Gekommen war ich, leise zu weinen ...

Tinija Heinlein-Müller

... und gegangen bin ich völlig überrascht: Ein Saal voller Zuhörer intoniert lautstark und inbrünstig den Refrain „Fado, grando Fado“ und fordert mit lang anhaltendem, rhythmischem Beifall mehrere Zugaben vom „Trio Fado“, um schließlich recht vergnügt durch die kalte Winternacht nach Hause zu ziehen. Dabei hatte Alina Martirosjan-Pätzold für diesen „Hohen Salon Spezial“ am 25. November 2005 im Saal der WBG Humboldt-Universität angekündigt: Fado ist die portugiesische Variante des Tango mit Melodien voller Sehnsucht und Melancholie. ...

Der Fado, portugiesisch für Schicksal, erfahre ich, ist im 19. Jahrhundert in den Armenvierteln und verruchten Kneipen Lissabons entstanden. Der Sänger oder die Sängerin wird von zwei Gitarren begleitet, die traditionell von Männern gespielt werden. Man erzählt, der Fado wurde in der Nacht geboren – bei etlichen Gläsern Rotwein, versteht sich. Und so handeln die Texte von unglücklicher Liebe und anderen tiefen Gefühlen, vom Leben der Menschen und der Sehnsucht nach besseren Zeiten. Das hört sich in etwa so an:

„Da ich vom Schicksal dazu bestimmt bin,

ein Mensch zu sein,

schlägt und leidet in mir

ein unsichtbares Herz,

das, von Sehnsucht und Schimären geplagt,

des Nachts nicht schlafen kann

und ich weiß nicht, warum. ...“

Die Sängerin des Trio Fado, Maria Lurdes, interpretiert die Lieder mit viel Gefühl und innerer Wärme – auch ohne Rotwein. Und sinngemäß erläutert sie hierzu: Der Fado gibt uns Portugiesen die Möglichkeit, mit Melancholie in unser Inneres zu schauen. In der Nacht wird den Gefühlen des Tages Ausdruck verliehen, sie werden mit dem Gesang ausgetauscht und verarbeitet. Nach dem gemeinsamen Weinen fühlen wir uns wohler und können entspannt nach Hause gehen.

Wie erlebt, funktioniert diese angenehme und beschwingte Art der „Gruppentherapie“ auch in Berlin-Hohenschönhausen – ohne Rotlichtmilieu. Wahrscheinlich ist dies nicht nur den Melodien und Texten geschuldet, die tief in unserem Inneren eine Saite des Menschseins anrühren. „Gefunkt“ hätte es ganz sicher nicht ohne die Meisterschaft des Trios, zu dem außerdem Antonio de Brito und Daniel Pircher mit seiner Portugiesischen Gitarre gehören.

Im Pausengespräch erzählt mir Daniel Pircher, ein in Berlin geborener und in Portugal aufgewachsener Österreicher, dass er ursprünglich aus dem Rockmusikbereich kommt. Doch der Fado sei genau die Hälfte, die ihm gefehlt habe. Diese innere Verbundenheit mit Portugal sowie das offene Eingestehen unserer großen und kleinen Schwächen mag das Geheimrezept des Trios sein, das die Resonanz beim Publikum herzustellen vermag. Ein älterer Herr gesteht, dass er dem Trio Fado begeistert durch die ganze Stadt folgt. Dies sei schon das dritte Konzert, das er besucht; während des Gastspiels in Armenien neulich hätte er ja leider nicht dabei sein können. Umso mehr freue er sich über die neue CD. ...

Ganz nebenbei: Die Rotweingläser wurden an diesem Abend zuerst geleert.

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