Axel Barner – Gerne in die Ferne schweifen
Der Berliner Autor Axel Barner macht Ernst mit Interkulturalität. Der Fernwehgetriebene hat viele der Länder, die er im Verlauf seiner Reisen und Arbeitsaufenthalte besuchte, ohne touristische Vororientierungen erfahren. Mit den gewonnenen Einsichten hat er die Gattung Reiseliteratur um Gedichte, Erzählstücke und Romane bereichert. Seine Texte sind dazu angetan, die Lesenden zum Vagabundieren im Geiste zu verleiten. Mit den teils pointierten, teils ausgreifenden Schilderungen ferner Landschaften, Städte und Menschen erschreibt Barner sich die Fremde. Die Lesung lässt sich ab Dezember als Podcast abrufen (www.kulturring.berlin/podcast).
Ring frei zur nächsten Runde!
Die Entdeckung der Unvertrautheit
Ein Gespräch mit dem Autor Axel Barner über das Sich-Finden auf Reisen
Identitätsbildung funktioniert ja oftmals wie ein Bollwerk. Das Andere wird dem Eigenen wesensmäßig als nicht zugehörig empfunden und ferngehalten. Um die Perspektive wechseln zu können, scheint es angezeigt, die eigene kulturelle Prägung und damit auch Abwehrhaltungen zu überdenken. Dass Grenzen sich zu Kontaktflächen wandeln und Fremdartiges zum Resonanzboden des Eigenen wird, macht ein Ausbalancieren möglich. Fremdes wird so zum Kulturregulativ. Reisen und Reiseliteratur kann Räume für diese Erfahrungen öffnen.
Herr Barner, Ihr Erfahrungsbericht über das Unterrichten in Willkommensklassen, „Frau Meier lügt!“, ist im Ton einer nüchternen Bestandsaufnahme verfasst. Einige Situationen mit den jugendlichen Flüchtlingen lassen unterschiedliche kulturelle Codes im Hinblick auf die Zielkultur erkennen. Woran machen Sie eine gelungene Integration fest?
A.B.: Da ist zuallererst das Erlernen der Sprache. Hieran muss sich der Integrationsgedanke messen lassen, wenn das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen mehr als das folkloristische Element beinhalten soll. Nur mit dem Beherrschen der Sprache kann es gelingen, dass die Zugewanderten am Leben des Gastlandes teilhaben. Nur mit Sprache kann über das Verstehen hinaus auch der Boden für wechselseitiges Verständnis bereitet werden – und für echte Mitgestaltungsoptionen, was die jeweilige Landeskultur betrifft.
Sie lebten und arbeiteten in der Türkei, in Rumänien, Äthiopien und Frankreich. Und Sie unternahmen Reisen in den Vorderen Orient, nach Indien und Lateinamerika. Reisen kann ein rein äußerlicher Zeitvertreib sein. Wie tief geht das Reisen bei Ihnen?
A.B.: Natürlich spiegelt sich bei einem längeren Aufenthalt in einem fremden Land dieser im eigenen Ich wieder. Zum Beispiel habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich in keiner Situation authentischer bin als auf Reisen, was vermutlich daran liegt, dass man in der Fremde auf sich selbst zurückgeworfen ist. Reisen lässt Vergangenes zurücktreten und Zukünftiges unwichtig erscheinen: die Gegenwart rückt in den Mittelpunkt. In der Sensation des Aufbruchs, in der Bewegung leben wir den Augenblick, der dem Leben Sinn und Würde zurückgibt. Solange man sucht, bleibt man lebendig. Immer wieder neuen Menschen zu begegnen, bedeutet auch, sich selbst immer wieder neu zu sein. Reisen ist durch die Konfrontation mit dem Fremden und die Entdeckung einer mannigfaltigen Unvertrautheit auch immer Staunen, der Versuch einer Erfassung und Durchdringung des unendlichen Weltstoffs.
Die „wahre“ Entdeckungsreise, sie besteht ja laut Marcel Proust darin, dass man mit neuen Augen sieht. Was haben Sie als Reisegebildeter mit neuen Augen sehen gelernt?
A.B.: Ich blicke neu auf mein Herkunftsland. Notorisch ist unsere Besserwisserei und die Tendenz, unsere Mitmenschen zu belehren oder zu korrigieren. Und dann habe ich bemerkt, dass wir uns selbst in allen Lebenslagen zu ernst nehmen. Was ich zum Beispiel in Rumänien lernte, ist Gelassenheit im Umgang mit scheinbaren Problemen und die Fähigkeit, über mich selbst zu lachen.