Abenteuer Kulturführer / Kultur on Tour

Aninka Ebert

Es riecht nach feuchtem Laub und manchmal nach Pilzen, die Herbstsonne blinzelt golden durch den schon durchlässigen Blätterhimmel, und bei jedem Schritt raschelt es und Äste knacken. Wenn sich nicht ab und zu Entdeckungsjauchzer der Kinder hereinmischten, könnte man glauben, in tiefstem mitteleuropäischen Urwald und nicht im Düppeler Forst von Berlin zu sein.

Ich bin als Versuchskaninchen der Projektgruppe „Kulturführer Steglitz-Zehlendorf“ unterwegs, die nach ihrer Verlängerung in neuer Zusammensetzung nach Vervollständigung der Online-Datenbank nun Kultur-Touren für den Bezirk entwickelt. „Abenteuerwanderung entlang der alten Friedhofsbahn von Wannsee nach Stahnsdorf“, so der Arbeitstitel meiner Test-Tour. In der Besprechung der Route im Team wurde schnell klar, dass sich wegen der teilweise sehr uneindeutigen Pfade die Wanderer hier auf die Wegbeschreibenden ganz besonders verlassen können müssen. Also locke ich meine jugendlichen Kinder mit vielversprechenden Stichworten wie „Leichenexpress“, „verfallene Eisenbahnbrücke“ und „ehemaliger Todesstreifen“ aus ihren Computer-Abenteuern in ein reales. Tatsächlich kommt der vorsorglich mitgebrachte Kompass nur spielerisch zum Einsatz und der Text, den ich im Gehen laut vorlese, ist so anschaulich und reich an interessanten Informationen, dass ich mir gleich den Kopf an einem umgefallenen Baum stoße.

Die Friedhofsbahn beförderte allerlei verstorbene Berühmtheiten zum Stahnsdorfer Südwestkirchhof wie Milieuzeichner Heinrich Zille und Stummfilmregisseur Wilhelm Murnau. An ihrer 4,2 km langen Strecke entlang tauchen wir ein in die Geschichte des Eisenbahnbaus, der Teerbrennerei, der Rennstrecke „Avus“ und ihrer Umfunktionierung zur Leitung des Grenzverkehrs am Kontrollpunkt Drewitz-Dreilinden, wir durchqueren den früheren Grenzstreifen und treffen auf ein ehemaliges Übungsgelände der Nationalen Volksarmee der DDR.

Am Ende gibt es sogar noch Einblicke in die Geschichte der DDR-Gastronomie, so jedenfalls lautet die Einladung auf der Speisekarte der alten Bahnhofsgaststätte beim Endpunkt der Wanderung.

Die Tour gehört zur Rubrik „Grenzüberschreitungen“, die sich für Steglitz-Zehlendorf mit seiner langen Grenzmarkung zum Umland natürlich ganz besonders anbietet. Andere lauten z.B. „Historisches“, „Persönlichkeiten“, „Architektur“ oder „Kinder“. Die Rubriken sind so strukturiert, dass sie sich auf alle Bezirke Berlins übertragen lassen. Die Basis der Touren sollen die in den Kulturführern bereits erhobenen Daten sein, aber nicht ausschließlich.

Die Anregung zu diesem Projekt kam noch aus der Arbeit am Kulturführer-Steglitz-Zehlendorf. Mit zunehmendem Recherchewissen veränderte sich bei den meisten Teilnehmerinnen der Blick auf ihren Bezirk, obwohl sie dort schon zum Teil seit 20 Jahren wohnten. „Mir ist das alles vorher gar nicht aufgefallen“, so der einmütige Tenor, und als es mit der Recherche zu den Kultur-Cafés ins Kulinarische ging, fiel auf, dass man da ja „ne richtige Tour draus machen“ kann. Da war der neue Schwerpunkt schon beschlossene Sache.

Und eine wirklich tolle Idee, denke ich auf der Rückfahrt nach unserer Wanderung, den Blick auf erschöpfte und ausgeglichene Kinder und zerkratzte S-Bahn-Scheiben, hinter denen sich die Stadt uns wieder zurückholt.

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