Vorteile, die manche Zwillinge in der Schule genießen, hatte Gerda Zschiedrich kaum – man konnte sie ja mit ihrem Bruder nicht verwechseln. Seine Stärken in der Mathematik waren aber hin und wieder ganz hilfreich, wenn man bei Klassenarbeiten den Blick aufs Nachbarblatt schweifen ließ. Schon in jungen Jahren war es die Sprache, die Gerda faszinierte, speziell die russische. Und es war dabei natürlich förderlich, dass man sich für den sympathischen Lehrer besonders anstrengte. An der Sprachschule für Russisch und Tschechisch war Theaterspielen Teil des aktiven Umganges mit der Fremdsprache. Damals aber war es noch das Ziel von Gerda Zschiedrich, nach einem Slawistik-Studium als Dolmetscherin zu arbeiten. Wie so oft im Leben kam es aber anders. Um Kinder und Arbeit unter einen Hut zu bekommen, lektorierte sie zu Hause tschechische und russische Theaterstücke und betreute „nebenbei“ die Kinder – eine Lösung, die man heute als zukunftsorientiert bezeichnet. Bei der wenige Jahre später folgenden Anstellung im Theater der Freundschaft (heute Theater an der Parkaue), als Gerda neben ihrer Tätigkeit als Dramaturgin und Übersetzerin auch theaterpädagogische Arbeit leistete, wurde ihr bewusst, dass Wollen und Dürfen oft auseinander fallen. Ihr Einfluss auf die Arbeit mit den Kindern war äußerst gering, die Kinder spiegelten aber ganz klar ihre Bedürfnisse und auch, was ihnen nicht gefiel. Gerda Zschiedrich wollte kreativ sein, sie wollte Einfluss darauf nehmen, wo es lang ging. Das konnte sie in Folge dann auch bei ihrer langjährigen Beschäftigung beim Rundfunk der DDR als Dramaturgin und Regisseurin für Hörspiele. So bearbeitete und inszenierte sie Hörspiele für Kinder wie „Das Windloch“ von Peter Hacks, übersetzte und bearbeitete „Und sie bewegt sich doch?“ von Alexander Chmelik und führte Regie bei „Der kleine lila Nebel“ von Rainer Kirsch.
So war die Zeit der Umwälzungen in der DDR eine komplizierte aber auch spannende Phase in Gerdas Leben. Arbeit für eine Regisseurin gab es ja damals noch genug. Noch heute äußert sie sich teils belustigt, teils aber auch empört über die „Belehrer, Bekehrer und Besserwisser“, die schon bald ihren Blick über die östliche Medien-landschaft schweifen ließen. Sie besann sich erneut auf ihre Erfahrungen und Kenntnisse und ging – wie man so sagt – Klinken putzen. Auch wenn Arbeit und Können „immer weniger benötigt“ wurden und immer weniger Neuproduktionen entstanden, blieb Gerda beharrlich dabei. Es ist die konkrete Arbeit, ob nun gerecht honoriert oder nicht, die sie am Laufen hält. Stationen sind dabei die freie Mitarbeit beim MDR, NDR, WDR, SFB, ORB, später dann RBB, eigene Produktionen, wie z. B. „Der Horla“ nach Maupassant, „Von der Lust, ganz oben zu sein“, die Gründung eines Hörbuchverlages gemeinsam mit dem Redakteur Ulrich Unterlauf, Regiearbeiten (u.a. „Amazone der Revolution“, „Aljonas Familie“, „Marieluise Fleisser“), Hörbuch-Produktionen für den Eulenspiegel Verlag. Durch den Schauspieler Frank-Alexander Kunz kam der Kontakt zwischen Gerda Zschiedrich und dem Kulturring zustande. Es war für beide Seiten ein Glücksfall. Gerda produzierte mit ihm das Hörbuch „Die Gräfin Pappel“, sie führte Regie und organisierte Veranstaltungen zu den Themen „Brecht und die Frauen“, J. R. Becher, Max Lingner, Inge Keller und arbeitet zur Zeit an einer Produktion zum „Runden Tisch - das Pankower Modell“. Darauf angesprochen, welche Wünsche oder Ziele sie hat, reagiert Gerda Zschiedrich ein wenig verwundert. Sie macht eben das - auch heute - was ihr Freude bereitet, was ihr Leben ausfüllt, und sie wird dies auch künftig, über den Rentenbeginn hinaus tun. Sie ist heute wie eh und je in der Lage, Neues zu entdecken, und sie ist neugierig geblieben. Jede Arbeit zu einem ganz bestimmten Menschen öffnet eine neue Sichtweise, jedes Theaterstück steht in einem ganz bestimmten Kontext zur jeweiligen gesellschaftlichen Situation. Die Arbeit zu den Runden Tischen z.B. lässt aus heutiger Sicht fragen, was denn von dem damaligen Engagement der Beteiligten Bestand hatte. Auf jeden Fall soll dargestellt werden, dass Moderatoren und Beteiligte dafür sorgten, dass die Umwälzungen in der DDR friedlich verliefen. Nun fällt Gerda etwas ein, was sie unbedingt noch machen möchte. Ein Stück von Alexander Ostrowski – von ihr schon übersetzt – möchte sie gerne zur Aufführung bringen. Wenn man den Inhalt des über 100 Jahre alten Stückes liest, der den Kampf um Macht und Reichtum, die unbedingte Anpassung auch auf die Gefahr hin, sich zu verbiegen, den Erfolg von Mittelmaß und Dummheit beschreibt, dann ist an der Aktualität nicht zu zweifeln. Natürlich haben wir uns über das Stück und interessante Parallelen in der Gegenwart noch unterhalten, aber das bleibt unter uns...