Benno Radke: Vom Blüten-Benno bis zum Hauptmann von Köpenick

Dagmar Steinborn

„Da kann man Waden seh´n, rund und schön im Wasser steh´n!“ singt Benno Radke. Und nicht nur das. Sein Repertoire ist schier unerschöpflich. Der Schlager- und Coupletsänger, Schauspieler und Humorist hat das Talent, die gute alte Zeit, also die Zeit um 1900, wieder lebendig werden zu lassen. Als Solist oder zusammen im Duett mit seiner Partnerin Gerda Buchholz, der Sängerin Dörte Siebecke, singt und spielt er die wundervollen Schlager der damaligen Zeit - natürlich immer im historischen Kostüm und mit gepflegtem „Kaiser-Wilhelm-Bart“. Seit frühester Kindheit ist Benno Radke der Musik und Kultur dieser Zeit verfallen. Er widmet sich nicht nur den Couplets von Otto Reutter und Claire Waldoff, sondern auch den Gassenhauern Friedrich Hollaenders. Beliebte Titel wie „Wat braucht der Berliner um glücklich zu sein?“ oder „Das Nachtgespenst“ bringt er auf die Bühne.

Ob beim Leipziger Opernball, im Hotel Adlon, in der Kulturbrauerei, auf dem Fernsehturm, bei Benefiz Veranstaltungen, dem Kabarett „Brettl“, dem Zille-Museum sowie in diversen Wohnzimmern, Kneipen und Lokalen, immer begeistert Benno, genannt die „Nachtigall von der Ackerstraße“, sein Publikum. Heute gehört der vielseitige Künstler zum festen Bestandteil der Kultur im Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Mit seinen unterhaltsamen Programmen ist er ein gern gesehener Gast im MAXIE-Treff, betrieben vom Kulturring in Berlin e.V.

Der Künstler erinnert sich noch genau, wie er mit sechs Jahren die erste Grammophonplatte hörte: Rudi Schuricke mit „Ein wunderschöner Traum“. Für den Jungen war das ein prägendes Erlebnis, das seinen Lebensweg beeinflussen sollte. Seitdem sammelt er alte Tondokumente. Heute, mehr als 50 Jahre später, umfasst seine Sammlung ca. 5.000 Schellackplatten. Zwischen 1901 und 1962 benutzte man bei der Herstellung zur Oberflächenversiegelung Schellack, daher der Name.

Alte Schlager haben Benno Radke schon immer begeistert. So ist es nicht verwunderlich, dass er sich als Kind sehnlichst ein eigenes Grammophon wünschte. Zu seinem 10. Geburtstag war es dann soweit. Mit 15 Jahren stand er das erste Mal auf der Bühne und trug anlässlich einer Schulaufführung alte Schlager vor. Doch nicht allein die Musik als solche interessierte ihn, auch deren Geschichte und die der Phonographie.

Später, nach seinem erlernten Beruf als Einzelhandelskaufmann – er arbeitete im Haupterwerb als Verkäufer in einem Baumarkt – widmete sich Benno dem Kabarett, gründete eine eigene Kabarettgruppe und trat mit unterschiedlichen Programmen auf,  im Rahmen von Straßenfesten und auf Kleinkunstbühnen. Er nahm Schauspiel- und Gesangsunterricht und spielte Stehgreiftheater. Öfter verkörperte er den jungen Liebhaber, doch diese Rolle langweilte ihn bald. In Film- und Fernsehproduktionen u.a. in „Stauffenberg“, „Der Templer“ oder „Effi Briest“ hatte er kleine Auftritte.

Als der Künstler dann 1996 zu Berlins ältestem Theaterverein kam, der sich hauptsächlich auf Alt Berliner sowie 1920er-Jahre-Programme spezialisiert hatte, fand er seine wahre Berufung. Bald gestaltete er eigene Programme. Seitdem singt und spielt er auf den verschiedensten Bühnen, z. B. der „Neuköllner Oper“, aber er tritt auch in Senioreneinrichtungen oder bei öffentlichen Veranstaltungen auf. Seine Parodien von Hans Albers, Theo Lingen, Hans Moser und Heinz Rühmann sind zeitlos. Und er schreibt eigene Texte im historischen Stil, wie das „Knutlied“ oder „Weihnachten bei Zickenschulze“. 2010 gründete er zusammen mit Albrecht Hoffmann „Zilles Stubentheater“ in Köpenick. So wurde er als „Blüten-Benno“ bekannt. Außerdem betreibt er das östlichste Theater Deutschlands, das „Theater im Bahnwaggon“ in Groß Neuendorf an der Oder. Im Salonwagen wird es dann richtig gemütlich, wenn die Musik ertönt.

Zur Höchstform läuft Benno auf, wenn er sich als Schuster Wilhelm Voigt die Uniform anzieht. Dann ist er der „Hauptmann von Köpenick“! Sogar bei den beliebten „Kaisertagen“ in Heringsdorf auf der Insel Usedom ist er gern gesehen, wenn er mit seiner Hauptmannsgarde dort erscheint. Natürlich mit Pickelhaube oder blau-weiß-gestreiftem Badeanzug. Genauso, in der Hauptmannsuniform, mit Bart und strammer Haltung, führt er Berliner und Touristen durch Köpenick, berichtet aus der Geschichte des Ortes, erzählt so manche Anekdote und nimmt seine Zuhörer mit in eine längst vergangene Zeit. Am Rathaus Köpenick steht die Bronzefigur des echten Hauptmannes, der ja keiner war. Benno Radke hätte dafür Modell stehen können, denn Körpergröße und Figur sind identisch. Benno ist eine echte Berliner Pflanze, 1962 im Berliner Wedding geboren und aufgewachsen. Er beherrscht seine „Muttersprache“ - das Berlinische - perfekt. Deshalb ist er auch so authentisch, wenn er in seine Rollen schlüpft. Eigentlich spielt er sie gar nicht, er lebt sie.

Nicht weit entfernt vom Rathaus ist Benno zu Hause. Seine vielen Sammelstücke und Kostüme brauchen Platz. Augenzwinkernd meint er: „Ick hab´ ´nen Kleiderschrank wie ´ne Frau!“ Wenn er sein Grammophon anstellt, sich alte Originalaufnahmen anhört oder sich für kommende Auftritte vorbereitet, fühlt er sich wohl. Seine Wohnung ist eine Zeitkapsel um 1900. Alles ist stilecht: Möbel, Gardinen, Bilder, Musikapparate und die alten Familienfotos.

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