Ohne laute Kommentare

Ingo Knechtel

„Die Beschäftigung mit Geschichte gehört zu unserem Verständnis von Kultur.“ Mit diesen Worten stimmte des Vorsitzende des Kulturrings, Dr. Gerhard Schewe, die zur Eröffnung einer Ausstellung in das Informations- und Dokumentationszentrum der Stasi-Unterlagenbehörde gekommenen Besucher ein. Die Berliner Fotografin Franziska Vu hat aufrüttelnde Fotos aus der ehemaligen Stasi-U-Haftanstalt Hohenschönhausen aufgenommen und ihr Projekt ergänzt mit den Schilderungen von damals Inhaftierten. Die Opfer kommen zu Wort, sie erinnern sich. Schmerzende Wunden werden aufgerissen. Eine Verarbeitung des Geschehenen ist für die Betroffenen ein sehr individuell bestimmter Prozess, dessen Länge niemand ahnt. Für die Gesellschaft insgesamt ist dies eine notwendige Erinnerungsarbeit. Das Erlebte als Mahnung, als Lektion wach zu halten, ist heute wichtiger denn je. Natürlich muss jeglicher Verklärung oder Verharmlosung des Vergangenen mit Tatsachen entgegen getreten werden. Aber ebenso natürlich ist es, dass eine neue Generation sich mit anderen Themen befasst. Daran ist an sich nichts Schlechtes. Doch ein Blick zurück ist immer auch ein Blick in Richtung Zukunft. Erschreckende Wissenslücken unter Berliner Schülern in Bezug auf solche bekannten Phänomene wie etwa die „Mauer“ oder die Stasi lassen sich nicht einfach den Lehrern anlasten. Hier sind wir alle gefragt. „Die Ausstellung“, so Dr. Schewe, „wird dieses Problem sicher nicht aus der Welt schaffen“. Allerdings plädierte er dafür, möglichst viele Schüler und Jugendliche einzuladen. Zwar verspreche sie kein Gemeinschaftserlebnis, aber: „Mit ihren eindringlichen Bildern wendet sie sich eher an den Einzelnen, will ihn weder belehren noch indoktrinieren, sondern auffordern zu einem stummen Zwiegespräch über das Gesehene und Erfahrene, will ihn nachdenklich machen. Die bedrückende Atmosphäre der früheren Haftanstalt vermittelt sich auch ohne laute Kommentare.“ Laute Kommentare wurden auch an diesem Eröffnungsabend nicht abgegeben. Eindringliche Worte jedoch fand auch das Beiratsmitglied der Gedenkstätte Hohenschönhausen Ulrike Poppe. Viele der ehemals Inhaftierten führen heute Besuchergruppen und sprechen – gerade auch vor jungen Menschen – oft über das ihnen widerfahrene Unrecht. Auch an diesem Abend waren etliche von ihnen gekommen. Die Gelegenheit zum Gespräch wurde rege genutzt, jung und alt waren vertreten. Und um das Bewusstsein von Recht und Unrecht geht es immer wieder im Hier und Heute und in unserer gemeinsamen Zukunft. Dem Informations- und Dokumentationszentrum und seinem Leiter, Dr. Peter Boeger, ist Dank zu sagen für die Möglichkeit der Präsentation dieses Projekts. Und vor allem ist Franziska Vu, die junge, engagierte Fotografin, zu würdigen, besonders auch für ihren Mut, sich dieses Themas anzunehmen, und für ihre unter die Haut gehenden Fotografien. Sehr zu empfehlen ist die aufwändig gestaltete zweisprachige Publikation mit allen Fotos und Interviews (Hardcover, 123 Seiten, ISBN 978-3-9810679-4-1, 15,90 EUR), die auch direkt beim Kulturring erhältlich ist.

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