Der 100. Kulturring-Podcast

Erzählen in Wort und Bild: Die Symbiose funktioniert – in der Graphic Novel „Andersdenkerinnen“

Autorin, Zeichnerin und Filmemacherin Anna Faroqhi im Gespräch

In Anna Faroqhis Graphic Novel Andersdenkerinnen lernen wir Robin kennen, einen kurdischen Jungen aus der Türkei;  Chioma, eine Deutsch-Ghanaerin mit nigerianischen Wurzeln und Irit, Israelin mit deutschem Hintergrund. Alle drei leben im gegenwärtigen Berlin und sie bzw. ihre Familien haben Fluchterfahrung. Die Heroinen der drei Jugendlichen: die Bibliothekarin Helene Nathan (1885 – 1940), die Schriftstellerin Anna Seghers (1900 – 1983) und die Philosophin Hannah Arendt (1906 – 1975). Diese bemerkenswerten Frauen waren fest entschlossen, sich nicht mit Nazi-Deutschland zu arrangieren. Wir haben es also mit zwei Fluchtrichtungen zu tun: die Flucht der Andersdenkerinnen aus Deutschland heraus und die Flucht der fiktiven jugendlichen Akteure nach Deutschland. Anna Faroqhi hat einen intensiven Kontakt zu Geflüchteten aufgebautum deren komplexe Gefühlslage wiedergeben zu können. Wer ihre Graphic Novel liest, trifft auf eine kompositorisch ausgeklügelte Seitenarchitektur und ist angehalten, Zeichensysteme zu deuten: Panels, Speech Balloons, Lettering, Farbgestaltung etc.. Die Autorin, Zeichnerin und Filmemacherin sieht für sich selbst den unbestreitbaren Bonus der durch sie repräsentierten Gattung wie folgt: "Ich mag literarisches Erzählen und ich mag visuelles Erzählen. In der Graphic Novel kann ich beides tun. Ein Privileg." Und die Symbiose funktioniert – Anna Faroqhis Graphic Novel zeigt's. Was sie in dem Band Andersdenkerinnen in den Textanteilen wie auch visuell erzählt, ist die Geschichte von  Menschen, die in einer besonderen Phase ihres Lebens kompromisslos nach Gerechtigkeit suchen und für diese einstehen, gegen eine wohlfeile Majoritätsmeinung. Mit vielen Details werden in der Graphic Novel die Heldinnen der drei Jugendlichen in Wort und Bild charakterisiert. Dabei wird nicht verschwiegen, dass diese über das Normalmaß hinausragenden Menschen eben auch verletzlich und widersprüchlich sein konnten. Faroqhis Workshop-Reihe zum Buch stellt den Jugendlichen an verschiedenen Berliner Schulen je eine Heldin der Graphic Novel vor. Die Künstlerin verfolgt die Absicht, die Heranwachsenden in einen Diskurs über die Themen Freiheit, Entrechtung, totalitäre Herrschaft und Flucht einzubinden. Dass die Autorin zu diesem Ziel mit Helene Nathan, Anna Seghers und Hannah Arendt drei herausragende Persönlichkeiten der Zeitgeschichte reflektieren und agieren lässt, ist ein wirkungsstarkes Signal. M.Pfeiffer

Gedanken zum Heldentum von Martina Pfeiffer (Essay)