Das Kleine-Welt-Phänomen als wirkungsvolles Netzwerk

Ingrid Landmesser

Frühjahr 2013, Kaffeerunde im Wohnbereich „Abendfrieden“ im St. Elisabeth-Stift in der Eberswalder Straße. Das Gespräch geht um (politisches) Kabarett. Mich hatte eine Veranstaltung des Kulturring in Berlin e.V. im Kulturforum Hellersdorf beeindruckt: Das ehrenamtlich tätige Kabarett „Die Lückenbüßer“ mit seinen kabarettistischen „Ehrenamtsspiegeleien“.

Frau Dr. Burkart wirft ein, dass ihr Tischnachbar, Herr Jahn, früher nebenberuflich ebenfalls Kabarettist war. „Wir hatten unsere Probebühne gleich hier um die Ecke, die „Bühne 58“, ergänzt er, „da im ehemaligen Postgebäude“. Mitbewohner wollen mehr wissen. Für unseren „Hausgemachten Kintopp“ Anlass genug, „Geschichte und Geschichten rund ums St. Elisabeth-Stift“ näher zu recherchieren und ins Bild zu setzen. Den 157. Geburtstag des Hauses und Gedenktag an die Heilige Elisabeth von Thüringen mit seinem szenischen Spiel vom „Rosenwunder“ hatte ich bereits filmtechnisch festgehalten. Für das Ehepaar Jahn gab’s 2014 ein besonderes Jubiläum: Steinerne Hochzeit, das sind 67 1/2 Ehejahre! Spannend natürlich, von den Ehepartnern zu erfahren, wie’s denn so war mit dem Ehemann und seinem Zweitberuf als Kabarettist.

DVDs für besondere Anlässe habe ich mit meiner Freundin Karin gestaltet und bedruckt. Karin Schöning ist langjährige Schnittmeisterin von Dokumentarfilmen, verfügt über einen großen Freundeskreis in Kunst und Kultur und pflegt bewundernswert ihre Netzwerkverbindungen.

Anregung für einen Kiezspaziergang gab der ehemalige Bürgermeister von Prenzlauer Berg, Reinhard Kraetzer: Der „Platz an der einsamen Pappel“ in Stadionnähe. Eine Gedenktafel erinnert an den März 1848, als sich hier „Berliner Werktätige versammelten“ und „die Beseitigung der Willkürherrschaft, die Einführung der allgemeinen Schulpflicht und die Verbesserung der Löhne forderten.“

Als ich meiner Freundin von Herbert Jahn und der „Bühne 58“ erzähle, erinnert sie sich, dass 1972 ihr damaliger Mann einen Film über „Die Klapperschlangen“ gedreht hatte.

Unglaublich: Filmdokumente, über 40 Jahre alt, über Kabarettarbeit des Kulturensembles der Deutschen Post. Eine spannende Reise in die Vergangenheit. Ich wittere eine Chance, einen Verbündeten beim Aufstöbern dieses Films zu gewinnen, den Regisseur. Ich aktiviere also Kontakte zum Bundesfilmarchiv, die sich während meiner Arbeit beim Kulturring ergeben hatten. Dank an Frau Sauter, deren Vater 1953 Mitbegründer des Kabaretts „Die Distel“ an der Friedrichstraße war, auf dessen Bühne auch Herbert Jahn zeitweilig mit den „Klapperschlangen“ Kleinkunst auf's Podest brachte. Ihre Freundin im Bundesfilmarchiv hatte mich bereits bei meinen Recherchen über DEFA-Dokumentarfilmer unterstützt. Mit Geduld und Hartnäckigkeit schaffte es der Regisseur, Peter Schöning, den 35mm-Film aufzustöbern und auf eigene Kosten digitalisieren zu lassen. Gemeinsam haben wir dann mit der Ergotherapeutin, Dörte Maungue, die Aufführung des Films „Doch gibt es noch Manches zu tun“ im Wohnbereich „Abendfrieden“ organisiert. Spannend und überraschend war auch für den Regisseur diese späte Filmpremiere vor solch außergewöhnlichem Publikum, 42 Jahre später. Und einige seiner damaligen Protagonisten sind dabei.Über diese Veranstaltung gibt es bereits einen Film für unseren „Hausgemachten Kintopp“, denn die Reaktionen auf das Gezeigte wollte ich mit der Kamera natürlich festhalten und auch Fragen und Feststellungen über das Gesehene. Die damals gefilmten Realbilder wirken erstaunlich aktuell, finden einige Bewohner oder erinnern sie an „alte Zeiten“, wie es damals war in der DDR…

„Wir wollten nicht leichte Unterhaltung machen“, erklärt der Leiter der Truppe, Herr Opitz, im Film, „wir wollten eingefahrene Denkgewohnheiten, negative Erscheinungen, die als solche nicht mehr wahrgenommen werden, wieder ans Tageslicht bringen.“ „Wie ist es denn im täglichen Leben mit den großen und kleinen Ärgernissen“, sagt eine andere, „mal haste Freude, mal haste keene. Und dann haste det Bedürfnis, det irgendjemand zu erzählen: Kinder, wat mir heute passiert is…“ Aber das ist schon wieder Stoff für unser „Hausgemachtes“, denn es gibt noch so manches zu tun, wenn wir in den Alltag von Pflegeheimen mehr Freude bringen wollen, ein wenig mehr über einander erfahren, Kommunikation fördern.

Und doch: Zeitliche Begrenzung von Arbeit im Sozialbereich ist – filmsprachlich ausgedrückt – ein harter Schnitt. Meine Zeit beim Bundesfreiwilligendienst wird nicht verlängert. Zum Erhalt meines Arbeits-(Schnitt-)Platzes beim Kulturring ist Hilfe und Unterstützung notwendig. Ein „Fenster in die Vergangenheit“ ist der noch unvollendete Film über den Besuch der Harald-Hauswald-Ausstellung in der Fotogalerie Friedrichshain. Ein weiterer Verbindungsbogen zwischen dem Kulturring und der Stephanus-Stiftung, die dem Fotografen zu DDR-Zeiten soziale Sicherheit bot, wie er uns in einem Gespräch erzählte.

Verblüffendes und Erstaunliches über das „Kleine Welt-Phänomen“, wie es Netzwerktheoretiker bezeichnen. Es gibt noch viele Geschichten. Wir wollen sie uns erzählen.

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