Entsetzt

Ingo Knechtel

lese ich in diesen Tagen von Versuchen, rechte Politik in diesem Land wieder hoffähig zu machen, sie als bürgerlich zu bezeichnen. Enttäuschung schlägt bei manchen Bürgern offenbar in Gedankengut um, das längst überwunden schien. Und Gedanken folgte Handeln. Ein Freier Demokrat empfängt bereitwillig die Glückwünsche eines Faschisten für die gelungene Verhinderung eines linken Ministerpräsidenten. Vergleiche zur Vergangenheit drängen sich auf. In Thüringen amtierte erstmals in Deutschland am 23. Januar 1930 ein NSDAP-Staatsminister, nämlich ein Wilhelm Frick für das Ressort Inneres und Volksbildung. Später wurde er in Nürnberg als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt. Eben erst gab es bewegende Szenen des Gedenkens und der Erinnerung anlässlich des Jahrestags der Befereiung des KZ Auschwitz. Der Kulturring ist Teil eines Verbunds, der seit vielen Jahren die Ausstellung im Rathaus Schöneberg „Wir waren Nachbarn“ betreut. Wir berichten dazu in diesem Heft über die Veranstaltung zum Holocaust-Gedenktag. Unser Verein hat viele Projekte zur Erforschung jüdischen Lebens in verschiedenen Berliner Bezirken durchgeführt. Seine Projektgruppe Rosa Winkel beschäftigt sich intensiv mit der Verfolgung Homosexueller in Nazideutschland und bereitet eine weitere Ausstellung in diesem Jahr vor. An die geistigen Brandstifter von damals muss ich auch denken, wenn wir mit diesem Heft der Kultur News die Medienpoints des Vereins in den Mittelpunkt stellen. Medienpoints sind entstanden, weil Bücher Gedanken, Erkenntnisse und Gefühle von Menschen darstellen, die es zu erhalten und zu schützen gilt. Und die wir gern an andere weitergeben, ohne materielles Interesse. Kulturgüter waren schon immer das Ziel für hemmungslose Gewalttäter. Schaut man bei Wikipedia nach, dann findet man eine lange Auflistung, die von der „Reichsreinigung“ durch einen chinesischen Kaiser 213 v. Chr. bis in die Gegenwart einer „digitalen Bücherverbrennung“ reicht. Verstörend nur, was Heinrich Heine schon 1821 voraussah: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Aus all diesen Erfahrungen heraus ist es so wichtig, uns für das Kulturgut Buch einzusetzen, egal ob in Papier- oder Digitalform. Und es ist uns wichtig, das ganzheitlich zu tun, also das Lesen mit anderen kreativen Aktionen zu verbinden, die Bildung insgesamt im Auge zu haben. Und nie zu vergessen, mit dem nötigen kritischen Ansatz. Denn haben Sie sich schon einmal gefragt, warum Menschen den rechten Rattenfängern leider so bereitwillig folgen?

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