Besuch in Berlin-Bohnsdorf

Hannelore Sigbjoernsen

Es brauchte seine Zeit bis wir, Brigitte Silna, Uwe Lauterkorn und ich, einen Termin fanden, um in der Kulturküche Bohnsdorf ein Gespräch mit der Chefin des Hauses führen zu können. Es braucht auch seine Zeit, um von Prenzlauer Berg nach Bohnsdorf in die Dahmestraße zu gelangen, zumal ortsunkundig. An der Grünauer Bushaltestelle traf ich zufällig Brigitte Silna, und nach zwei Stationen kamen wir schnell zur Kulturküche. Da bis zum Gespräch noch etwas Zeit blieb, schaute ich mir die aktuelle Ausstellung „Klang der Stadt“ an: Fotografien der in Prag geborenen Fotografin und Mediendesignerin Zuzana Richter und des Fotografen Lutz Liebe. Vielfältige Stimmungsbilder, gewagte Bildinszenierungen, Fotos von Jazz-Konzerten und Musikern, die das perfekte Beherrschen der künstlerischen Fotografie Beider unter Beweis stellen.

Als Uwe Lauterkorn eintraf, um uns für das Heft zu fotografieren, fanden wir schnell zu einem gemeinsamen „Du“, wodurch eine angenehme Vertrauensbasis für das Gespräch entstand. Während wir uns bei einem Kaffee „warmliefen“, stellten wir fest, dass es überall im Kulturring engagierte Menschen gibt, deren Leben erzählenswert wäre. Nun Brigitte. Das monatlich in Bohnsdorf angebotene Programm ist hochkarätig und wird jeden Nachfol­ger, bzw. Nachfolgerin, ab 2024, wenn Brigitte dann endgültig in den Ruhestand geht, vor die schwere Auf­gabe stellen, dieses Niveau zu halten.

Ich denke, sie hat die Bohnsdorfer Einwohnerschaft reichlich verwöhnt. Mit Veranstaltungen und Angeboten, wie zum Beispiel Vorträgen, Gesprächen, Lesungen, Ausstellungen, Musikveranstaltungen, Filmvorführungen und Kursen für Jung und Alt. Oft, wenn ich in den Kultur.txt die Themen und Namen der Mitwirkenden lese, denke ich: Stünde das Haus doch bei mir um die Ecke!

Wie kam Brigitte Silna überhaupt in den Kulturring und nach Bohnsdorf? Sie erzählte, dass sie eigentlich erst seit dem 1. Januar 2000 wieder ihren festen Wohnsitz in Berlin-Baumschulenweg habe. Bis dahin gab es für sie ein häufiges Pendeln zwischen Berlin und Prag. Die Liebe hatte sie in diese Stadt verschlagen, dort hatte sie über viele Jahre Fuß gefasst. Später musste sie sich mit ihren beiden Kindern allein durchschlagen, konnte aber in der damaligen ČSSR ihre Zweisprachigkeit nutzen, um als Freiberuflerin unter anderem Übersetzungen anzufertigen und für Presse und Funk zu arbeiten. Das Ende der Tschechos­lowakischen Sozialistischen Republik in Prag mitzuerleben, war für sie nicht weniger aufregend als für die Berliner der Mauerfall und das Ende der DDR. Ihr Herz hängt jedoch noch sehr an der Moldau­stadt, denn Kinder und Enkel leben dort. Sie wünscht sich, dass sie trotz ihrer schmalen Rente künftig wieder häufiger nach Prag reisen kann, zumal es scheint, dass die ­ältere Enkeltochter in Omas Fußstapfen steigen könnte.

Damals in der DDR hatte Brigitte das Abitur mit Berufsausbildung als Industrieschneiderin absolviert, das war ein Bildungsprogramm Mitte der 1960er Jahre. Mit ihren damals achtzehn Jahren war der Traum von einer Karriere als Eiskunst-, später als Eisschnellläuferin, schon ausgeträumt. Doch was „das Hänschen lernt …“, also was sie während ihrer Zeit auf der Sportschule erwarb, nämlich Disziplin, Zielstrebigkeit, Risikobereitschaft und Empathie für die Gemeinschaft, das hatte sie tief verinnerlicht, das hat sie geprägt. Dies zahlte sich auch für das erfolgreiche Abitur an der Heinrich-Schliemann-Oberschule in Prenzlauer Berg aus. Vielleicht war es eine glückliche Fügung, nach Schul- und gleichzeitigem Lehrabschluss bewarb sie sich an der im Osten Berlins renommier­testen Kunsthoch­schule in Weißensee für das Fach Kostüm- und Bühnenbild und wurde aufgenommen. Fünf harte Studienjahre folgten. Sie waren durch Heinrich Kilger (1907–1970) geprägt, der es mit seinen Bühnenbildern für die großen ostdeutschen Theater zu gehörigem Ruhm gebracht hatte. In seinem Studiengang wurde nichts ausgelassen, das zum Theaterfach gehörte. Theoretisches wurde nicht weniger gepaukt als Praktisches abgefordert. Sie schloss ihr Diplom theoretisch mit der Ausstattung von Bulgakows Stück „Iwan ­Wassiljewitsch“ ab und realisierte praktisch die Ausstattung für Plenzdorfs „Die neuen Leiden des Jungen W.“ am Neu­strelitzer ­Theater.

Als Bühnen- und Kostümbild-Assistentin am Potsdamer Hans-Otto-Theater für ein Jahr musste sie gleich ins kalte Wasser springen. Am Berliner Ensemble assistierte sie bei Bühne und Kostüm der Inszenierung vom „Kaukasischen Kreidekreis“. Und es folgten noch einige Ausstattungen an kleineren DDR-Thea­tern sowie eine jahrelange Begleitung des Arbeitertheaters Teltow bei dessen Inszenierungen.

Nach 2000 war Brigitte Silna wieder in Baumschulenweg angekommen. Es folgte die Tippeltappel-Tour durch die Ämter, zu freien Trägern, durch verschiedene Maßnahmeformen. Immer half ihr, dass sie Erfahrungen aus Tschechien mitbrachte, sie die tschechische Sprache beherrscht und durch ihre Arbeiten an verschiedenen deutschen Theatern Beziehungen entstanden waren, die bis heute Bestand haben.

Seit 2007 ist sie für den Kulturring in der Kulturküche Bohnsdorf, die vom Bezirks­amt Treptow-Köpenick gefördert wird, tätig.  Mit dem Projektkoordinator für den Bezirk, Reno Döring, arbeitet sie bestens zusammen.   Beide werden im Jahr 2024 in die wohlverdiente Rente gehen und es wird nicht einfach werden, Nachfolger*innen für sie zu finden.

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