Geschichte einer Meister- und Leidenschaft

Martina Pfeiffer

Die Lithographiewerkstatt in Treptow wird 35

Druckwerkstätten, die für hochwertige Kunst stehen, bringen ihr spezifisches Zeichen am Blattrand einer gefertigten Lithographie an. Die „Werkstatt Künstlerische Lithographie“ gehört in diese Kategorie. Ihr Signet: eine Möwe, auf einem Lithostein sitzend – und das seit über drei Jahrzehnten.

Betritt man den großen Atelierraum, fällt der Blick sogleich auf imposante Steindruckpressen. Bevor die Lithographiewerkstatt 1987 gegründet wurde, standen die beiden historischen Pressen im Kreiskabinett für Kulturarbeit beim Kulturamt des Bezirks. In ihren Anfängen gehörte die Arbeitsstätte noch direkt zum Bezirksamt. Sie blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück: „35 Jahre – 35 Grafiken“, so das Motto der Jubiläumsausstellung, die am 10. Juni in der Kulturbundgalerie Treptow mit einer Vernissage eröffnet wird. Die Lithographiewerkstatt in der Defreggerstraße 12 in Treptow-Köpenick wird von regionalen und überregionalen Künstlerinnen und Künstlern geschätzt. Hier können sie mit den klassischen Drucktechniken Radierung, Holz- und Linolschnitt und natürlich dem klassischen Steindruck arbeiten. Für den Bezirk ist die Litho­werkstatt zudem ein Werbeträger mit weitreichender Strahlkraft: in drei Jahrzehnten haben hier über 400 Künstler*innen aus mehr als zwanzig Ländern gearbeitet. „Unsere Strategie ist die Öffnung sowohl in die Stadt als auch ins Ausland“, erklärt Martin Lotz, Ehrenvorsitzender des Vereins Kunstwerkstatt Treptow und selbst seit rund dreißig Jahren Leiter der Werkstatt. Der Maler und Grafiker ist eines der Gründungsmitglieder. Eine esoterische Wissenschaft will er nicht betreiben, im Gegenteil: „Wir machen keine Geheimniskrämerei. Die erfahrungsgestützten Kenntnisse und Fertigkeiten werden an alle weitergegeben, die zu uns kommen, denn Interessierte können hier diese Drucktechniken in Kursen erlernen“.

Die Techniken Hoch-, Tief- und Flachdruck basieren allesamt auf dem Prinzip, dass von einer eingefärbten Druckform Abdrücke mit Druckfarbe auf Papier hergestellt werden. Die Lithographie gilt als das älteste Flachdruckverfahren. Die Erfindung des Lithographiebegründers Alois Senefelder begann ihren Siegeszug 1798 und erlangte im 19. Jahrhundert Weltgeltung. Martin Lotz kommt ausdrücklich auf die Disziplin zu sprechen, die für die Anwendung der Kenntnisse vonnöten ist. Auf die Schnelle könne man nichts erreichen: „Bei diesen Arbeiten ist Geduld angezeigt, denn die Lithographiekreide oder -tusche sowie die Präparationsmittel, vorrangig gummi arabicum, sollen sich mit dem Stein verbinden. Das braucht Zeit. Blatt fünfzig soll schließlich so aussehen wie Blatt eins“. Die Kunst beginnt nicht erst mit der Zeichnung, sondern schon mit der Wahl des Steins: verwendet wird Solnhofer Plattenkalk. „Durch seine feinen Kapillaren eignet er sich am besten für die Lithographie“, ergänzt Werkstattleiterin Pia Szur, seit 2018 Leiterin der Einrichtung. Die Grafik-Designerin kam 2005 zur Werkstatt, als sie an einem Basiskurs dort teilnahm. Jetzt betreut sie selbst die künstlerisch-handwerklichen Arbeiten. Klangvolle Namen in der bildenden Kunst stehen für ein eindrucksvolles lithographisches Werk. Unter anderen Goya, Picasso, Chagall, Dalí. Mit dem Dalí-Museum am Potsdamer Platz arbeitete die Lithowerkstatt im Bereich der Vorträge und Druckvorführungen zusammen. Beratend gewirkt hat die Werkstatt überdies für das Museum Europäische Kulturen, die Schadow-Gesellschaft sowie für die Stiftung Schloss Britz. Seit der Gründung wurden kontinuierlich gemeinsame Projekte und Austauschprogramme mit Kunstschaffenden aus Österreich, Liechtenstein und der Schweiz durchgeführt.

„Ohne die engagierte Unterstützung von politischer Seite hätten wir in den 90er Jahren keine Überlebenschancen gehabt“, hebt ­Martin Lotz hervor. Mitte der 90er kam es zu einem Schub durch die Zusammenarbeit mit dem Trakl-Haus, Salzburg. 2003 durchlebte das Atelier schwierige Zeiten aufgrund von Sparmaßnahmen der öffentlichen Hand. Im gleichen Jahr wird die „Werkstatt Künstlerische Lithographie“ vom gemeinnützigen Verein „Kunstwerkstatt Treptow“ in freier Trägerschaft übernommen, mit vertraglich geregelter Förderung durch das Kulturamt.

Infolgedessen konnte sie stetig wachsen. Sie verzeichnet einen guten Zulauf von erfahrenen sowie von jungen Künst­ler*innen und arbeitet deshalb mit Wartelisten. Die moderaten Nutzungsgebühren sprechen auch einen Personenkreis mit geringerem Budget an. Eine weitere Bemerkung von Pia Szur lässt erkennen, worauf der Erfolg der Druckwerkstätte gründet: „Wir haben uns über all die Jahre eine aufgeschlossene Haltung bewahrt“. Nur mit einer solchen Aufgeschlossenheit ließe sich der internationale Adressatenkreis ansprechen und über drei Jahrzehnte aufrechterhalten.

Der feste Platz in der Treptow-Köpenicker Kulturlandschaft ist der Lithographiewerkstatt sicher. 2018 wurden die traditionellen Drucktechniken zum immateriellen Kulturerbe ausgerufen. Für die Fans dieser Kunstrichtung gehört sie unbestritten schon weitaus länger zum Erbe der Weltkultur.

Im Internet: www.lithowerkstatt-berlin.de

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