Ein Eldorado für Alle - Medienpoint Crellestraße | Armin Hottmann im Gespräch mit Friederike Büchner

Auch in der Crellestraße ist der Winter eingebrochen. Im dem großen Café an der Ecke sind alle Tische zusammengestellt und warten auf die erste Frühlingswärme. Ich habe mich heute mit Friederike Büchner im Medienpoint Crellestraße verabredet, um mehr über einen der acht Medienpoints des Kulturrings herauszufinden. Gerade als ich mich dem Laden nähere, kommt ein Fahrradfahrer mit einer kleinen Kiste an, um aussortierte Bücher dem Medienpoint zu schenken. Ein Schild am Eingang erwähnt „3 Medien zum Mitnehmen am Tag”. Schon bin ich mitten im Medienpoint angekommen:

Friederike Büchner: „Der Medienpoint,  Treffpunkt für Medienliebhaber, Eldorado für Finder, Integrationsprojekt, eine umweltfreundliche Re-Use Initiative, ein Umsonst-Buchladen vor allem für Bedürftige, ein Projekt zur Förderung der Lesekultur. Die Leute bringen uns alles, was in den Berliner Haushalten vorhanden ist, ob nun die Kinder ausgezogen sind oder der Partner gestorben ist, alles kommt hier an. Wir bieten auch einen Abholdienst. Und da die Leute nichts wegwerfen wollen, sind sie so froh, dass wir ihnen diese Entscheidung abnehmen.“

Zu den Medienliebhabern gehöre ich auch, und ich bemerke, wie meine Augen während des Interviews die Schätze in den Regalen untersuchen. Medienpoints gibt es beim Kulturring schon seit fast zwanzig Jahren. Entstanden ist die Idee von Astrid Lehmann mit einer „Bücherkarawane” im Medienpoint in der Senefelderstraße in Pankow. Ein Konzept wurde für die Förderung von Langzeitarbeitslosen für den zweiten Arbeitsmarkt entwickelt und dem Jobcenter angeboten. Daraus entwickelten sich Medienpoints in vielen Bezirken in ganz Berlin. Warum möchte das Jobcenter solch ein Projekt finanziell fördern, frage ich mich.
Friederike Büchner: „Das Jobcenter möchte von uns, dass wir ein arbeitsmarktpolitisches Instru­ment umsetzen, um Menschen, die lange arbeitslos waren, wieder einzugliedern. Die Teilnehmer*innen finden eine Struktur, sie arbeiten im Team, sie bekommen eine Aufgabe, und werden von mir in das ganze System eingeführt, wie dieser Laden überhaupt funktioniert. Und dann muss man im Team sehen, wie kommt man zurecht, weil wir ja recht gemischt sind: Thailänder, Türken, Syrer und natürlich Berliner. Also sozusagen alles durcheinander. Wie finde ich mich hier zurecht, und wie kann ich das, was ich eigentlich kann, einbringen? Und passt solch ein Job überhaupt zu mir? Und wenn man sich einigt, dann wird man im Medienpoint eingearbeitet, und ich hoffe immer, dass unsere Teilnehmer am Schluss sagen, dass sie etwas Gutes mitgenommen haben. So dass wir alle eine Win-Win-Situation haben.“

Ich bemerke, wie im Hintergrund eine neue Lieferung angekommen ist und die Medien sortiert und verteilt werden. Schon eine Stunde vor der Öffnung wird der Laden aufgeschlossen, ein wenig aufgeräumt, Lücken in den Regalen gefüllt und die Angebote vor dem Laden aufgebaut. Wie hat es mit dem Medienpoint in der Crelle begonnen?

Friederike Büchner: „Vor fünfzehn Jahren hat Aninka Ebert, meine Vorgängerin, hier alles aufgebaut. 2012 bin ich dann in den Laden gekommen und habe ein für mich funktionierendes Mediensystem eingerichtet. Wir ordnen nach Genres, und draußen bieten wir nur die besten Sachen an. Und so haben wir hier ein vielseitiges Angebot an Kinder-, Weltliteratur, Lyrik, Comics, Belletristik. Wir haben ein großes englisches und französisches Sortiment, aber manchmal auch niederländische oder schwedische Bücher. Und ein wenig türkisch, arabisch und hebräisch, etwas chinesisch, das sich sicher noch erweitern wird. Der Medienpoint ist ein Eldorado für Finder, aber nicht unbedingt für Sucher. Bestimmte Bücher sind nicht unbedingt vorhanden, aber wir können dafür einen Tipp oder eine Idee geben, und dann wird eventuell etwas anderes mitgenommen. Wenn das gewünschte Buch doch noch eintrifft, legen wir es für den Kunden zurück. Das heißt, wir kennen unsere Kunden und wissen, was sie lieben oder suchen. Das ist ein Extraservice, den wir als gemeinnütziges Projekt anbieten können.“

Meine Augen sind an einem Brettspiel aus meiner Kindheit hängen geblieben. Also dreht es sich beim Medienpoint nicht nur um Bücher?

Friederike Büchner: „Wir haben Bücher, Schallplatten, Hörspiele, CDs, DVDs, Kassetten und die guten alten Videokassetten. Es kommt alles hier an, was so im Umlauf ist – Noten, Mathematikhefte, Biologie, Botanik, Flora, Fauna, Kinderliteratur, Spiele oder Puzzles. Und es hat sich auch in den letzten Jahren einiges verändert, dadurch, dass sich die Struktur im Bezirk verändert hat. Es ist zwar immer noch sehr homogen, aber es ist so, dass die Leute eher hochwertige Bücher bringen. Viel besser erhalten, teilweise auch neu, die Qualität hat sich deutlich gesteigert. Und dadurch, dass der Kulturring auch immer wieder einen Abholservice bieten kann, sind die Geber natürlich sehr glücklich. Wir bekommen oft Kisten über Kisten. Es kam vor, dass wir eintausend Bücher an einem Tag bekommen haben, was wir natürlich dem Kunden wieder zurückgeben können. Kostenlos, aber natürlich auch gern für eine Spende für die gemeinnützige Arbeit des ­Kulturrings.“

Die Mitarbeiter des Medienpoints erzählen mir, dass vor allem DVDs, Krimis, Belletristik und Weltliteratur besonders beliebt bei den Kunden sind. Aber welches Publikum kommt hier eigentlich in den Laden?

Friederike Büchner: „Positive Interaktion, Nachbarschaftskultur, internationales Publikum, weil wir kompetent und offen sind mit einer ungezwungenen Zuvorkommenheit. Als erstes haben wir eine große Laufkundschaft. Wer den Laden hier im Kiez kennt, kommt auch ein zweites und drittes Mal vorbei. Wir haben hier eine wundervolle Straße, die Crellestraße. Der eine Punkt ist der Kaiser-Wilhelm-Platz mit Shoppingcenter, auf der anderen Seite gibt es den großen Crelle-Markt. Das heißt, es findet hier eine kleine Völkerwanderung statt, und die Menschen halten bei uns an und kommen hier rein. Auf der anderen Seite befindet sich ein kleines Café, das eine Asiatin betreibt, sie holen Bücher für ihre Thai-Küche. Der Schwabe bekommt auch immer Bücher aus dem Süden oder bringt uns etwas vorbei. Oder wir geben dem Stadtteilzentrum Spiele ab. Kinder kommen mit ihren Hausaufgaben zu einem bestimmten Thema und suchen sich etwas aus. Das klappt gut. Und dadurch, dass wir im Sommer, oder wenn das Wetter gut ist, eine super Außenpräsentation haben, zieht es die Leute noch mehr zu uns rein. Aber wir haben auch Stammkunden, die aus ganz Berlin kommen. Im Sommer hatte ich mich entschieden, den Laden einfach mal länger offen zu halten. Und dann kamen auf einmal Leute aus dem Kiez, die tagsüber wegen ihrer Arbeit nicht kommen konnten. Und dieses Publikum kommt jetzt nach 18 Uhr bis abends um 21 Uhr, und sie sind absolut begeistert. Das ist ein ganz großes Dankeschön, dass wir das möglich gemacht haben.“

Aber das Team von Friederike Büchner geht noch weiter, und es ist erfinderisch. Vor kurzem hat es einen Kontakt mit der Jenny-De-la-Torre-Stiftung aufgebaut, um dort im Gesundheitszentrum für Obdachlose eine Reclam-Bibliothek mit den handlichen Büchern anzubieten. Oder für das naheliegende Gesundheitszentrum Zeitschriften, wenn Leute zur Behandlung kommen. Ein wachsendes Netzwerk, wo Verbindung über Medien entstehen, wo Welten sich auftun, die sonst nicht zu sehen sind.

Friederike Büchner: „Wenn ich weiß, dass jemand eine Boxer-Karriere hinter sich hat, dann sammeln wir für ihn auch Boxer-Bücher. Und dafür bekommen wir dann eine große Schachtel Schokoküsse. Oder man nimmt die Angebote von ihnen an: ‚Kommt doch mal zum Boxunterricht, guckt euch das mal an.‘ Warum nicht? Die Leute, die hier arbeiten, haben alle ein Spezialgebiet. Es gibt Leute, die kennen sich super in Science-Fiction aus, andere in Actionfilmen oder in der Weltliteratur. Das Wissen wird weitergegeben, und durch diese Inspiration erfolgt die Kommunikation. Und das ist das, was wir wollen. Das, was die Politik sozusagen im Großen sich wünscht, machen wir hier im Mikrokosmos. Hier findet alles statt. Dank des Jobcenters, dank des Kulturrings und dank der vielen Spender, die uns so viel bringen, damit es hier gut läuft. Und es läuft gut.“

Das ist doch ein schöner Schluss, denke ich. Friederike Büchner hatte mir noch mehr erzählt. Darüber, dass zum Beispiel auch Menschen aus Köln, die in Berlin zu Besuch waren und den Medienpoint erlebt haben, Kartons mit Büchern nach Berlin geschickt haben. Und dass die Idee des Medienpoints vielleicht auch mal in Westdeutschland verbreitet werden sollte.
Ich finde es spannend, wie in dem Laden Teilhabe erlebbar wird, wie im Team ohne Hierarchien gearbeitet wird. Und wie eine Beschäftigung auf dem zweiten Arbeitsmarkt so sinnvoll sein kann und mit Leben erfüllt wird.

 

Medienpoint Schöneberg Jahresstatistik 2019

21.684 Besucher kamen
99.013 Bücher wurden angenommen
74.382 Bücher wurden abgegeben

60 Sekunden Schaufenstergestaltung
Alexandra von der Heyde produziert mit sehr großem Engagement 60 Sekunden lange Videos über den Kulturring. Zu sehen sind Aktionen, Projektarbeit, Medienpoints, aber seht lieber selbst:
www.kulturring.berlin/60sekunden

Wussten Sie schon, dass im Medienpoint Steglitz in der Deitmerstraße zur Zeit spannende Lichtbildervorträge über Reisen in ferne Länder stattfinden? Am 05.03. können Sie den Zauber des Orients – Syrien, Jordanien, Ägypten kennenlernen, am 02.04. geht es ins Land der goldenen Pagoden nach Myanmar (Burma) und Thailand. Referent ist Norbert Henning, der Eintritt ist frei.
Und natürlich können Sie bei der ­Gelegenheit auch in den Bücher­regalen des Medienpoints stöbern.

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