Auf der Suche nach verschwundenen Sportplätzen

Monika Niendorf

10 Jahre Ortsspaziergänge in Baumschulenweg mit Helga Uhlenhut

In unserer Reihe „Eine/r von uns“ stellen wir verdiente Mitglieder und Mitarbeiter des Kulturrings e.V. vor. Heute: Helga Uhlenhut, Jahrgang 1942. Ihr Beruf: Lehrerin: 20 Jahre war sie in der DDR im Bildungswesen tätig. Noch vor der Wende wechselte sie in ein Büro in Berlin, das dann 1990 abgewickelt wurde - und sie wurde arbeitslos. Dabei hatte sie aber Glück, vom Arbeitsamt wurde ihr ein Jahreslehrgang für PC und Bürokommunikation bewilligt, den sie gut nutzte und der ihr die Grundlage für die verschiedensten Tätigkeiten und Aufgaben gab. So zum Beispiel für ein ABM-Projekt, in dem sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Aufbau einer Dokumentationsstelle für nichtstaatliche Frauenbewegungen in der DDR mitwirkte. Hier wurde sie vertraut mit der Frauenbewegung in Deutschland und dem Feminismus. Aus dieser Zeit existiert eine umfangreiche Broschüre, die viel Interesse im In- und Ausland fand. Aber wie das leider auch mit den interessantesten Projekten so ist - nach zwei Jahren war für Helga Uhlenhut Schluss, sie war aber um eine Lebenserfahrung reicher.

So kam sie 1995 zum Kulturbund Treptow. Eine Gruppe von zwei Wissenschaftlerinnen, einer Journalistin und einer Lehrerin, eben Helga Uhlenhut, sollte sich mit der Geschichte von Baumschulenweg beschäftigen, Leute dieses Ortsteils aufspüren, die aus den verschiedensten Gründen Spuren in ihrem Wohnort hinterlassen haben. Helga Uhlenhut machte in diesem Rahmen ihren ersten Ortsspaziergang, begleitet vom ganzen Projekt. Das war am 15. Mai 1996, sie gingen von der Ablage an der Spree bis zum ältesten Haus der Baumschulenstraße, der Nr. 34, in der sie freundlich empfangen und über die Geschichte des Hauses und ihrer Besitzer informiert wurden. Das war damals noch die Nachfolgefirma der PGH Elektrik. Hauptergebnis des Projektes aber war eine Ausstellung über 10 Persönlichkeiten, die der Grafiker Werner Laube mitgestalten half.

Aber was sollte aus den Ortsspaziergängen werden? Kulturbundmitglied Helga Uhlenhut machte einfach weiter. Und Reno Döring, der Projektleiter, war ihr immer ein verständnisvoller und hilfreicher Partner. Ohne die Unterstützung des Kulturrings gäbe es keine Ortsspaziergänge in Baumschulenweg. Helga Uhlenhut schmökerte weiter im Archiv, fand viel Interessantes und fand eine vielen „Mitläufern“ angenehme Art, kleinere und größere Gruppen zu führen und dabei ihr erworbenes Wissen weiterzugeben.

Sie hat mir heute verraten, dass sie eine durch Heirat Zugezogene ist, vom Ortsteil anfangs überhaupt keine Ahnung hatte und darüber immer sehr unglücklich war, so dass sie sogar einmal die Urlaubsvertretung einer Postzustellerin übernommen hatte, um überhaupt etwas von ihrer näheren Umgebung und den Nachbarn kennen zu lernen. Auch hat sie seit ihrer Kindheit eine besondere Liebe für Straßen und ihre Bewohner. Das konnte sie nun ausleben!

So wurden die Ortsspaziergänge eine Tradition, die über die Wechsel der ABM-Stellen, über Krankheiten weiter geführt wurden und immer vom Kulturring in Berlin e.V. / Kulturbund Treptow getragen und unterstützt wurden. Sie führt die Baumschulenweger nun schon über 10 Jahre durch alle Gassen, Ecken und Winkel, Häuser und Gartenanlagen, Sportvereine, Handwerksstätten und Schulen. Sie hat es verstanden, alteingesessene und zugezogene Baumschulenweger, Leute aus Nachbarbezirken und Weggezogene zu begeistern und anzulocken.

Über sechzig Mal zog Helga Uhlenhut nun schon mit ihrer wohlgefüllten Tasche, kopierten Unterlagen und vielen Fotos zu jedem Winkel von Baumschulenweg, bedeutend wurden diese dadurch für uns alle. Man weiß hier schon Bescheid, wenn an einem Nachmittag ein wahrer Pulk durch den Ortsteil wandert, ist der Ortsspaziergang vom Kulturbund unterwegs. Und Helga Uhlenhut erwartet niemals andächtiges Lauschen, sondern hat Bilder, Fotos, Pläne von Gebäuden und Straßen kopiert und zum Zeigen vorbereitet. Sie legt immer großen Wert auf die Erlebnisse der Einwohner. Vor allem die Ältesten konnten aus ihrer Kindheit, ihren Schul- und leider auch Kriegserlebnissen, von ihren Nachbarn und von längst verschwundenen beliebten Geschäften, von ihren Lehrern und Nachbarn berichten. Viele brachten wertvolle alte Fotos mit. Die hat Helga Uhlenhut kopiert und zu ihren Unterlagen hinzugefügt. „Alle sind Ortschronisten“, sagt sie immer.

Ich selbst habe an vielen Spaziergängen teilgenommen und immer wieder gestaunt, wie viele Details man beim aufmerksamen Gehen und Sehen durch unsere Straßen und auch in und an den alten Häusern entdecken kann. Da haben wir in einem Hausflur der Scheiblerstraße wunderschöne Jugendstilmotive entdeckt, die ich alleine nie gesehen hätte, am Rodelbergweg fanden wir an einem Haus in der Höhe des 1. Stockwerkes alte Metallhaken, Reste der Oberleitung der ehemaligen Straßenbahn, die hier einmal fuhr. Die Schienen wurden abmontiert, aber so kleine Reste hat man eben der Geschichte überlassen. Und heute bereits unwiderruflich verschwunden: Der Treidelweg am Teltowkanal Baumschulenweg. Helga Uhlenhut hat ihn uns noch zeigen können, bevor der Bau der neuen Autobahn hier am Teltowkanal begann und all die Relikte des über 100 Jahre alten Teltowkanal-Ufers unter dem Neubau verschwanden. Oder wir haben die über 100 Jahre alten Rotdornbäume und den Reitweg am Heidekampweg bestaunt, wo einst Herr Späth, der Begründer der weltbekannten Baumschule, mit seinen Pferden in Richtung Berlin ausgeritten ist.

Helga Uhlenhut und Herr Besser, der ihre Arbeit viele Jahre fotografisch begleitete, haben alles gesammelt bzw. aufgeschrieben und zu vielen dicken Akten „Ortsspaziergänge in Baumschulenweg“ zusammengestellt. Die Sammlung wird ständig erweitert und jeder, der Interesse hat, kann sie einsehen, im Kulturbundhaus in der Ernststraße 14/16. Und irgendwann wird daraus dann vielleicht eine richtige Ortschronik.

Helga Uhlenhut macht übrigens diese Ortsspaziergänge seit 10 Jahren ehrenamtlich beim Kulturring, und die nächsten Spaziergänge für den Herbst sind unter dem Motto „Verschwundene Sportplätze“ und „Verschwundene Verkehrseinrichtungen“ bereits geplant. Vielleicht treffen wir uns dann am letzten Donnerstag Nachmittag wieder beim Ortsspaziergang in Baumschulenweg mit Helga Uhlenhut?

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