserer Welt ins Leben zu rufen oder andere Träume zu leben, auch wenn er dann dem Kulturring in Berlin e.V. ein bisschen verloren geht.

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