Christian Morgenstern kommt 1894 von München nach Berlin, in die erste Berliner Zeit fällt das ausgelassene Beisammensein mit den „Galgenbrüdern", wie sie sich nannten, in verschiedenen Lokalen. Die Sprachkrise um die Jahrhundertwende gehörte zum Lebensgefühl. Es mag verwundern, aber 1905 schreibt der Dichter: „Ich habe noch keine Phantasie gehabt, die nicht eine – wenn auch noch so verborgene – Nabelschnur zur Wirklichkeit gehabt hätte." Die Wirklichkeit stellt er allzu gerne auf den Kopf, aufgeblähte Gedankenschwere lässt er nicht gelten. Mit seinen Spottliedern und Sprachspielereien sorgt er für erheiternde Befreiung, ohne in Klamauk abzugleiten. Der sprachlich Hellhörige, dessen Witz mitunter in die Dunkelzonen des Sprachpsychologischen hinabsteigt, bricht phraseologische Verbindungen auf, deformiert und reformiert den lexikalischen Sprachgebrauch. Dieser Idee-Ologe erfindet eine ganze Reihe von neuen Wörtern, wie etwa: „Diletalent“, „gymnaseweiß“, „schwansinnig“, „flügelbelastet“ und „zeitströmig“. Sein "Tulemond" ist dem Französischen "tout le monde" abgelauscht. Eine andere berühmte Wortneubildung ist der „Gingganz“, losgelöst von „Ich ging ganz in Gedanken hin". Es hat den Anschein, als sei er dem Möchtegern, Habenichts, Taugenichts und Tunichtgut nachgebildet. Bei einer anderen Sprachkreation, dem großen „Lalula“, schwingt lautlich mit: Halleluja, einlullen, Tralala, Larifari und vielleicht auch der Lulatsch. In die Reihe der grotesken Tiere gehört das „Vierviertelschwein“ als besonders der Musik zugeneigtes musikalisches Tier, später gesellt sich in Morgensterns Dichtung der „Dreiachtelhase" hinzu. Zu witzigen Sprach-Spielen aufgelegt, die eine Nabelschnur zur Wirklichkeit haben? Der kauzig-köstliche Morgenstern hilft einem dabei definitiv auf die Sprünge. M.Pfeiffer
Gedichte: „Der Tanz“, „Der Zwölf-Elf“, „Im Reich der Interpunktionen“;
Verfasser: Christian Morgenstern
Sprecher: Christian Nestler, TAFF-Theater im Labsaal Lübars