Ideenpower On Air | Buntes Podcasttreiben in Marzahn-Hellersdorf

Karl Forster

Seit rund 100 Jahren können wir Radio hören. Wahlweise Informationen oder Musik. Und trotz des Booms der Fernsehindustrie einerseits und zugleich der Entwicklung tragbarer Musikspielgeräte wie Kassettenplayer, CD-Player oder Ipods, hat sich der Rundfunk gehalten. Gerade für kulturelle Beiträge spielte Radio lange eine wichtige Rolle. Aber von Anfang an hatte er ein Problem: Man musste zu einer festen Zeit am Rundfunkempfänger sein, um eine im Programm angekündigte Sendung zu hören. Auch tragbare Radioempfänger änderten diese Notwendigkeit  nur teilweise, weil man bei bestimmten Arbeiten oder Veranstaltungen nicht parallel dazu Radio hören konnte.

Mitte der 2000er Jahre entstand eine originelle Idee. Längst konnte man Musik- oder Textbeiträge aufgezeichnet auch im Internet finden und sich anhören. Nun sollte das mit der Radio-Idee verbunden werden. Man konnte „Sendungen“ rundfunkähnlich erstellen, sie im Internet speichern und den Interessenten die Möglichkeit geben, diese Beiträge einzeln oder als Abo abzurufen, unabhängig von der Zeit. Der Name war einfach gefunden. Der Ausdruck "Podcast" setzt sich aus den Wörtern "iPod" (ein bekannter Musik- und Mediaplayer von Apple) und "Broadcast" (Englisch für "Sendung" oder "Übertragung") zusammen. Der Begriff wurde geprägt, weil Podcasts ursprünglich oft auf den iPods und anderen tragbaren MP3-Playern gehört wurden. Das Beste: Die technischen Möglichkeiten boten nun beinahe jedermann die Möglichkeit, seine eigenen regelmäßigen „Sendungen“ zu produzieren. Eine Vielzahl von Beiträgen zu allen möglichen und manchmal auch „unmöglichen“ Themen gingen on Air.

In der Zeit der Corona-Pandemie waren viele Menschen davon betroffen, bei  Veranstaltungen nicht aufzutreten zu können. Dafür konnte man seinen Vortrag oder sein Gespräch nun via Podcast dem Hörpublikum nahebringen. Und ebendiese Möglichkeit wurde auch regional genutzt. In Marzahn-Hellersdorf wurde das Instrument Podcast in der Corona-Zeit entdeckt. Veranstaltungen wurden abgesagt und an vielen Stellen versuchte man, dennoch Kontakte zu pflegen. So hat bereits Ende März 2020, kurz nach Beginn des ersten Lockdowns, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Petra Pau von der Partei DIE LINKE über einen Podcast begonnen, Teile ihres 2015 erschienenen Buches „Gottlose Type“ zu lesen. Jeden Donnerstag, immer in kleinen Fünf-Minuten Häppchen. Ein Ersatz für die sonst durchgeführten Lese-Veranstaltungen. Mit dem Vorteil, dass man es nicht zu der fixierten Veranstaltungszeit hören musste, sondern es auch später (bis heute) nachhören konnte. Ein Jahr lang, dann war das Buch komplett gelesen.

Schon vor Corona hatten im Januar 2020 die queeren Social Media Ikonen @sergidarling und @zerspielt aus Marzahn mit dem Scenepodcast begonnen. Thematisiert wurden das aktuelle Weltgeschehen, persönliche Geschichten und zudem wurden auch Zuschauerfragen via Instagram beantwortet. Ein Podcast zum mitfiebern, Spaß haben und kichern. Jede Ausgabe mit einem komplett neuen Thema. Begonnen wurde natürlich mit dem Thema Sex, gefolgt von einem Gespräch über das Leben als Homosexueller auf dem Land und in der Stadt. Doch schon nach fünf Folgen war die Serie im April 2020 beendet. Ist aber natürlich heute noch im Netz zu finden.

Die Mitarbeiter:innen der Bezirksbibliothek wurden gefragt, ob sie in der Lockdown-Zeit auch zu Hause blieben. Daraus entstand die Idee von einem „Tagebuch einer geschlossenen Bibliothek“. Jeden Tag wollten Mitarbeiter:innen kurz erzählen, „über die Arbeit, die wir hinter den verschlossenen Türen verrichten“. Es ging darum einmal darzustellen, was an Arbeit, unabhängig von den Öffnungszeiten, fortlaufend getan werden muss. Renate Zimmermann hatte dazu ihre Kolleginnen und Kollegen interviewt. Ein erster Beitrag war z.B. mit Christoph Kaltenborn aus der Musikbibliothek. Ein Weiterer berichtete über die Arbeit der Azubis beim Putzen. Bald waren aber nur noch wenige in der Bibliothek anzutreffen. Ein Teil der Mitarbeiter:innen wurde vom Gesundheitsamt angefordert, wo man jetzt viel Arbeit hatte. Andere gingen ins HomeOffice. Da wurden die Texte eben im HomeOffice produziert. Und auch ein Ersatz für eine Lese-Veranstaltung entstand so. Die Autorin Birgit Letze-Funke las nun für den Podcast. Längst ist die Bibliothek wieder geöffnet, Veranstaltungen finden wieder statt. Doch die Idee des Podcast hat sich erhalten. Unter der Bezeichnung „Mittwochs in der Bibliothek“ wird nun wöchentlich berichtet. Und trotz der inzwischen über 220 Beiträgen, die nach wie vor abrufbar sind, fällt Renate Zimmermann immer noch Spannendes ein. Inzwischen gibt es eine weitere Podcast-Reihe der Bibliothek: Schwebende Bücher on Air. Bibliothekarinnen stellen alle sechs Wochen in gemütlicher Runde die Bücher vor, die sie in dieser Zeit gelesen haben und für empfehlenswert halten. Die ausgewählten Bücher werden besprochen, wobei sowohl Lob als auch heftige Kritik zu hören ist. Die Besucherinnen und Besucher werden einbezogen, sie können ihre Leseerlebnisse mitteilen. Diese Beiträge werden mitgeschnitten und als Podcast veröffentlicht.

Einen anderen Zugang zu diesem Medium fand Susanne Bayer. Als Künstlerin in den Bereichen Installation / Objekt-, Konzept- und Medienkunst erhielt sie den Auftrag, für die entstehenden Unterkünfte für Geflüchtete in Marzahn ein Kunst-am-Bau-Projekt zu konzipieren. Die Idee: Gemeinsam sollten Bewohner:innen der Unterkünfte mit Anwohner:innen eine Rundfunksendung entwickeln. In den Beiträgen sollte vom Ankommen in Marzahn, Berlin, Deutschland, den Erfahrungen mit dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, über spannende Projekte, aber auch über Erfahrungen mit Rassismus ebenso berichtet werden, wie über Traditionen, Feste und Musik. Damit die Sendungen über UKW auch gehört werden können, wurde in jede Küche der Unterkünfte ein kleines Radio montiert. Doch die gute Idee bedurfte einer zweiten Idee, denn während der Sendezeit am Nachmittag waren viele nicht anwesend. Man kam darauf,  Beiträge auch als Podcast zur Verfügung zu stellen. So können sie jederzeit abgerufen werden. Der Titel: „Marzahn am Mikro“. Vorläufer war eine kleine Reihe unter dem Titel „Vor Ort: Marzahn-Hellersdorf“. Mittlerweise arbeiten in dem Verein RadioConnection 15 Personen aus sieben Ländern in mehr als acht Sprachen an den Beiträgen, die immer zweisprachig, also auch auf Deutsch verständlich sind. Man gerät ins Staunen, was sich auf diese Weise über den eigenen Bezirk erfahren lässt.

Inzwischen gibt es zahlreiche weitere Podcasts aus Marzahn-Hellersdorf. Schülerinnen und Schüler der Rudolf-Virchow-Oberschule produzieren einen eigenen Podcast. „Was passiert an der Schule, im Kiez und in der Welt?“ ist das Thema. Das Kinder- und Jugendparlament des Bezirks hat ebenfalls einen Podcast gestartet. In der ersten Folge interviewten sie natürlich die Bezirksbürgermeisterin. Im Netz findet man aber beispielsweise auch die Predigten der Hellersdorfer Evangeliums-Christen-Gemeinde, Beiträge der Mozart-Schule Hellersdorf aus den Jahren 2020/21. Auch in anderen Podcastvarianten kommen Themen aus Marzahn-Hellersdorf zur Sprache, etwa im Kulturpodcast „Die Kulturfritzen“ von Marc Lippuner. In „Mosaiksteinchen“, wie es der Autor nennt, von unterschiedlicher Länge gibt es in variabler Folge Kultur in und aus Berlin. So beispielsweise eine Unterhaltung mit Petra Pau, in der Anekdoten aus dem Bundestag zur Sprache kommen – ein lohnenswerter Podcast. Das einzige Problem: Nicht alle Podcasts sind über alle Podcast-Portale zu finden. Ein wenig Suche im Netz ist also gelegentlich sinnvoll.

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