Kultur im Disput

Dr. Gerhard Schewe

Mit der Kultur steht es nicht zum besten! Jeder weiß es und hat auch gleich eine Erklärung hierfür parat: es fehlt – schlimm genug – am lieben Geld. Es gibt aber auch noch andere Defizite, die selbst mit viel Geld nicht ausgeglichen werden könnten, und das ist das Schlimmere an der Sache.

Unserer Kultur geht zunehmend verloren, was ihr durch die gesamte Geschichte hindurch eine selbstverständliche Aufgabe und Verpflichtung war: nämlich sich einzumischen in gesellschaftliche Prozesse, Werte zu definieren und zu verteidigen, kritisches Denken zu fördern, auch Partei zu ergreifen in den Konflikten der jeweiligen Zeitläufe. So erleben wir heute nur allzu oft, wie Engagement durch Beliebigkeit ersetzt wird, Wahrheitssuche durch Effekthascherei. Das neue Zauberwort heißt Event. Ein solches Event bestand vor Jahren z.B. darin, dass man – anlässlich eines Kulturfestes – den Statuen von Goethe und Schiller vor dem Weimarer Nationaltheater Kartoffelkiepen überstülpte, ohne freilich sagen zu können, was man hiermit eigentlich bezweckte. Das Event bedarf keiner Rechtfertigung, es muss nur Aufsehen erregen.

Um nicht missverstanden zu werden: Grenzen zu überschreiten, zu experimentieren, Neues zu wagen, ist ein legitimes und unverzichtbares Anliegen. Ohne Traditions- und Tabubrüche würden die Künste erstarren, sprachlos werden. Aber eine Kultur, die nicht zugleich auch auf neue Inhalte setzt, läuft ebenso Gefahr, ihre Kommunikationsfähigkeit und damit ihre Akzeptanz zu verlieren.

Bedeutet es verspätete Einsicht in dieses Dilemma, dass neuerdings wieder ernsthaft hierüber diskutiert wird? Für die SPD ist die Teilhabe der Menschen an Kunst und Kultur „so wichtig wie die Luft zum Atmen“; der Staat trägt hierfür, wie es im Hamburger Programm vom Oktober 2007 heißt, „eine nicht delegierbare Verantwortung“. DIE LINKE ist gerade dabei, sich mit ihrer Aktion „Kultur neu denken“ zu profilieren. Andere Parteien und Körperschaften ziehen nach. Selbst Brüssel scheint endlich erkannt zu haben, dass Europa auch eine Kulturgemeinschaft ist.

Konkretheit kann man in dem Zusammenhang allerdings nur dem Ende 2007 vorgelegten Schlussbericht der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestags „Kultur in Deutschland“ bescheinigen: 50 erörterte Themenbereiche, 465 Handlungsempfehlungen für staatliche, kommunale, bürgerschaftliche und privatwirtschaftliche Kulturakteure. Kultur soll nicht Ornament, sondern Fundament der Gesellschaft sein, so die Kommissionsvorsitzende Gitta Connemann. Um das zu erreichen, ist die Kommission sogar über ihren eigenen kulturföderalistischen Schatten gesprungen und hat empfohlen, Kultur zum Staatsziel zu erklären. „Der Staat schützt und fördert die Kultur“, soll es künftig in einem neuen Artikel 20b des Grundgesetzes heißen.

Ob das allerdings wirklich dazu beitragen kann, unserer aus den Fugen geratenen Gesellschaft einen neuen Wertekonsens und damit einen neuen Zusammenhalt zu geben?

(Teil 2 folgt in Heft 6 der KulturNews)

Archiv