Ohnmächtig gespannt

Ingo Knechtel

schauen wir jeden Tag auf Corona-Zahlen und registrieren, wie der Umgang mit der Krise uns Betroffenen menschliche Eigenschaften klarer als sonst vor Augen führt. Sie reichen von Solidarität, Einsatzbereitschaft, Mitmenschlichkeit, über Verständnis und Einsicht, sachlicher Analyse und Transparenz sowie der Fähigkeit entschlossenen Handelns und Führungsstärke bis zu Egoismus und einer teilweise martialen Rhetorik. Natürlich befinden wir uns wegen Covid 19 nicht im Krieg. Trotz aller Einschränkungen und persönlichen Schicksalsschläge heute reicht ein Blick 75 Jahre zurück, um dies zu erkennen. Auch wenn die Corona-Krise uns alle beschäftigt, wollen wir mit diesem Heft nicht vergessen, dass sich das Ende des 2. Weltkriegs und die Befreiung Deuschlands vom Nazi-Terror im Mai zum 75. Mal jährt. Der Kulturring hat dazu bis heute verschiedene Projekte ins Leben gerufen, darunter Forschungen der Geschichtsfreunde Karlshorst und Interviews mit Pankower Zeitzeuginnen, die wir in diesem Heft vorstellen. Besonders sind diese Kultur News auch, weil sie in dieser für uns alle schwierigen Situation zeigen, wie sich eine Gesellschaft, über Nacht von einer fast totalen Stilllegung getroffen, auf sich selbst und die in ihr ruhenden Kräfte besinnt, sich anders organisiert und dann durchaus überlegt, ja solidarisch agiert. Digitale Lösungen, bisher für einige ein rotes Tuch, werden plötzlich in ihrer Nützlichkeit erkannt, sichern Kommunikation nicht nur zwischen Lehrern und Schülern, sondern reduzieren auch die Zahl der Dienstreisen enorm. Sie bieten zugleich Plattformen für Kreatives in Kunst und Kultur, das auch auf der Kulturring-Webseite deutlich wird. All das wird uns in Zukunft schneller voranbringen. Vielleicht nicht für jede/n erwartbar, ist aber auch klar geworden, wie wertvoll der echte menschliche Kontakt ist, wie sehr Freunde und KollegInnen fehlen, dass Künstler, Sänger, Schauspieler, Ausstellungen digital nicht den tatsächlichen Kunstgenuss vor Ort auf Dauer ersetzen können. Diese Zeit der Entbehrungen wird zum Glück irgendwann enden, darauf freuen wir uns. Wir haben als Verein in den letzten Wochen gespürt, dass bei all dem Innehalten uns in dieser Krise etwas Gemeinsames verbindet, dass unsere Überzeugungen, Ideen und Vorhaben aus der verordneten Ruhe neue Kraft reifen lassen, die uns optimistisch in die Zukunft schauen lässt. Wir sind dabei zu lernen, unsere Welt nicht zu beherrschen, sondern im Einklang mit ihr zu leben. Mit dieser Einsicht und der nötigen Demut ist ein kulturvolles und glückliches Leben möglich, können auch zukünftige existentielle Herausforderungen wie der Klimawandel mit dem nötigen Ernst und einem festen Willen bestanden werden. Denn ohnmächtig sind wir nicht!

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