Lob der ABM

Astrid Lehmann

Über 800 Bewerbungen in zwei Jahren, vier Vorstellungsgespräche (ohne Ergebnis), dann bitte doch wenigstens eine ABM, so lautete mein Hilferuf 1997 beim Arbeitsamt. Es wurde eine Sekretärin für ein Forschungsprojekt gesucht, das sollte für eine Ökonomin doch machbar sein. Jeder, der mal (länger) arbeitslos war, wird meine Freude verstehen, dass es mit dieser Stelle geklappt hat. Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) zum Thema „Verfolgung Homosexueller in der NS-Zeit“ bedeutete für mich Neuland, aber so etwas ist doch immer spannend. Wir waren ein tolles Team, und der Kulturring bot hervorragende Möglichkeiten, nicht nur für unsere Arbeit, sondern auch für viele Arten der Weiterbildung. Neben dem Forschungsthema beschäftigte mich vor allem die Landschaft der Arbeitsförderung, die vorher für mich kein so positives Image hatte. Nicht die Theorie, sondern besonders die Arbeit des damaligen Leitungsteams war für mich schon ein „Aha-Erlebnis“. Dass ich nach dem Ausscheiden eines damals beim Kulturring angestellten Projektmanagers die Möglichkeit erhielt, dessen Bereich zu übernehmen, war eine sehr große Freude. Ein riesiges Betätigungsfeld eröffnete sich mir: Ideen für Projekte, Kontakte zu Bezirken, Arbeitsamt, Umsetzung bewilligter Projekte mit den Mitarbeitern, immer wieder ein Aufsaugen der Ideen und Kenntnisse, die durch die Vielzahl unterschiedlich qualifizierter Kollegen vorhanden waren.

Die Mitgliedschaft im Kulturring war damals für mich eine Frage der Loyalität. Eigentlich habe ich da noch nicht so gut gewusst, was der Verein Kulturring ist. Strukturen waren für mich nur in der Beschäftigung wichtig. Ein Erlebnis: Bei einer Beratung des Vorstandes, an der auch die Projektmanager (damals noch sehr wenige) des Kulturrings teilnahmen, sprach mich ein Vorstandsmitglied an und unterbreitete mir eine Projektidee, die ich umgehend freundlich, flapsig ablehnte, in der Überzeugung, dass ich schon selbst am besten wüsste, was in „meinem“ Bereich stattfindet. Darauf kam eine – auch freundliche – Ansprache durch den Geschäftsführer, der mich darauf hinwies, welche Rolle der Vorstand eines Vereins hat und wie sich die Projektarbeit hier einordnet. Oha, das war mir peinlich, hatte ich mich doch bis dahin nicht so sehr für die Vereinsarbeit an sich interessiert. Die Kultur News waren damals noch ein Blättchen mit Veranstaltungsterminen, der Internetauftritt befand sich in seinen Anfängen. Aber natürlich gab es ja die Kollegen, die sozusagen mit dem Kulturring „groß“ geworden waren und ihn von Beginn an begleiteten. Diese fächerten für mich die breite Palette der Angebote auf, von Gruppen, die etwas für sie Wichtiges und Spannendes sammeln, malen, zeichnen, forschen, oder sich mit Literatur beschäftigen, fotografieren, schreiben und und und. Auch revidierte ich schnell meine Meinung von den „Laien“, die sich hier vermeintlich volkskünstlerisch betätigen. Paläontologen, die auch im Museum für Naturkunde eine Rolle spielen, der Colorclub CCB mit seinen nicht nur in Deutschland beachteten Foto-Ausstellungen, die verschiedenen Gruppen, die sich mit geschichtlichen Themen beschäftigen, mit SF-Literatur, Theater, Tanz, aber vor allem die gemeinschaftliche Beschäftigung, die gegenseitige Inspiration, der Austausch beeindruckten zutiefst. Das ist nicht nur Aufgabe für Kunst- und Kulturschaffende, das muss auch organisatorisch, finanziell und strukturell gesichert werden, da kann eine Ökonomin auch etwas dazu beitragen. Das war mein Fazit.

Klar habe ich mich auf meinen Renteneintritt im Jahr 2015 gefreut, aber ich ­wollte auch gerne und jetzt vorrangig auf der Vereinsseite weiter mitwirken. Das ist am besten im Vorstand möglich, dem ich nun schon einige Jahre angehöre. Seitdem merke ich immer wieder, dass der Wille, etwas voranzubringen, Positives zu erreichen auch und besonders mit den Vorstellungen der Mitglieder korrespondieren muss. Was muss getan werden, damit alle Mitglieder, Gruppen, Freundeskreise sich optimal verwirklichen können, da müssen also erst mal die Gefragten ran. So ist der Kontakt zwischen Vorstand, Geschäftsführung und Mitgliedern in den letzten Jahren enger geworden, der Austausch intensiver, und vor allem die Anliegen und Bedürfnisse der Aktiven rückten mehr in den Fokus. Corona wird vorbeigehen, wir werden – vielleicht auf andere Art – wieder enger zusammenrücken können. Ich freue mich schon darauf, wenn wir dann verstärkt darüber diskutieren, wie unser Vereinsleben noch interessanter gestaltet werden kann und wie vor allem auch mehr jüngere Mitglieder gewonnen werden können.

Astrid Lehmann ist stellvertrende Vorsitzende des Kulturring in Berlin e. V.

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