Die Puppen machen die Show
Nicole Weißbrodt steht mit ihrem Spiel für eine beträchtliche Spannbreite

Heinrich von Kleists verrätselte Schrift über das Marionettentheater, Edward Gordon Craigs Abhandlung vom Schauspieler und der Über-Marionette, Robert Wilsons Aufwertung von Puppen im Kontext des Bühnenspiels, Suse Wächters mit Begeisterung aufgenommenes Puppentheater "Brechts Gespenster" im Berliner Ensemble – diese und weitere Stimmen aus dem Kulturbereich verhalfen zu einer Neubewertung des Puppenspiels.
Ob in der Semperoper oder in Mexiko: Nicole Weißbrodt und ihre Figuren sind auf vielen Bühnen zu Hause. Für den Podcastbereich des Kulturrings hat sie das Märchen "Der goldene Schlüssel" der Brüder Grimm zum „Erzähle-ein-Märchen-Tag“ 2025 eingesprochen. Mit dem folgenden Interview sei ihre Arbeit vorgestellt.
Die renommierte Berliner Schauspielschule "Ernst Busch": Erinnern Sie sich noch, was Sie in der Aufnahmeprüfung von Ihrem Schauspieltalent zeigen konnten, Frau Weißbrodt?
N.W.: Ich habe mich ja in der Abteilung Puppenspiel beworben. Es gab zuerst eine Eignungs-und dann ein Zulassungsprüfung, zu der jeweils fünf Aufgaben gehörten: ein Gedicht, ein Lied, eine Schauspielrolle, eine selbst ausgedachte Szene mit Puppen und eine Puppenspielszene mit Fremdtext.
In der freien Szene habe ich eine Bauchtanznummer mit einem Kamel gemacht. Das hatte mir am meisten Spaß gemacht, deshalb kann ich mich auch am besten daran erinnern. In der Puppenszene mit Fremdtext habe ich etwas von Goldoni gemacht mit Eisbecher und Pizzaschachtel. Als Schauspielrolle, habe ich die „Phöbe“ gespielt in Shakespeares „Wie es Euch gefällt“.
Beachtlich, was man da "draufhaben" muss. Sie sind ja zum Teil auch in Dänemark aufgewachsen, da kommt man an Hans Christian Andersens Kunstmärchen vermutlich nicht vorbei. Ging Ihnen das auch so?
N.W.: Geboren bin ich ich Franken. Daher hat auch die Figur „Clarissa“ ihren Dialekt. In Dänemark habe ich als Kind 4 Jahre gelebt im Alter von 4-8 Jahren. Da kann ich mich an zwei Bilderbücher von Andersen erinnern, die ich sehr mochte: „Das hässliche Entlein“ und „Das Feuerzeug“. Aber auf der Bühne habe ich noch kein Andersen-Märchen umgesetzt oder in einem mitgewirkt.
Was ja nicht heißt, dass Andersen vielleicht doch noch kommen könnte. Da würde ich in den Zuschauerreihen unbedingt mit dabeisitzen! 2019 bekamen Sie von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa eine Auszeichnung für Kinder- und Jugendtheater. Man sagt Ihnen einen "Skandinavischen Stil" nach. Was sind die Merkmale dieses Stils?
N.W.: Ich weiß nicht, ob der Stil für die Auszeichnung so relevant war. Ich denke, die Zeit in Dänemark hat mich schon sehr geprägt in meiner visuellen Wahrnehmung. Als Kind habe ich alles sehr farbenfroh in Erinnerung mit klaren Mustern. Ein skandinavischer Stil steht ja z.B. bei Einrichtungen auch für Einfachheit und Klarheit. Und das strebe ich zumindest auch auf der Bühne an. Mich haben bestimmte Geschichten in meiner Kindheit in Dänemark geprägt. Die Anwesenheit von Trollen, Wichten und anderen Phantasiewesen. Ich erinnere mich an meinen ersten Kinofilm, den ich mit dem Kindergarten gesehen habe. Er hieß „Dunderklumpen“ und war eine Mischung aus Spielfilm und Animation. Sehr fantasievoll und wahrscheinlich der Grundstein, warum ich beim Puppentheater gelandet bin.
Auf Ihrer Homepage kann man lesen, dass die Figur der alten Dame Clarissa Zockovic auf Ihre Erfahrungen in Franken, wo Sie geboren sind, zurückgeht. Was ist das genuin Fränkische an Clarissa?
N.W.: Hauptsächlich der Dialekt. Meine Familie kommt nicht ursprünglich aus Franken, aber ich habe dort lange gelebt und würde sagen, ich kann die Mentalität lesen. Es gibt eine bestimmte Art etwas auszudrücken, die eben typisch fränkisch ist.
"Madame Butterfly" würde man jetzt nicht unbedingt mit Franken verbinden. Als Stück für Puppen? Opernstoff auf der Puppenbühne ist allemal ungewöhnlich. Wie verlief die Vorbereitung? Haben Sie sich zunächst einmal eine Aufführung von Pucchinis Oper angeschaut? Gab es Hürden bei der Umsetzung des Opernstoffs?
N.W.: An der Vorbereitung war ich nicht beteiligt, da ich da nur für eine Kollegin eingesprungen bin und eine paar Vorstellungen übernommen habe. Es war aber sehr eindrucksvoll, auf der Bühne mitten in einem Terzett zu stehen und die Stimmgewalten buchstäblich zu spüren.
Ist jede Rolle mit Puppen besetzbar? Gibt es eine Rolle, von der Sie sagen würden, man kann sie nur "leibhaftig" spielen?
N.W.: Ich habe ja auch am Theater Erlangen in "Momo" mitgewirkt. Ich habe da u.a. Kassiopeia gespielt, die ich auch bauen durfte, als Riesenschildkröte. Die Regisseurin Anne Klinge hat Momo aber nicht mit einer erwachsenen Schauspielerin besetzt, sondern mit einem Kind. Das war eine sehr kluge Entscheidung, da es bei Momo darum geht, mit kindlicher Naivität die Erwachsenenwelt zu hinterfragen.
Wie kam es zu Ihrem Auftritt in der Semperoper? So ein Angebot kommt bestimmt nicht jeden Tag…
N.W.: Ein Kommilitone, Matthis Freygang, der in zwischen leider verstorben ist, hatte den Kontakt hergestellt. Das Theater ist schon sehr eindrucksvoll. Auf der Hinterbühne hatte ein ganzer Helikopter, aus einem anderem Stück noch Platz. Geprobt haben wir unsere Solo Puppenszenen zum Teil nachts um die Original Bühenbedingungen zu haben. Die Zeiten waren tagsüber meistens mit Tänzern belegt.
Ich persönlich war und bin Fan von Otfried Preußler und seinen Geschichten. "Die kleine Hexe" oder "Das kleine Gespenst" kann ich mir auch gut als Puppenspiel vorstellen. In neuerer Zeit steht bei den Kindern z.B. Cornelia Funkes "Tintenherz" hoch im Kurs. Was hat Sie daran gereizt, Cornelia Funke in Ihr Repertoire aufzunehmen?
N.W.: Ich kannte den Regisseur, er mich und meine Arbeit. Ich denke, alles was in Geschichten an Gegenständen und Gestalten Fiktion ist, schreit förmlich nach Puppenspiel , sei es in Märchen, Geschichten von Cornelia Funke oder Boris Vian.
Welchen "Blick" auf überlieferte Märchen halten Sie für unverzichtbar? Den auf die Bewahrung von Traditionen gerichteten Blick? Den schrägen Blick? Den satirisch-unernsten Blick? Oder etwas ganz anderes?
N.W.: In Märchen stecken oft Weisheiten, die ich gerne weitertragen möchte. Und vor allem: Das Gute gewinnt.Immer.
Dass Sie "Puppetry Slam" machen, hat mich sofort angesprochen. Wie können wir uns das vorstellen, wie Sie Puppetry Slam auf die Bühne bringen? Können wir Vergleiche ziehen zwischen Puppetry Slam und Poetry Slam?
N.W.: Es ist ja eine Adaption des Poetry Slam. Der Ablauf ist ganz ähnlich, was das Bewertungssystem und das Regelwerk betrifft. Im Poetry Slam sind allerdings keine Kostüme und Requisiten erlaubt. Das ist natürlich im Puppenspiel unerlässlich. Gleich ist, dass die Szenen, ja auch die Texte selbst geschrieben sind. Es gibt auch ein Format, das ich auch immer sehr mochte: den "Dead or Alive"- Slam. Da treten moderne, lebende Dichter gegen „Tote“ an, d.h. Poetry-Slammer gegen Schauspieler, die Fremdtexte verwenden. Ich bin mal in Bamberg mit meiner Puppe „Clarissa Zockovic“ als Featured Artist in einem "Dead or Alive"- Slam aufgetreten. Da habe ich tolle Leute kennengelernt wie Thomas Spitzer, Nora Gomringer und Sebastian 23.
Mit Puppen provozieren – Was wäre, übertragen auf das Puppentheater, ein handfester Theaterskandal?
N.W.: Ich denke, man kann mit Puppen genauso provozieren wie ohne. Die Frage ist doch, ob das die Intention ist. Im Allgemeinen kann man sich mit Puppen mehr erlauben, kritische Dinge ansprechen, weil es durch die Verfremdung der Puppen klar ist, dass es eine fiktive Figur ist, die z.B. eine bestimmte Äußerung trifft. Meine Figur Clarissa ist alt, eine Frau und sitzt im Rollstuhl. Da ist es etwas ganz anderes, wenn sie etwas sexistisches gegenüber Männern äußert. Das Publikum liebt das sogar.
Welche Reaktionen aus dem Zuschauerraum haben Sie selbst schon einmal "aus dem Konzept" gebracht?
N.W.: Bei Kindern muss man mit allem rechnen. Kinder können brutal ehrlich sein. Bei Dornröschen sage ich den Satz: „Menschen, die sich lieb haben, streiten sich auch manchmal.". Da sagt ein Kind: „Meine Eltern sind schon getrennt.“ Weiter im Publikum: „Meine auch“, „Meine auch“. Da habe ich schon kurz nach Luft geschnappt.
Finden Sie, dass man manche Märchen nicht mehr erzählen darf oder dass die Märchensprache gereinigt werden soll, so dass sie "politisch korrekt" wird?
N.W.: Ich vertrete die Ansicht, dass in der Kunst alles erlaubt sein sollte. Bei der Auswahl eines Märchens trifft man ja eine Entscheidung ob man es vertreten kann oder nicht und ob man etwas umändern möchte oder nicht. Eine künstlerische Auseinandersetzung halte ich für selbstverständlich. Es sollte aber kein „sollte“ geben.
Wenn Sie die Puppe bewegen und ihr Ihre Stimme leihen, wenn Sie also die Puppe "animieren", braucht es dafür eher Einfühlung oder Distanz?
N.W.: Wahrscheinlich beides. Eine gewisse Distanz hat man zwar schon dadurch, dass man man nicht wie im Schauspiel seinen eigenen Körper benutzt. Aber wenn ich eine Puppe auf der Hand habe, dann reagiere, denke und spreche ich in dieser Figur. Mit der Figur Clarissa z.B. improvisiere ich am liebsten. Ich denke nicht darüber nach, ich agiere und reagiere einfach. Gleichzeitig ist sie auch von mir als Person getrennt. Wenn ich über die Figur spreche, ertappe ich mich dabei, dass ich Sätze sage, wie: “Und dann hat Clarissa gesagt…“ Und ich selbst realisiere in dem Moment nicht, dass ich das gesagt habe.
Mit Ihren Puppen sind Sie auch außerhalb Deutschlands unterwegs. Ihre Reise nach Mexiko-Stadt und dortige Aufführungen Ihres Puppentheaters: Was kennzeichnet das junge mexikanische Publikum im Vergleich zum deutschen?
N.W.: Hauptsächlich die Sprache. Wir haben am Goethe-Institut gespielt. Es gab zwar zum Teil Deutschkenntnisse, aber es ist natürlich etwas anderes, wenn das Publikum überwiegend Deutsch als Muttersprache hat. Vor allem, wenn dann auch noch eine Figur Dialekt, wie im Fall von Clarissa Zockovic, fränkisch spricht. Ich habe dann sehr einfaches Spanisch gesprochen und Nikki, ihre Pflegerin hat Englisch geantwortet oder übersetzt.
Sie stehen auf internationalen Bühnen und nehmen im Ausland an Festivals teil: Was ist es, was einfach alle am Puppenspiel und an den Märchen der Welt anspricht, ungeachtet der nationalen Zugehörigkeit?
N.W.: Die Freude darüber, dass die Puppe lebt. Beim Puppenspiel handelt es sich um eine Bildsprache, die gegebenenfalls auch ohne Worte auskommt. Das Erzeugen von Bildern ist universal.
Schriftsteller, Schauspieler, Choreographen und Regisseure haben sich zum Puppenspiel geäußert. Wollen wir einen Blick in die Zukunft wagen?
N.W.: Puppenspiel ist eine Kunstform, die sowohl Erwachsene als auch Kinder anspricht, die von traditionellem Handpuppenspiel bis zur Nutzung moderner Technologien reicht. Daher, denke ich, wird es auch in Zukunft Bestand haben. Nicht nur die genannten Größen tragen durch innovative Ansätze und moderne Inszenierungen zu einer Neubewertung bei. Auch das Publikum spielt eine Rolle, und hat die Möglichkeit dieser Kunstform seine Aufmerksamkeit zu schenken und sie wertzuschätzen.
Interview: Martina Pfeiffer