Widersinn als Vorsatz
Bianca Döring macht mutwilligen Nonsens salonfähig
Buchrezension: "Der Regen pengte ins Gras"
"Unsinn" - das hat im gängigen Sprachgebrauch eine eher unschmeichelhafte Note. Was ja wohl dem verflixten Präfix un- anzulasten ist. Am liebsten würden wir gar nicht in die Reichweite des verunstaltenden "un-" kommen. Wenn wir aber nichts mit ihm zu tun haben wollen, werden wir nie erfahren, dass dieses gewisse un- sich in manchen seiner Wahlverwandtschaften, die es mit den Wörtern eingeht, ungeheuer unangepasst verhält. Wie gemeinhin angenommen, steht die Vorsilbe un- für "nicht" oder "ohne". Was unwahr, unschön, ungut ist, darf sich nicht im entferntesten mit dem Wahren, Schönen und Guten messen. Und wird auch nie den Beifall für sich in Anspruch nehmen, der dem einhellig als positiv Eingestuften scheinbar fraglos zusteht. Aber lassen wir doch die inneren Mauern bröckeln und gestehen wir dieser kleinen Vorsilbe mehr zu, als bloß ein übel gelaunter Miesmacher oder rüpelhafter Unhold zu sein. Beispiele gefällig? Entgegen aller Erwartung bezeichnet die Unmenge nicht das Fehlen einer Menge, sondern deren Vorhandensein im Übermaß. Die Untiefe ist eine große Tiefe, nicht etwa ein flaches Gewässer. Und so erschöpft sich auch der Unsinn nicht bloß in der defizitären Bedeutung "ohne Sinn".
Seit November 2023 ist ein Buch in dieser Welt … Die tolldreiste Lust am Aushebeln des Verstands hat einen Namen: Der Regen pengte ins Gras. Sie merken schon, die Vorrede war notwendig, damit Sie dieses kleine Werk als Neugeburt der Gattung "Unsinnsdichtung „" würdigen. Ist etwa bei Bianca Döring die Exklamation peng! ausgebüchst, um sich neu zu formieren? Nachdem im Sprachgebrauch die Tür knallt, die Klingel schrillt und das Smartphone dudelt, pengt nun der Regen ins Gras. Das lautmalerische peng! als konjugiertes Verb im Titel – da hört sich doch alles auf!
Eine Philosophenikone wie Immanuel Kant mag noch so sehr Klagelieder anstimmen gegen solcherlei "tumultuarische Verrückungen" und in seiner "Kritik der Urteilskraft" dringend anraten, der Verstand solle der Einbildungskraft die Flügel stutzen, damit sie keinen Unsinn hervorbringe. Gleichwohl: Mit voller Absicht zerbricht die Berliner Schriftstellerin altersmorsche Sinnzusammenhänge und ersetzt diese kurzerhand durch neue. Wie in Christian Morgensterns "Galgenliedern" tritt bei Döring durch die Kombination von Unsinnselementen etwas Ungewohntes und deshalb erfrischend Neues zutage. Das hätte auch Jean Paul gefallen, denn der hatte größte Hochachtung vor dem Unsinn in all seinen Facetten. Dörings Lautmalereien im Titel und in den versammelten Texten erinnern des Weiteren an Arno Holz und seine frei erfundenen lautmalerischen Verben wie u.a. "pitschpatschen". Zu erwähnen ebenfalls, dass die Autorin in der Tradition von Eduard Mörikes herrlich unsinnigen "Wispeliaden" steht. Erkennbar zudem: die Nähe zur dadaististischen Allotria und zu Kurt Schwitters, denkt man an "Anna Blume, Du tropfes Tier, ich liebe Dir." Überhaupt scheint das Amourös-Sinnliche in diesem neuerschienenen Büchlein eine ganze Menge herzugeben für den Un-Sinn. Weniger für die große Liebe als für die Liebelei und heiße Affären, für die "Kurze Sache", wo dann das lyrische Ich mit dem heißbegehrten Haferkeks Namnam im grünen Gras landet, in das der Regen pengt. Sogar der zum Zehenknabbern aufgeforderte, frostklirrende Mr. Winter in der Geschichte mit der "kusssüchtigen Kratzbürste" hat zunächst erotisches Potenzial, entpuppt sich aber zuguterletzt als Eisheiliger und Schnarchbacke.
Auch auf "Gebrauchsanweisungen für unerlässliche Haushaltsgegenstände" trifft man in Dörings kunterbuntem Sammelsurium, allen voran das Kopfkissen: "ein kardinales, rustikales, multimediales und transpersonales Ereignis", "ein vitalfaktor-evozierendes Libertinage-Faktotum". Und stets präsent bei Bianca Döring: purzelbaumschlagender Widersinn, bei dem der Hintersinn vielerorts aufleuchtet, aber nicht Programm ist. Manche Sätze bei Döring (z.B. "die winzigsten Sterne da oben toben auf meiner himmelschreienden Haut und kichern erbsensüß"), könnten bester "cadavre exquis" sein, was die Verfasserin, wenn man so will, an den Surrealismus rückbindet. "Der köstliche Leichnam", dieses Spiel erfanden Frankreichs Surrealisten, um die schöpferischen Kräfte des Zufalls zu entfesseln: Einer notiert einen frei erfundenen Satzanfang, knickt das Blatt um und reicht es weiter, alle anderen Spiel-Kameraden gehen genauso vor, so dass der Satz immer weiter ergänzt wird - ohne dass die Mitspieler wissen, was die anderen vor ihnen geschrieben haben. Zum Schluss wird der so entstandene Satz in Gänze vorgelesen. Heraus kam wohl einmal, was dem Spiel seinen Namen gab: "Der exquisite Leichnam wird den neuen Wein trinken." Ähnliches erreicht Bianca Döring, indem sie in ihrer Motten- und Schatzkiste kramte und auf 132 Seiten zusammenstellte, was alles zum Vorschein kam.
Mit den Kapiteln über "Heidi" persifliert und subvertiert die Autorin, was das Zeug hält: Berg-, Heimat-, Adels- und Arztromane, seriell produzierte Groschenhefte aller Art. Döring parodiert den gespreizten Sprachstil gekünsteler Empfindsamkeit. Ausdrücklich als Zielscheibe genannt werden auch Bild der Frau und das Goldene Blatt. Gestatten, Anita Heidewitzka Karenin von Dolorosa, "Salamiprinzessin derer der Linie von Lavoir und Lumbago" und ihr Auserkorener Karl Zirkus zu Zappenduster. Und das Land, über das die Salamiprinzessin herrscht? "Das Land lag in Altbier und Trachtenklamotten versunken, unfähig, auch nur einen einzigen Narren zu fressen". Der Gehirnminister ist frühverrentet, was Rückschlüsse auf den Zustand der Untertanen zulässt. Da wird der "Untergang des Abendlandes" greifbar, und nachdem die Prinzessin happy-endlich nicht Karl, sondern ihrem Toy-Pudel das Ja-Wort gegeben hat, tritt das Heidi-Pudel-Gespann ausdrücklich an, um vor diesem drohenden Untergang zu bewahren. Manche Handlungsstränge reißen unvermittelt ab, andere werden bis zum bitteren Ende geführt und falsche Fährten, die Erwartungen wecken, dann aber in die Irre laufen, legt die Autorin dutzendweise. In den Gedichten, mit denen das Buch ausklingt, werden die "Duineser Elegien" gerüttelt und geschüttelt. Sie verwandeln sich ganz unbotmäßig in die "Guinneser Allergien". Die "Dionysos-Dithyramben" bekommen Konkurrenz von der "Bimmel-Dithyrambe"– eingedenk dessen, dass es vom Erhabenen zum Lächerlichen nur ein Schritt ist.
Hereinspaziert ins Döring'sche Spiegelkabinett, in die zweck- und zügellose Sprachspiel-Welt. Natürlich ist da was schief. Doch der schräge Winkel ist auskalkuliert, wie in den Häusern von Hundertwasser und Rizzi. Der Nonsenskobold kriegt sich nicht mehr ein, lässt sich nicht gängeln, treibt unartig sein Un-Wesen. Schaurig, wie fragil doch die wohlgeordneten Bahnen sind, auf denen alles nach Plan läuft, und wie tyrannisch-unduldsam der Anspruch logischer Weltgebäude, in denen weder der an den Fassaden kratzende Witz noch das befreiende Lachen eine Daseinsberechtigung hat. Wider diesen Stachel zu löcken zeichnet so manches Opus oder Opusculum der Unsinnspoesie aus. In diese Linie gehört auch Bianca Döring.
Wir haben es in "Der Regen pengte ins Gras", neben viel Raum für den Zufall, mit proteischem Gestaltungswillen zu tun und mit lautlichen, sprachsinnlichen Kraftfeldern. Mit dadaistischer Exuberanz, kindlichem Übermut und spielerischem Unernst. Dörings unsinnsträchtige Verbalarrangements bewirken vor allem eins: die Entautomatisierung des Gewohnten. Wichtigste Erkenntnis: Nichts ist, wie es ist, es könnte auch ganz anders sein. Es könnte zum Beispiel so sein wie im Fall von Kurt Schwitters' "Ursonate", mit der er das Sprachmaterial an sich zum Gegenstand erhebt und 1925 damit an die Öffentlichkeit geht: Zuerst verfärben sich die Gesichter der Zuhörer vor Entrüstung, die Anwesenden schnappen lautstark nach Luft, am Ende des Stückvortrags aber liegen sie dem Autor in den Armen und zollen ihm überschwengliches Lob. Was heute wildwuchernder Unsinn ist, das ist womöglich der unisono begrüßte Sinn von morgen. Der Regen pengte ins Gras – eine pfiffige und vergnüglich zu lesende Textkollektion. Martina Pfeiffer
Bianca Döring, Der Regen pengte ins Gras und andere solche Geschichten, Berlin 2023
Bianca Döring ist 1957 in Schlitz/Vogelsberg geboren. Sie studierte Germanistik, Musik, Polytechnik und Erziehungswissenschaften in Trossingen, Marburg und Kassel. Künstlerische Tätigkeit: Theater, Performance, Musik, Malerei und Literatur. Döring erhielt mehrere Stipendien und Preise, u.a. Martha-Saalfeld-Förderpreis, Solitude-Stipendium, Nominierung Kurd-Laßwitz-Preis bestes Hörspiel, Shortlist Gertrud Kolmar Preis für Lyrik 2019. Es gibt von Bianca Döring 14 Buchveröffentlichungen in Verlagen, zuletzt: „Der Regen pengte ins Gras“, Berlin 2023. Außerdem: Veröffentlichungen im Rundfunk, in Anthologien und Literaturzeitschriften, z.B. „manuskripte“, Graz ; "L." Der Literaturbote, Frankfurt; „poet“ – Magazin des Poetenladen Leipzig; „Sinn und Form“, Akademie der Künste Berlin. Die Autorin ist Mitglied des PEN-Zentrum Deutschland.