Und das alles nur wegen der Liebe!

Dr. Klaus Berndl

Kulturring-Ausstellung im Bundestag: „Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft“

Der Gerichtsassessor Jürgen Riel schrieb 1939 eine Postkarte an seinen Schneider: „Im Winter 34/35 machten Sie mir einen schwarzen Anzug – jetzt haben wir 39, aber er ist noch tadellos und kleidet den Lektor bei festlichen Gelegenheiten nicht schlechter als er den Assessor kleidete. Heute bin ich genau zwischen New York und California, es ist eine prächtige Reise durch ein wunderschönes freies Land.“ Diese harmlosen Sätze haben einen bitteren Unterton. Jürgen Riel war 1935 anonym wegen § 175 StGB bei der Gestapo angezeigt worden und hatte fliehen können – als Assessor wußte er, was ihn erwartete. Er wurde in Prag gesehen, in Tokio vermutet: Die Gestapo fahndete noch Ende 1944 nach ihm. Wegen Verstoßes gegen § 175, nicht mehr. Deswegen war seine juristische Karriere vorzeitig beendet. Seinen Lebenslauf – soweit er bekannt ist – und die verschiedener anderer Verfolgungsopfer sind in der Ausstellung „Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft – Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit“ zu sehen.

Die Ausstellung baut auf dem biographischen Material auf, das die AG Rosa Winkel des Kulturrings in jahrelanger Forschung zusammengetragen und bereits 2003/2004 im Museum Mitte und im Kriminalgericht Moabit gezeigt hat. Für die Präsentation im Bundestag wurden die Biographien um Sachtafeln ergänzt, die zentrale Aspekte der Verfolgungsgeschichte aus den Lebensläufen ausführen. So bietet die neue Ausstellung die Möglichkeit, anhand dieser Schlaglichter die Verfolgung insgesamt in den Blick zu nehmen – und anhand der einzelnen Lebensläufe deren unterschiedliche Folgen für den Einzelnen zu erkennen. Es lohnt sich also auch für den, der die „alte“ Ausstellung bereits kennt, die „neue“ zu besuchen.

Konzeption und Gestaltung der Neupräsentation konnten Joachim Schmidt-Timmermann und ich gemeinsam erarbeiten. Wissenschaftliche Recherche verdanken wir den Mitgliedern der Projektgruppe Rosa Winkel, unter der Leitung von Joachim Wagner, der auch die Koordination der Arbeiten übernommen hat. Ohne die wissenschaftliche Anregung, Beratung und Mitarbeit der AG Rosa Winkel und insbesondere von Dr. Carola Gerlach, Dr. Klaus Jaschinski, Ursula Meinhard und Andreas Pretzel wäre die neue Ausstellung jedoch gar nicht möglich gewesen.

Schon am ersten Tag fand sie sehr großen Anklang. Sie wurde von Wolfgang Thierse, dem Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages, eröffnet. Volker Beck, MdB, sprach ein Grußwort, Dr. Gerhard Schewe stellte den Kulturring vor, und mit der Einführung in die Ausstellung war ich beauftragt.

Der Paragraph 175 RStGB wurde 1935 verschärft, wodurch die Notwendigkeit des Nachweises einer homosexuellen Geschlechtshandlung entfiel. Der neue Paragraph 175a ergänzte diese Vorschrift um Bestimmungen für die homosexuelle Variante verschiedener Sexualdelikte, auf die nun die Zuchthausstrafe stand. Das Ziel dieser Verschärfungen war, eine „Verführung“ zu verhindern – und damit die NS-Organisationen „rein“ zu halten. Homosexuelle wurden nach dem sogenannten „Röhm-Putsch“, also nach dem Mord an dem homosexuellen SA-Chef und anderen Regimegegnern, zu Staatsfeinden und bald darauf zu Volksfeinden erklärt – da ihre Sexualität nicht dem „Fortpflanzungsziel“ diente. Heinrich Himmler befürchtete, dass ein Volk, das wegen homosexueller Betätigung der Bevölkerung weniger Kinder zeuge, „den sicheren Schein für das Grab“ habe. Wie hanebüchen das ist, liegt auf der Hand: Homosexuelle hat es immer gegeben, und trotzdem ist kein Volk daran ausgestorben.

Aber aus diesem Fortpflanzungswahn heraus wurde es zum Ziel des Regimes, diese natürliche Äußerung menschlicher Sexualität zu bekämpfen. Dabei stand nicht die Verfolgung der Homosexuellen im Vordergrund, sondern die der Homosexualität. „Verführte“ sollten mit abschreckenden Strafen zur Rückkehr auf den „Pfad der Fortpflanzung“ gedrängt und „unverbesserliche Verführer“ dauerhaft aus der Gesellschaft entfernt werden. Es begann 1933 mit der Verdrängung aus der Öffentlichkeit und es endete für fünf- bis zehntausend Männer mit dem Tod im KZ. Allein in Berlin haben 500 Männer die Verfolgung nicht überlebt. Etwa 5.000 wurden hier vor Gericht gebracht und verurteilt, etwa 17.000 Männer wurden verdächtigt und verhört – reichsweit waren es etwa 50.000 Männer.

Die historische Aufarbeitung dieses Themas konnte eigentlich erst 1968/69 beginnen, als der § 175 in der DDR und der BRD abgeschafft worden war; die letzten Reste des Paragraphen 175a fielen erst im wiedervereinigten Deutschland, 1994. Im Jahr 2000 hat der Bundestag anerkannt, dass den Homosexuellen im Nationalsozialismus und im Nachkriegsdeutschland schweres Unrecht widerfahren ist. Das ist der Grund, weshalb unsere Ausstellung nun im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages gezeigt wird.

Die Ausstellung schließt mit der Erinnerung. Das letzte Plakat zeigt den Siegerentwurf des Kunstwettbewerbes für ein Denkmal für die homosexuellen NS-Opfer. Und im Zusammenhang mit der Präsentation aller Beiträge zu diesem Wettbewerb wird unsere Ausstellung vom 3. bis 14. Mai in der Akademie der Künste am Pariser Platz zu sehen sein – die Eröffnung findet am 2. Mai um 19 Uhr statt, der Eintritt ist frei.

Dieser Bericht soll mit einem Zitat schließen. Joseph V. schrieb Silvester 1942 aus dem KZ Dachau: „Wir gehen wieder auf Transport, liebe Eltern. – Aber wohin????! Was wird aus uns werden. – Von Neuengamme kam ich mit 500 Häftlingen nach hier, - 280 sind tot, sind durch den Kamin gegangen, wie wir sagen, da jeder der stirbt, verbrannt wird. – Werde ich Euch noch einmal lebend wiedersehen????! Oh, liebe Eltern, wenn Ihr wüßtet, was es heißt, Konzentrationslager. (...) Was wird nun werden aus mir!!? Auch Kamin???! O, liebe Eltern! bitte rettet mich, rettet mich, oder Euer Kind ist verloren, verloren im K.Z. sang und klanglos untergegangen im Konzentrationslager.“ Joseph V., geboren 1913 in Bochum, schrieb dies am 31. Dezember 1942. Am 9. Januar 1943 ist er im KZ Neuengamme gestorben.

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