Ein Deutscher mit indischen Wurzeln
Der gebürtige Inder kam nach Berlin und blieb: Maler Praveen Sankar im Porträt

Über Indien kann man lesen, dort sei man mit dem Wunsch, allein zu sein, ziemlich allein. Statt bei Nichtverständnis nachzufragen und um Erklärung zu bitten, äußere der Inder "no problem". Und wenn ein Inder sage "Just one minute" könne man sich auf eine dehnbare Minute einstellen. Zeit sei nicht Geld, Zeit sei endlos. Ende des Jahres 2023 lebten etwa 246.000 Inder in Deutschland, die meisten Hindus, aber auch Moslems, Sikhs, Jains und Buddhisten. Deutschland ist neben USA, Kanada und Großbritannien bevorzugtes Zielland. 2024 lebten 41.500 Menschen aus Indien in Berlin – eine der am stärksten wachsenden Communities in der Hauptstadt. Nach dem gezielten Anwerbungsabkommen 2019 sind es in erster Linie hochqualifizierte Fachkräfte des IT-Bereichs, des Bank- und Finanzwesens, die zu uns kommen. Im Sanskrit heißt es: "Die ganze Welt ist meine Familie." Der freischaffende Maler Praveen Sankar scheint diese Philosophie verinnerlicht zu haben. Er sieht sich aus voller Überzeugung als Deutscher mit indischen Wurzeln. 1985 wurde er in Nenmara im Bundesstaat Kerala, im Südwesten Indiens, geboren. Seit 2011 lebt er in Berlin. Wir freuen uns sehr, dass der Künstler, für den die Lange Nacht der Bilder Lichtenberg stets einer der Jahreshöhepunkte ist, gerne bereit war, beim Kulturring-Projekt "Begegnungen Wort-Wörtlich" dabei zu sein.
Von Indien nach Deutschland ist es ja kein Katzensprung. Was waren Ihre Motive, hierher auszuwandern, Herr Sankar?
P.S.: Über das Internet lernte ich 2007 meinen zukünftigen Ehemann kennen. Wir chatteten vier Jahre und er besuchte mich mehr als 20 mal in Indien. Dann waren wir uns einig: wir wollen heiraten.
Haben Sie von Anfang an gesagt "ich kam, sah und blieb" oder ergab sich das Bleiben erst später?
P.S.: Nicht direkt. Im September 2011 kam ich mit einem Heiratsvisum (eingetragene Partnerschaft) nach Berlin. Innerhalb von drei Monaten musste / konnte ich heiraten oder zurück nach Indien gehen. Ich blieb und heiratete.
Als Zugezogener, haben Sie jemals das erlebt, was man einen "Kulturschock" nennt?
P.S.: Am Anfang war es natürlich schon eine große Umstellung. Das Wetter, die Wohnungseinrichtung, das Essen, die Sprache, das Umfeld.
Die Idee von der Multikulturellen Gesellschaft: Finden Sie, sie ist in Deutschland, speziell in Berlin, verwirklicht?
P.S.: Teils teils. Größere Gruppen von Menschen nichtdeutscher Herkunft, wie z.B. Türken, Araber müssen sich nicht wirklich integrieren. Sie haben hier ,, ihre“ Communities mit eigenen Geschäften, TV und Radiosendern, die Moscheen, dort sprechen sie ,,ihre" Sprache und sehen oft nicht die Notwendigkeit Deutsch zu lernen. Andere Bürger nichtdeutscher Herkunft lernen schneller Deutsch.
Wo liegt Ihre Identität, wo würden Sie diese verorten?
P.S.: Inzwischen bin ich Deutscher, mit indischen Wurzeln.
Vermissen Sie manchmal die Volksfeste und Feiern, die sogenannten "Melas" Ihres Herkunftslandes?
P.S.: Es gibt je nach Region verschiedenste Feste. Mal mehr mal weniger. Jedes Fest hat seine Besonderheiten. Bei meinen Besuchen in Indien versuche ich meine Reisen terminlich so zu legen, dass ich das ein oder andere Fest miterleben kann.
Man sagt, Indien sei überaus kontrastreich. Was genau sind diese Kontraste?
P.S.: Indien ist ja ein riesiges Land. Es gibt große Unterschiede im Leben auf dem Land oder in der Stadt, im Norden oder Süden, Reichtum und Armut…
Wie viele verschiedene Sprachen werden in Indien gesprochen?
P.S.: Es gibt etwas mehr als 100 Sprachen mit über 20 000 Dialekten in Indien, ca. 50 % der Inder sprechen Hindi; sehr viele, vor allem jüngere, Englisch.
Ich spiele mal das Stichwort "Bollywood" ein: Wird Indien Ihrer Einschätzung nach im Blick von Außen zu sehr auf Bollywood reduziert?
P.S.: Ich denke ja. Bollywood hat eine sehr große Reichweite in Indien. Denn der größte Teil der Bevölkerung spricht die Landessprache Hindi. Diese wird in den Filmen gesprochen
Mythenumrankt ist ja die höchste Gebirgskette der Erde - der Himalaya mit seinen majestätischen "Achttausendern". Muss man den „Sitz der Götter“ gesehen haben?
P.S.: Ja, unbedingt. Ich war allerdings selbst bisher nur in Schimla, an den Ausläufern des Himalaya. Im Hinduismus hat der Himalaya eine sehr wichtige und spirituelle Bedeutung. Wir sagen Gott Shiva lebt im Himalaya im Mount Kailash, wo der Ganges entspringt.
Der Fluss Ganges: Wie kommt es, dass dieser Fluss den Indern als heilig gilt?
P.S.: Im Ganges selbst sehen Hindus die personifizierte Flussgöttin Ganga. Dem Glauben nach kann ein Bad im Ganges helfen, alle Sünden loszuwerden.
Generationenkonflikte, wenig Achtung vor älteren Menschen, deren Unterbringung in Heimen – Bemerken Sie da große Unterschiede zwischen Ihrem Herkunftsland und Deutschland?
P.S.: Ältere Familienmitglieder werden im Haushalt mitversorgt. Pflege- oder Altenheime gibt es eher selten. Inder haben mehr Achtung vor dem Alter.
Ich habe oft gehört, Zugezogene wundern sich, dass in Deutschland auf den Straßen wirklich keiner bei Rot fährt. Wundern auch Sie sich (noch) darüber?
P.S.: Nein, nicht mehr. Der Straßenverkehr in Indien und Deutschland ist nicht vergleichbar. In Indien gibt es zwar Regeln, aber kaum jemand hält sich daran. Eine laute Hupe am Fahrzeug ist sehr hilfreich….
Zeitplanung Monate im Voraus, einzuhaltende Deadlines, Termindruck, selbst mit guten Freunden Besuche per Terminkalender abzusprechen – der Umgang mit Zeit, ist das für Sie hier ein Ärgernis?
P.S.: Teils teils. In Indien gehe ich Freunde und Verwandte besuchen, ohne mich groß anzukündigen. Das ist in Deutschland eher unüblich. Aber andererseits ist das Leben hier sehr strukturiert.
Wie sind Sie zur Kunst gekommen?
P.S.: Schon als kleines Kind malte und zeichnete ich oft. Kreide, Bleistift. Farben konnten mir meine Eltern immer kaufen. Ich sah mich online in europäischen Galerien und Museen um.
Sie sagten mir, Sie seien in der Malerei teilweise vom Impressionismus beeinflusst. Machen Sie sich, die Staffelei auf dem Rücken, ausgerüstet mit Tubenfarben, gerne auf den Weg, um "plein air" zu malen und die Bilder im Freien fertigzustellen? Ich glaube, die Impressionisten waren dafür bekannt…
P.S.: Nein. Ich male in meinem kleinen Studio in Berlin Lichtenberg, in der Kulturfabrik. Aber auch zuhause. Zum Beispiel sehr gern auf dem Balkon mit natürlichem Licht.
Lange Zeit glaubte man, die Gegenstände hätten eine unveränderliche Eigenfarbe, doch die Vertreter der neuen Kunstrichtung hinterfragten dieses "So-Sein". Wie gefällt Ihnen das Bild "Impression.Sonnenaufgang", 1872 von Monet gemalt, das dem Impressionismus seinen Namen gab? "Impression" hatte man vor der Entstehung dieses Bildes eine vor Ort entstandene Landschaftsskizze genannt…
P.S.: Das Bild gefällt mir sehr. Die Atmosphäre, die Monet dargestellt hat, ist sehr fesselnd und einmalig. Die Darstellung das Lichtes im Zusammenspiel mit den Reflexionen ist faszinierend. Ich war auch in der Ausstellung in Potsdam.
Welches Motiv von Monet würden Sie sich gerne für Ihr eigenes Malen vornehmen?
P.S.: Monet war sehr vielseitig. So sehe ich mich auch. Sein berühmtes Bild ,,Seerosen" inspirierte mich zu einem ähnlichen Bild.
Verlassen Sie sich als Maler spontan auf den Instinkt der Hand? Oder kann Malen für Sie auch planvolles Vorgehen und Präzisionsarbeit sein?
P.S.: Ich male nach Lust und Laune, oft wochenlang gar nicht, dann aber tagelang. Das Malen ist eher spontan; teilweise aber auch beeinflusst von Kunstwerken anderer Künstler. Die überwiegende Anzahl meiner Bilder entstehen spontan während des Malens. Oft habe ich eine Idee, ändere diese aber im Malprozess. Einige Bilder sind mehrfach übermalt.
Welche anderen Künste wirken auf Sie als Maler?
P.S.: Oft habe ich Ideen zu neuen Bildern beim Hören indischer Musik, aber auch beim Betrachten anderer Bilder und Fotos, auch unbekannter Künstler, sowie Filmszenen.
Woran erkennen wir in Ihrer Malerei die eigene „Handschrift“ von Praveen Sankar?
P.S.: Ich bin ein freischaffender Künstler. Ich male, weil es mir Spaß macht und ich dabei total abschalten kann. Gern experimentiere ich mit verschiedenen Techniken, Medien und Objekten. Ich würde sagen, dass ich immer noch in einem eigenen Entwicklungsprozess bin. Ich male, aber versuche nicht zwanghaft einen eigenen Style zu kreieren. Denn ein eigener Style entwickelt sich selbständig im Laufe der Zeit und von allein. Mit Vorliebe verwende ich jedoch kräftige Farben.
Herr Sankar, ich habe mich sehr über unser Gespräch gefreut, insbesondere auch darüber, etwas über Sie zu erfahren: Über Ihr Herkunftsland, Ihre Gedanken über Deutschland und über Ihre Kunst.
P.S.: Danke für die Fragen und Ihr Interesse an meiner künstlerischen Arbeit. Gern können Sie sich meine letzten Werke während der Langen Nacht der Bilder anschauen.
Vita
Praveen Sankar wurde am 31.05.1985 in Nenmara im Bundesstaat Kerala in Indien geboren. Er besuchte 12 Jahre die Schule und entschied sich im Anschluss für eine Ausbildung zum Intensivkrankenpfleger. P.S. studierte an der Rajiv Gandhi University of Health Science in Bangaluru und erhielt nach 4 Jahren Ausbildung den Bachelor of Nursing. Im Anschluss arbeitete er in verschiedenen privaten Kliniken in Delhi, Indien.
Der freischaffende Künstler besuchte verschiedene Museen in Europa. Zum Beispiel den Louvre in Paris, die National Gallery in London, die Vatikanischen Museen, diverse Museen in Amsterdam, das Barberini in Potsdam und nicht zuletzt viele Berliner Museen. Seit 2023 ist er Mitglied des Fördervereins der Berlinischen Galerie.
Interviewerin: Martina Pfeiffer