Der Medienpoint Tempelhof – Erfahrungsraum für Buchaffine und Schreibfreudige

Martina Pfeiffer

Zwei heranwachsende Mädchen beugen sich über ein Buch, sind gebannt von der Lektüre. Ihre Gesichter glühen, sie sind ganz vom Lesestoff absorbiert. Unvermittelt gerät die Szenerie in Bewegung. Alles, was nicht fixiert ist, schwebt –  wie in einem Raumschiff – umher. Die Kinder gleiten an die Zimmerdecke, dem Horizont so nah. Über dem Dach weitet sich endlos der gestirnte Nachthimmel. So das offizielle Video der US-amerikanischen Rockband Foo-Fighters zu ihrem Song "The Sky is a Neighbourhood". Lesen ist und bleibt eine zentrale Kulturtechnik, vergessen wir das nicht. Die stille Lektüre entwickelt einen Sog, der hineinzieht in fremde Sphären, als wären es die eigenen. Was wir lesend aufnehmen, die mit den Augen erfassbaren Zeichen, führen eine Vielzahl von Stimmen an uns heran und fordern gerade dadurch, dass wir starre Standpunkte überpüfen, wenn nicht aufgeben.  Erst durch den Akt des Lesens wird dem Geschriebenen – mit dem Dazutun eigener Assoziationen, Bilder, Erinnerungen und Geschichten – Leben eingehaucht. Jedes  Sich-Versenken in die Lektüre erfindet den gelesenen Inhalt neu. Lesen ist ein Ereignis.

Lesende ­– sie wirken wie um Lichtjahre entfernt, entrückt. Oft hat die bildende Kunst sie zur Darstellung gebracht. Einige seien stellvertretend für viele genannt: Franz Marcs "Lesende Frau" (1906), "Lesender Mann" von Karl Schmidt-Rottluff (1922), Max Beckmanns "Zwei lesende Mädchen" (1935), Pablo Picasso "Die Lektüre" (1953), Edward Hopper "Philosophische Exkursion" (1959). Auch der Film hat die Kulturtechnik des Lesens thematisiert. In Wim Wenders' Kultfilm "Der Himmel über Berlin" sind die Besucher der Staatsbibliothek  während ihrer Lektüre umgeben von flüsternden Engeln, die nahe an sie herantreten und sich doch nicht materialisieren. Spürbar ist ihre geistige Präsenz.

An einem Ort, an dem Bücher und andere Medien aufbewahrt und zur Verfügung gestellt werden, im Medienpoint Tempelhof in der Werderstraße 13,  treffen wir uns einmal alle vier Wochen, am dritten Mittwoch des Monats. Wir – das ist das "Schreibatelier Mehrstimmig", die Tempelhofer Schreibwerkstatt des Kulturrings. Seit November 2022 gibt es uns und wir wagen jedesmal bei unserem Treffen wieder den Schritt vom gemeinsamen Lesen zum Schreiben im Gruppenverbund. Die Bücherwelten um uns herum geben dabei wichtige Impulse.

Orte, an denen Bücher und andere Werke der Kunst gesammelt und genossen werden – Bibliotheken wie übrigens auch Galerien und andere Kultureinrichtungen – sind Räume mit einer starken Eigengesetzlichkeit. Innerhalb einer Gesellschaft, die zumeist mit dem Tagesgeschäft zu Gange ist, sind sie Gegenplatzierungen. Michel Foucault nennt diese Räume "Heterotopien" – Orte, die Utopien (griech. ou topos: kein Ort, Nirgendwo) im Hier und Jetzt wahr werden lassen. Die Medienpoints und Galerien des Kulturrings sind solche Orte.

Die Mitglieder des "Schreibatelier Mehrstimmig" haben es sich diesmal zur Aufgabe gemacht, über unterschiedliche Aspekte des Medienpoints Tempelhof zu schreiben: Hermann Bandow hat die Umgebung des Medienpoints erkundet, Marina Klett lässt dessen Ambiente auf sich wirken, Edeltraud Schönnagel schreibt über die Kundschaft, den Service und die Freundlichkeit des Personals, Bernd Willner über das Angebot und die Medienvielfalt. Die Beiträge finden sich auf der Hauptseite des Kulturrings unter "Gruppen" und dort unter dem Eintrag "Tempelhof".