SBK: Japan in Berlin um die Ecke

Andrea Hinz

Als ich am Vormittag des 22. Juni das Studio Bildende Kunst betrete, schlägt mir rege Geschäftigkeit entgegen. Kirschblütenzweige aus Draht und Papier werden drapiert, Stühle abgewischt und gerückt, einer schreit: „Wo ist die Leiter?“ Der nächste sagt: „Ich weiß genau, dass ich die Fernbedienung hier hingelegt habe.“ Draußen stehen die Pavillons, ein Bühnenpodest ist aufgebaut, die Sonne kommt raus.

Nachdem auch ich zum weiteren Auffädeln von Glückskranichen abgeordnet war, mache ich einen Rundgang. Das Haus ist geschmückt, in der oberen Etage sind Kimonos des Ateliers MO-A und Raku-Keramik sowie Steinzeug von Janet Lemcke ausgestellt. Auch unten scheint alles bereit zu sein. Die Sushiröllchen lagern in der Kühlvitrine, und mir läuft das Wasser im Mund zusammen.

Doch draußen sind die meisten Stände noch unbesetzt. Es ist schon fast halb drei, wo bleiben die? Lediglich in der zweiten Reihe hängt ein Japaner seine Bilder auf. Langsam und deutlich artikulierend, spreche ich ihn an – man weiß ja aus eigener Erfahrung im Ausland, dass das normale Sprechtempo der Einheimischen die Fremdsprachenfähigkeiten des Zugereisten meist überfordert.

Er antwortet mir in fließendem Deutsch, es blitzt sogar hin und wieder ein leichter süddeutscher Akzent auf. Kein Wunder, verbrachte Eici Sonoda doch nur sein allererstes Lebensjahr in Japan. 1959 kam er mit seinen Eltern nach Deutschland und verlebte seine Jugend in Baden-Baden. Heute ist er freischaffender Künstler in Berlin und malt „städtische Bilder“.

An diesem Freitag allerdings überwiegen die japanischen Motive: ein Schneesturm aus Kirschblüten, Bambuswälder, Tokioter Nahverkehr. Alles Impressionen seines Aufenthalts in Japan in diesem Frühjahr, zart und kraftvoll zugleich. Ich wünsche ihm viele Betrachter und betrachte selbst sorgenvoll den Himmel. Er ist wieder bedeckt.

Mittlerweile füllen sich weitere Stände. Heidrun Müller vom Kindermusiktheater „Zimbel Zambel“ erscheint mit einem dicken Märchenbuch in der Hand, um auf kleine und große Zuhörer zu warten. In der Falttechnik Origami hergestellte Papierkreationen werden ausgebreitet. Der zwölfjährige Felix Ambrus hat sie gefaltet. Er bezieht, ganz japanisch mit Kimono und Stirnband bekleidet, hinter einem Stand Position, um die Technik des Mangazeichnens zu zeigen. Ich melde mich bei ihm für später an. Das war ein Fehler. Er war immer besetzt.

Ganz am Ende der ersten Reihe sitzen vier Menschen sich paarweise gegenüber und scheinen sich völlig selbst zu genügen. Neugierig schlendere ich hinter ihnen entlang. Auf dem Tisch liegen Spielbretter, die denen vom Schach ähneln, allerdings in verschiedenen Größen und mit unterschiedlich vielen Feldern. Freundlich wird mir erklärt, dass hier Go gespielt wird.

Von einer Spielerin, die auf mich einen sehr fortgeschrittenen Eindruck macht (es stellt sich heraus, dass sie die Mutter der viermaligen deutschen Go-Meisterin ist), erfahre ich nicht nur Einiges über ihre in Korea Go studierende Tochter, sondern sie versucht auch, mich mit Unterstützung ihres Gegenüber, eines sehr philosophisch aussehenden älteren Herren, in die Grundlagen des Go einzuweihen.

Was ich aus ihren Erläuterungen mitnehme, sind Grundzüge der japanischen Kultur, die mir an diesem Abend immer wieder begegnen. Räume werden aufgeteilt, Fülle und Leere ergänzen sich, Harmonie ist das Ziel, Yin und Yan streben nach Gleichgewicht. Ruhe und Geduld sind Voraussetzungen für das Tun der Menschen. Das klingt gut, das zieht auch viele Europäer an, wie z. B. den rumänischen Maler Joan Lazeanu.

Im oberen Stockwerk improvisiert er auf der Koto, einem traditionellen japanischen Instrument. Es sieht aus wie ein längs vom Baumstamm abgeschnittenes Stück Holz, an dem noch die Rinde ist, und es ist mindestens einen Meter lang. Darüber sind auf kleinen weißen Kunststofftürmchen Saiten gespannt. Joan Lazeanu hat sich das Instrument aus Japan kommen lassen und spielt es jeden Tag. Als ich seinen Klängen lausche, habe ich das Gefühl, etwas von diesem geduldvollen Streben nach Gleichgewicht und der Kraft innerer Ruhe zu verstehen.

Es war eine gute Idee, das Koto-Spiel im Haus und etwas abgeschieden zu veranstalten, denn auf der Hofbühne geht eher die Post ab. Hier gibt es richtig was zu sehen. Am Beginn stehen Fächer- und Geishatanz der Gruppe „Dance of Life“. Die jungen Mädchen haben sich dem Showtanz verschrieben und befassen sich mit den verschiedensten Stilrichtungen, von HipHop bis asiatisch. Ihre japanischen Choreografien führen sie hier zum ersten Mal auf. Und die Sonne lacht.

Toll ist auch die Karatepräsentation. Die Karateka, der kleinste geht wahrscheinlich noch in die Kita, führen ihre Kunst als Geschichte vom Heiligen Samuraischwert vor, das der Sohn sich verdienen muss. Als heranwachsender Sohn bzw. Bösewichte, die das Schwert stehlen wollen, kommen alle Altersstufen der Gruppe „Danketsu“ zum Einsatz. Die von Musik untermalte Geschichte wird auf deutsch und russisch erzählt.

Nicht nur die Frauen sind von der folgenden Kimono-Modenschau des Ateliers MO-A entzückt. Grazile junge Damen führen dünne, von einem Gürtel gehaltene oder frei wallende, den Körper umspielende moderne Adaptionen des Kimonos vor. Mo Alschweig, Inhaberin des Ateliers, beschreibt die Alltagstauglichkeit ihrer Modelle, und ich bin wirklich angetan. Leider lag in ihrer Ausstellung im ersten Stock auch eine Preisliste.

Viele schöne Dinge wären noch zu beschreiben – die wundervollen Blumengestecke der Ikebana-Künstlerin Barbara Hübner, die geschminkten Masken nach dem Vorbild des Kabuki-Theaters, die Kalligraphievorstellung. Aber Eines muss noch gesagt werden: der Dank geht an Bärbel Ambrus, die das alles auf die Beine gestellt hat.

Es ist kurz vor neun, alles bis auf das abschließende Karaokesingen ist gelaufen. Bärbel Ambrus steht gelöst und glücklich da. Vor einem dreiviertel Jahr hat sie angefangen, sich mit der japanischen Kultur zu befassen. Sie wurde davon bezaubert und wird ihr Leben lang inspiriert bleiben. Als ich gehe, höre ich sie singen. Schön. Der Himmel hat sich wieder bewölkt. Es wird bald regnen.

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