Späte Einblicke in das Lebenswerk von Frits Esenwein

Günther Köhler

gewährt die Kunstvilla Skupin in der John-Sieg-Straße 13 in Lichtenberg. Vom 14. Januar bis zum 18. Februar 2016 kommen hier Zeichnungen von Frits Esenwein ans Licht, die fernab von der Kunstöffentlichkeit seit 1968 entstanden sind. Durch Zufall entdeckten Kunstfreunde, dass der Künstler 40 Jahre nur für sich, für die Schublade gezeichnet und gemalt hatte.

Esenwein hatte in den 1960er Jahren eine Künstlerlaufbahn nach allen Regeln der Kunst begonnen, verlor aber 1968 seinen Studienplatz an der Weißenseer Kunsthochschule (Studien unter Walther Heisig, Konrad Knebel, Kurt Robbel). Ein Grund dafür war, dass die dominierende Stilauffassung der Schule, die einem klassischen Naturalismus und optimistisch-sozialistischer Programmatik verpflichtet war, nicht von ihm, dem zunächst geförderten Kunstschüler, streng befolgt wurde. Esenwein hatte vielmehr immer wieder mit seinen Bildern an die vor 1945 verpönten spätexpressionistischen Kunstschulen angeknüpft, hatte abstrakte Malweisen ausprobiert und sich dem Vorwurf ausgesetzt, „bürgerlichem Formalismus“ Vorschub zu leisten. Das wurde ihm von Walter Womacka, dem Leiter der Malabteilung, in Rechnung gestellt. Der Weg als öffentlich anerkannter Künstler war ihm von Stund an versperrt, was nicht verhinderte, dass er neben seinem Broterwerb, unter anderem in einer Keramikwerkstatt, für sich und für die Zukunft weiter malte und zeichnete. Er brachte es neben einem kleinen Ölbildbestand auf fast 3.000 großformatige Zeichnungen (Tusche, Feder, Kuli), die er überwiegend mit Aquarellfarben kolorierte. Sparsam verwandte er die Rückseiten von Kalendern oder nutzte Tapete oder Konsumpapier. Scharf beobachtend oder gar satirisch zugespitzt, nahm er das Leben in seinen Berliner Wohnquartieren zu Protokoll. Er bevorzugte klassische Themen, wie Mann-Frau, Berufsleben, Tiere. Aber es ging ihm mit seinem feinen, druckähnlichen und sicheren Strich auch um Kommentare zur zeitgeschichtlichen Landschaft, zur Politik, zum Lebensgefühl in dieser Stadt. In seine Bilder „geheimniste“ er nichts hinein, codierte nicht seine Themen , sondern offenbarte fast plakativ-lakonisch seine Botschaft. Jede seiner Zeichnungen hat eine Pointe, die er meist trotzig, mit spätexpressionistischem Pathos auf den Punkt bringt. Die Bildunterschriften sind ein Kapitel für sich, mitunter mit grimmigem Humor durchdrungen. Er kommentiert das Bild einer Prostituierten auf dem Alex nach 1990 und merkt an, dass diese Frau nur Monate zuvor noch Textilingenieur gewesen sei.Anzumerken ist, dass Frits Esenwein viel Lebensenergie in ganz anderer Weise in die „Feder fließen“ ließ: Er schuf Romane, Gedichte und Novellen. Die zeitkritischen, utopischen und historischen Stoffe recherchierte er bestechend genau und überrascht noch heute mit einem erstaunlich detailgetreuen Urteil zu geschichtlichen, literarischen oder kunstwissenschaftlichen Fakten. Leider scheint ein Verlegen seiner Werke unter gegenwärtigen Marktzwängen nicht (mehr) möglich zu sein.

Frits Esenwein sieht seine Malerlaufbahn – nicht zuletzt im Blick auf eine Krankheit – als abgeschlossen. Er verlässt seine Wohnung in Neu-Hohenschönhausen nicht mehr. Die Bilderschau in der Lichtenberger Kulturvilla Skupin aber würdigt dankenswerter Weise den Künstler und als Retrospektive sein Lebenswerk. Es hat eine Ausstellung aus verschiedenen Gründen verdient.

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