Angekommen in Deutschland: Rashid Ismael – ein Porträt

Seit Ende Dezember führt das Bildungswerk des Kulturrings in Berlin e.V. einen Sprachkurs für Flüchtlinge durch. Rein ehrenamtlich bereits im November durch Herrn Ulrich Uffrecht begonnen, bekam er dann dank zur Verfügung gestellter Gelder im Dezember einen festen Rahmen. Unter dem Motto „Refugees welcome - Learning Deutsch“ will auch der Kulturring mithelfen, die Integration von Asylsuchenden in dieser Stadt voranzubringen. Dabei lernen alle beteiligten Berliner viel über fremde Schicksale, sind betroffen und in ihrer Entschlossenheit bestärkt, Hilfe zu leisten. Lutz Wunder vom Kulturring hat sich am Rande der Deutschstunden mit Rashid Ismael über seine Flucht und seine Vorstellungen von einem neuen Leben unterhalten.

Lutz Wunder: Raschid Ismael, sie sind seit Ende September in Deutschland und „leben“ jetzt in einer Marzahner Notunterkunft, in einer Turnhalle. Wie sind Sie nach Deutschland gekommen?

Rashid Ismael: Ich bin mit meiner Familie aus Syrien in den Libanon geflohen und dann weiter in die Türkei. Dort habe ich zwei Jahre in Gelegenheitsjobs gearbeitet, aber es wurde so wenig Lohn gezahlt, dass ich damit nicht die Familie ernähren konnte, und so haben wir uns über Griechenland in Richtung Deutschland aufgemacht. All die großen Gefahren dieser Reise haben wir überstanden und sind froh, es geschafft und Deutschland erreicht zu haben. Wir haben unser ganzes Restgeld an die Schlepper gegeben, es wurde auch unterwegs einer der Helfer von der Polizei gefasst und, wie ich hörte, zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt, aber unser Geld haben wir nicht zurückbekommen.

L.W.: Sie sind mit Ihrer Familie gekommen, wer gehört dazu und wie alt sind die Familienmitglieder?

R.I.: Ich selber bin 43 Jahre alt. Zur Familie gehört meine Frau Mohamad Khalida (31 Jahre alt), meine Töchter Yasmin (13 Jahre) und Ghamar (7 Jahre), sowie die Söhne Sabah (10 Jahre), Ali (8 Jahre) und Khalil (3 Jahre alt).

L.W.: Wo und wie lebten und wohnten sie in Syrien?

R.I.: Wir lebten in Gendris, einer kleinen Stadt in der Umgebung von Aleppo, im Nordosten Syriens. Ich habe 9 Jahre die Schule besucht, habe dann eine Ausbildung als Busfahrer absolviert und danach als Busfahrer in Aleppo gearbeitet, eine Familie gegründet und mich mit meinem Hobby – Wanddekorationen – beschäftigt. Wir haben uns ein Haus und ein Auto angeschafft. Die Frau war Hausfrau und hat sich um die Kinder gekümmert. Alles war normal bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges.

L.W.: Was gab den letzten Anstoß zur Flucht?

R.I.: In den letzten Jahren vernichtete der Krieg immer mehr unsere normalen Lebensbedingungen. Der Busverkehr in Aleppo wurde eingestellt, und ich verlor also meine Arbeit und konnte immer weniger die Familie durch ein paar Aushilfsjobs ernähren. Dazu gab es immer weniger Lebensmittel zu kaufen, und die Lebensmittelpreise schnellten mehr und mehr in die Höhe. Durch die starken Zerstörungen in unserer Stadt konnten die Kinder nicht mehr zur Schule gehen, denn auch die waren zerstört, und es war auch immer gefährlicher, auf die Straße zu gehen wegen immer häufigeren Artilleriebeschusses und Luftangriffen. In unserem Stadtteil gab es keine allgemeine Wasserversorgung mehr, wir mussten das Wasser von weit entfernten Stellen holen, und auch die Stromversorgung brach zuletzt zusammen. Wie sollte Essen zubereitet werden? Wir konnten dort mit den Kindern nicht mehr leben, und an den Lebensorten unserer Verwandten sah es nicht besser aus – also wohin, um zu überleben, normal zu leben? Die Eltern leben schon außerhalb Syriens, und meine fünf Brüder und vier Schwestern sind alle in die Türkei geflüchtet.L.W.: Wie ergab sich die Idee, Deutschland als Fluchtort zu wählen?

R.I.: Dort, wo die Leute in Syrien miteinander gesprochen haben, gab es nur ein Thema: Wie komme ich weg von hier und wohin? Und immer mehr erzählten, das die Grenze nach Deutschland offen ist und wir dort in Ruhe und Frieden leben können.

L.W.: Eine sehr persönliche Frage: Sind Sie Sunnit oder Schiit? Was halten sie von den religiösen Spannungen zwischen den Anhängern der Glaubensrichtungen? Trägt Ihre Frau ein Kopftuch, und was verbindet sie mit dem Kopftuchtragen?

R.I.: Ich bin kurdischer Abstammung und Sunnit, habe aber kein Problem mit Andersgläubigen. Jeder kann nach den Regeln seiner Religion leben und ist nicht besser als Andersgläubige. Mein Sohn Ali hat einen schiitischen Vornamen – Ali. Meine Frau trägt ein Kopftuch, sie hat es erst nach unserer Heirat auf eigenen Wunsch angelegt, vorher ist sie immer ohne gegangen, und wir haben auch ohne geheiratet. Sie ist nicht strenggläubig, es war eine persönliche Entscheidung, keine Glaubensfrage. Letztens hat ein Teilnehmer in meinem Sprachkurs plötzlich angefangen zu beten, warum? Er hätte es auch nach dem Unterrichtsschluss machen können – es fehlten nur 5 Minuten bis dahin. Die Störung war unnötig.

L.W.: Die deutsche Kultur ist in vielen Punkten anders als die syrische – Vieles wird toleriert, wie beispielsweise andere Religionen, Homosexualität. Ist es für sie ein Problem, diese Dinge zu akzeptieren, sich an diese Toleranz zu gewöhnen?

R. I.: Wir haben damit kein Problem, jeder soll nach seiner Überzeugung leben.

L.W.: Was wünschen Sie sich in Deutschland?

R.I.: Wir möchten so schnell wie möglich in eine andere Unterkunft. Mit 200 unterschiedlichen Menschen in einer Turnhalle zu leben, ist sehr schwierig. Nie gibt es Ruhe für die Kinder, tags und nachts nicht. Die sanitären Bedingungen sind schlimm, außerdem muss ich ständig auf meine große Tochter aufpassen, denn manche jungen Männer haben keinen Respekt, keine Zurückhaltung und werden auch mal zudringlich. Ich möchte so schnell wie möglich wieder als Busfahrer arbeiten und besuche deshalb einen Sprachkurs, auch wenn mir manchmal das Erlernen der fremden Sprache etwas schwer fällt. Auch die Kinder besuchen schon einen Sprachkurs und wir helfen uns.

L.W.: Mit dem Wetter und dem Essen kommen Sie zurecht?

R.I.: Wir sind zufrieden, dass wir hier in Ruhe und Frieden leben können, mit allem anderen können wir uns anfreunden.

Für die Übersetzung danken wir Herrn Fayez Sahawneh.

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