Kunst und Kultur mit Nadel und Faden

Lutz Wunder

Was haben Kunst und Kultur mit Nadel und Faden zu tun? Erstaunlicherweise eine Menge mehr, als einem nach einem kurzen Nachdenken in der Regel einfällt.

Es begann im Jahre 2002. Die künstlerische Qualität der Tanz-, Theater und Musikgruppen im Kulturring hatte eine Ebene erreicht, in der grundsätzlich neu über die Ausstattung, Dekoration und einzusetzende Technik nachgedacht werden musste. Alle Beteiligten waren unzufrieden und wussten, es muss etwas getan werden. Schnell waren viele Ideen gefunden, wer welche Kostüme, Ausstattungsgegenstände und technischen Geräte sowie Instrumente für seine Programme bräuchte. Aber die Ernüchterung nach der Euphorie folgte auf dem Fuße. Wer sollte denn die Kostüme entwerfen und nähen, wer die Dekorationen und Assesoires anfertigen? Die Gruppen und Ensembles waren so gewachsen, dass Einzelpersonen sich schnell überfordert sahen – es war ein Vollzeitjob. Der Ausweg – die Nähwerkstätten anderer gemeinnütziger Einrichtungen? Es war ein Holzweg, denn auch sie müssen sich finanzieren, und so wurden angesichts der Preisvorstellungen die Gesichter immer länger. Also, was blieb zu guter Letzt übrig: Selbst ist der Mann, die Frau, nach dem Motto, was andere können, müssen auch wir schaffen. Es wurde ein ABM-Antrag für eine Nähwerkstatt „Nadel und Faden“ geschrieben und – auch bewilligt. Und so begannen im Oktober des o. g. Jahres schon die ersten fünf Frauen mit der Arbeit. Es wurde eine Nähwerkstatt im Marzahner Nordwesten etabliert, und die ersten Kostüme entstanden. Es grenzt fast an ein Wunder, aber es gelang, dieses Projekt bis heute kontinuierlich weiterzuführen. Sechs Teams haben nun inzwischen die Nähwerkstatt zu einem bekannten Kostümfundus wachsen lassen. Neben dem Entwerfen und Schneidern von Kostümen ist sie inzwischen zu einem hauswirtschaftlichen Dreh- und Angelpunkt der Veranstaltungen des Kulturrings geworden. Die Kostüme werden dort gelagert und gepflegt, der Leihverkehr organisiert, Tisch- und Hauswäsche (Tischdecken, Servietten, Tischläufer) für die Veranstaltungen gefertigt und repariert, gewaschen und gebügelt. Das gemeinsame kreative Arbeiten auf engstem Raum und etwas abseits vom Trubel des Kulturgeschäfts stimulierte gute Teambildungen. So treffen sich gerne auch heute noch einige ehemalige Mitarbeiter, um sich über die früheren Zeiten und die gegenwärtigen Lebenssituationen auszutauschen. Die Nähstube / der Kostümfundus war und ist immer mehr als eine Schneiderei oder Änderungswerkstatt. Aus ihr entwickelte sich personell der Kern des heutigen Veranstaltungs-Services. Sie war auch Ort beruflicher Praktika, eines kreativen Erfahrungsaustauschs, denn es kamen und kommen auch Mitarbeiterinnen aus anderen Maßnahmen, um für Veranstaltungen Dekorationen oder Ähnliches zu nähen.

Um zum Ausgangspunkt der Reflexion zurückzukehren: Im Rahmen kultureller und künstlerischer Tätigkeiten entstanden, gewann die Idee und das Projekt – aus dem handwerklichen Arbeitsfeld kommend – selbst eine kulturelle Dimension und bildet heute einen eigenständigen kulturellen Ort in der Angebotsvielfalt des Kulturrings.

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