Spandaus „Medienpointer“ machen vieles möglich
Lesewillige finden hier ihre Schmökerstätte. Man stöbert, blättert und nimmt sich den Pageturner mit in die eigenen vier Wände. Viele Gäste sehen den Medienpoint obendrein als „meeting point“. Die Mitarbeiter*innen der Medienherberge in Spandau haben ein offenes Ohr für die Belange des Alltags. Von der Gesundheit über Kita und Schule bis zu Behördendingen.
Nutzer des Medienpoints können wöchentlich bis zu fünf Artikel mitnehmen, darunter auch Lern- und Gesellschaftsspiele. Stammkund*innen steuern meist gezielt ihre favorisierte Kategorie an. Die Vorlieben kennt das Team in der Regel. Aber wie ist es bei neuen Gesichtern? Mitarbeiter Alexander Scheffler: „Neukunden sind für Überraschungen gut. Einmal kommt womöglich eine gesetzte Dame, die sich umschaut und dann auf die Sektion Psychothriller zugeht. Oder es tritt ein Herr ein, der sich orientiert und dann nach zeitgenössischen Liebesromanen greift.“ Scheffler spricht über berührende Momente: „Besonders Kinder sind unglaublich glücklich und strahlen mich an, wenn sie fündig geworden sind.“ Manche aus der Stammkundschaft, erzählt der 58-jährige gelernte Betriebsschlosser, bringen ab und an Kaffee und Kuchen für einen geselligen Nachmittag mit dem Team. Der Medienpoint bietet nicht nur Gelegenheit zum Eintauchen ins Schriftgut. Er eröffnet überdies die Chance zu einem angeregten Gedankenaustausch oder einfach nur zum Smalltalk. Claudia Buer, seit einem Monat neues Teammitglied, greift das Stichwort auf: „Der persönliche Kontakt ist hier allen wichtig. Ich habe in der kurzen Zeit gelernt, besser auf Menschen zuzugehen. Man merkt deutlich, dass die Leute die gutsortierten Regale und die Beratung schätzen, weil sie dadurch Freude erfahren.“ Die 51-Jährige war ursprünglich im Gartenbau tätig. Im Team fühlte sie sich sofort angenommen. Wie viele ihrer fünfzehn Kolleg*innen ist sie über ein Projekt der Arbeitsförderung zum Medienpoint gekommen. Auch Bundesfreiwillige machen mit. Um die Einsatzplanung in den zwei Arbeitsschichten von 8 bis 18 Uhr kümmern sich Alexander Scheffler und Nicole Nebus, außerdem um die Außenveranstaltungen und die Betreuung der Mitarbeiterschaft.
Der Medienpoint Spandau ist ein Quartier für Bücher und weitere Medien, die von Privatspendern, Vereinen und Institutionen abgegeben wurden. Warum trennen Menschen sich von Büchern, die sie über eine Wegstrecke ihres Lebens begleitet haben, die ihnen vielleicht sogar wie treue Gefährten ans Herz gewachsen sind? Dazu Alexander Scheffler: „Wohnungsauflösungen, der Umzug in eine kleinere Wohnung oder in eine andere Stadt, auch der Wechsel in Betreutes Wohnen. Die Geber wissen, dass die Bücher bei uns in guten Händen sind.“ Großspenden werden auf alle Medienpoints sowie auf die externen Büchertische bei Laib & Seele und bei der Berliner Suppenküche umverteilt. Die beiden Fahrer René Bonack und Ryszard Rakowski übernehmen die Spendenabholung und die Übergabe. Sie bringen damit Gutenbergs Erfindung buchstäblich ins Rollen. Durch die vorherige Ausbildung zum Fahrlehrer hat sich René Bonack Eigenschaften erworben, die ihm bei seiner Mission zugute kommen: Gelassenheit und planvolles Vorgehen. „Wichtig ist, gut ausgeschlafen und belastbar zu sein. Man muss nämlich zeitig losfahren, um die Termine einzuhalten. Körperlich und geistig fit zu sein, ja, das ist eine Voraussetzung. Was in Kisten verpackte Bücher wiegen können, bekommt man bei ihrem Transport zu spüren. Eine überlegte Organisation mit einem guten Timing ist das A und O.“ Auf die Frage, was ihn besonders fordert: „Das Fahren und Transportieren kann schon mal ein Gewaltakt sein: dritter Hinterhof, vierter Stock, ohne Fahrstuhl. Oder im Sommer bei fünfunddreißig Grad quer durch Berlin und dann stapelweise Kisten schleppen.“
Zu den Sternstunden von René Bonacks Arbeit gehören Großspenden mit Büchern im Bestzustand. Zwei Großgaben von Privatpersonen sind ihm besonders im Gedächtnis: ein Haus mit Schuppen, darin an die dreitausend Bücher. Alle einzeln liebevoll eingeschlagen. Ein anderer Spender, ebenfalls leidenschaftlicher Sammler des gedruckten Wortes, hatte in jedes seiner Bände Zettel eingelegt mit einer persönlichen Empfehlung, warum er den jeweiligen Band als lesenswert ansieht. Alle Spenden werden von den Mitarbeitern geprüft und sortiert, falls nötig die Namen unkenntlich gemacht, Widmungen herausgetrennt.
Warum sich Spandaus Medienpointer inmitten von Büchern in guter Gesellschaft fühlen, erklärt sich im Fall von Alexander Scheffler, Claudia Buer und René Bonack durch die nachhaltige Freude am gedruckten Wort. René Bonacks bevorzugter Lesestoff war seit jeher alles über Amphitheater, über die Ausgrabungen Schliemanns, Hieroglyphenentzifferung und vor allem Römische Geschichte. In seinem Urlaub zieht es den gebürtigen Berliner immer wieder nach Rom. Dort kann er das Buchwissen mit der geschichtsträchtigen Realität vor Ort abgleichen. „Die Vorliebe fürs Lesen und das Verständnis für Bücher haben wir an unsere Tochter Viktoria weitergegeben. Schon als sie klein war, haben wir ihr viel vorgelesen. Es hat gewirkt. Sie ist Journalistin geworden. Jetzt hat sie ihren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt in New York.“ Manchmal werden Träume eben wahr. Allerdings drohen sie zu versiegen, ohne die Stätten, wo Kulturgüter wie z. B. Bücher aufbewahrt und zur Verfügung gestellt werden. Zu diesen geschätzten Orten gehören die acht Medienpoints des Kulturrings.