Ruth Baumgarte – ein Künstlerleben begann in Karlshorst

Michael Laschke

Ruth Baumgarte ist als Galeristin und Malerin in Europa, Afrika, Asien und den USA bekannt. Sie hat ein variantenreiches und vielschichtiges Werk hinterlassen. Ihre Kunst ist fest in der figürlichen Tradition verankert und beeindruckt durch eine außergewöhnliche Farbigkeit. In Lichtenberg und Karlshorst war sie lange Zeit vergessen.

Ruth Baumgarten wurde am 27. Juni 1923 in Coburg geboren. Ihre Mutter war die Schauspielerin Margret Kellner-Conrady (1899-1969). Ihr Vater Kurt Rupli (1899-1960) war Sohn des Schauspielers und Opernsängers am Mannheimer Theater, Alexander Rupli, und wurde ebenfalls Schauspieler. Nach wechselnden Engagements arbeitete er als Dramaturg und Theaterdirektor an verschiedenen Bühnen. Er heiratete 1927 die Schauspielerin L. Regina A. Faas und fand im Jahre 1929 den Weg zum Film. Zunächst in Köln, wurde er 1934 Produktionschef der Rota-Film AG in Berlin und Geschäftsführer der neugegründeten Mars-Film GmbH. Nach Aussagen der Kunststiftung Ruth Baumgarte wechselte er in den Dreißigerjahren zur Kulturfilmabteilung der UFA und war deren Verwaltungsdirektor und Produktionschef bis 1960. In der inhaltlichen Filmgeschichte ist Rupli als Regisseur von Kultur-, Dokumentar- und Kurzfilmen bekannt. Im Jahr 1942 war er für die Prag-Film AG in Prag tätig (nach Reiner Ziegler). Um 1930/31 verlegte die Mutter ihren Wohnsitz nach Berlin-Mitte. Tochter Ruth wuchs allein bei ihrer Mutter auf, sie hatte jedoch engen Kontakt zum Vater, der sie auch in ihrer künstlerischen Entwicklung förderte.

Im Jahr 1935 findet die Mutter dann mit ihrer Tochter den Weg nach Karlshorst. Sie wohnen zunächst in der Dorotheastraße 19 und von 1939 bis zum 5. Mai 1945 in der Rheingoldstraße 32. Ruth besucht das Lyzeum in Karlshorst und beginnt bereits als 15-jährige eine vertiefte künstlerische Ausbildung an der privaten „Kunstschule des Westens“ Emmy Stalmann, damals die größte ihrer Art in Berlin. Danach studiert sie von 1941 bis 1944 freie Graphik und Malerei an der Hochschule für bildende Künste in Berlin. Wichtige Lehrer für sie sind Gerhard Ulrich für das Zeichnen, Wilhelm Tank für die Anatomie des Menschen, Kurt Wehlte für Farbe und Farbtechnik. Ruth Baumgarte wendet sich bereits in dieser Zeit dem Figürlichen in der Malerei zu und bleibt diesem treu.

Mit 10 Jahren erlebt Ruth Kellner den endgültigen Untergang von Weimar und die Errichtung der faschistischen Diktatur. Dem neuen Mainstream schließt sie sich nicht an. Im Gegenteil, ihr Blick in die Gesellschaft war kritisch und engagiert. Das verdeutlichen Zeichnungen aus der Zeit ihres Kunststudiums, also neun bis zehn Jahre nach dem Herrschaftsbeginn des Nationalsozialismus. Die Kunstkritiker Gerhard Charles Rump und Sandra Mühlenberend, deren Arbeiten auch für diesen Beitrag verwendet wurden, heben darunter zwei Zeichnungen besonders hervor. In der Grafik „Arbeiter auf dem Dach“ (1943) blicken zwei Arbeiter über die zerstörten Dächer von Berlin und lassen erkennen, dass ihr Gespräch unter einem dunklen Himmel keine guten Aussichten für die Zukunft vermuten lässt. Ruinen in der Reichshauptstadt zu dokumentieren, war offiziell verboten.Für den historisch interessierten Karlshorster ist diese Bildinszenierung aus zwei weiteren Gründen bemerkenswert. Er fragt sich, ob Ruth Kellner vielleicht die Ausgrenzung und Deportation von Roma und Sinti in ihrer häuslichen Umgebung selbst erlebt hatte. Das ist durchaus denkbar. Auch in Karlshorst gab es Roma und Sinti. Nachweislich lebten Sinti-Familien, die sich ihren Lebensunterhalt mit Musik verdienten, seit Anfang der 1930er Jahre in der Kleingartenanlage Wiesengrund. Aus dieser wurden sie allmählich vertrieben und die Mehrzahl von ihnen in Auschwitz ermordet. Die Kleingartenanlage gibt es nicht mehr. Sie lag in der Arberstraße, unweit der mütterlichen Wohnung Rheingoldstraße 32. Reimar Gilsenbach ist ihrer Geschichte nachgegangen. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass die Wege von Ruth Kellner auch die Kleingartenanlage kreuzten und sie das Verschwinden einzelner Sinti-Familien erlebte. Zweitens fragt sich der Interessierte, ob in der Gebäudedarstellung Hinweise auf Karlshorst oder seine Umgebung zu finden sind. Danach wurde bisher lange gesucht. Nach einem Vortrag der Geschichtsfreunde zum Lebenswerk von Ruth Baumgarte am 24. März 2016 fand sich nach einer regen Diskussion die Lösung. Bei dem von Rump vermuteten Bahnhofsgebäude handelt sich um den Bahnhof Wuhlheide der S-Bahn-Linie S3. Die von Herrn Grünefeldt vorgenommene Montage lässt dies zumindest mit sehr großer Sicherheit vermuten.

Ruth Kellner (seit 1943 verheiratet Busse) und ihre Mutter müssen mit der Errichtung des Sperrgebietes ihre Wohnung in der Rheingoldstraße verlassen. Sie ziehen zunächst nach Lichtenrade. Ruth (Busse) erreicht eine Anstellung in einem Kinderheim und ist kurzzeitig auch als Hilfszeichenlehrerin im Ulrich-von-Hutten- Gymnasium tätig. Außerdem arbeitet sie zum Broterwerb als Pressezeichnerin für die Berliner Zeitung. Diese Tätigkeit macht sie mit gebildeten Offizieren der Roten Armee bekannt und verändert ihren Blick auf die sogenannten russischen Besatzer. Im Jahr 1946 verlässt sie Berlin und zieht mit ihrer Mutter in das Elternhaus ihres Ehemannes nach Bielefeld. Die Ehe wird allerdings im September 1946 wieder geschieden. Seit 1946 schafft sie sich neue Perspektiven als freischaffende Künstlerin, die in der Buchillustration eine gefragte Partnerin wird. Seit den 1950er Jahren entstehen viele Werke aus dem Arbeitsleben in der Schwerindustrie und dem Maschinenbau. Dafür gab es nach den Aussagen ihres Sohnes, Alexander Baumgarte, einen biografischen Input durch die Eheschließung mit dem Industriellen Hans Baumgarte (1917-1999) im Jahre 1952. Ihre zahlreichen Grafiken und Gemälde zu diesem Thema, in denen Ruth Baumgarte eine neue Farbauffassung zum Industriebild findet, werden später als „Zyklus Arbeitswelten“ zusammengefasst und „als Entdeckung und Bereicherung in der Kunstgeschichte des Arbeiter- und Industriebildes“ bewertet. Es ist hier leider nicht der Platz, auf diese Periode wie auch auf die Afrikabilder der Künstlerin seit den 1970er Jahren, in denen sie zu einem „eigenen Gesetz der Schönheit“ findet, näher einzugehen.

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