Jugend fotografiert | Langzeitprojekt zur künstlerischen Bildung

Daniel Aldridge

„Jugend Fotografiert“ ist eine von der Fotogalerie Friedrichshain ins Leben gerufene Ausstellungs- und Workshopreihe. Sie richtet sich an Kinder und Jugendliche, die eigene fotografische Arbeiten im Rahmen einer professionellen Ausstellung präsentieren möchten. Neben der künstlerischen Anerkennung steht auch der Prozess der Mitgestaltung im Zentrum. Unter Anleitung eines erfahrenen Teams lernen die Teilnehmer, was es heißt, eine Ausstellung zu entwickeln, von der Auswahl der Werke bis zur Hängung.

Ziel des Projekts ist es, den kreativen Umgang mit dem Medium Fotografie jenseits schulischer Zwänge zu fördern. Dafür arbeitet die Fotogalerie gezielt mit Schulen, Jugendprojekten und Künstlern zusammen. Es entstehen alternative ästhetische Erfahrungsräume, in denen sich junge Menschen ausprobieren und durch gemeinsame Ausstellungen neue Kontakte knüpfen können. Seit 2016 wurden zahlreiche Gruppenausstellungen verwirklicht, in denen die Ergebnisse von Workshops, Schulprojekten und AGs der Öffentlichkeit präsentiert wurden.

Von der Idee zum Format

„Jugend Fotografiert“ ist über Jahre hinweg gewachsen. Was 2016 als lokale Kunstmeile begann, entwickelte sich zu einem festen Bestandteil im Programm der Fotogalerie. Der Wandel war auch ein struktureller: Aus einem offenen, kiezorientierten Format wurde ein professionell kuratiertes Ausstellungsprojekt. Insbesondere die kontinuierliche Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Organisationen wie Drop-In e.V. sowie mit Kunstpädagogen wie Céline Pilch und Gabriela Vasquez Pacheco hat zur Etablierung des Formats beigetragen.

Dabei ging es nicht nur um die Präsentation der Werke, sondern auch um eine Stärkung des Selbstbewusstseins (Empowerment), sowohl der Jugendlichen als auch der anleitenden Künstler. Viele Mitarbeiter der Galerie kamen über Arbeitsförderungsmaßnahmen und fanden durch die eigene Leitung von Workshops selbst neuen Zugang zur Kunstvermittlung. Diese enge Verzahnung von künstlerischer Praxis, sozialer Arbeit und Bildung macht den besonderen Charakter des Projekts aus.

Netzwerke und kreative Synergien

Ein Erfolgsfaktor des Projekts ist das über Jahre gewachsene Netzwerk. Viele Beteiligte, wie Céline oder Gabriela, bringen eigene Kontakte mit, sei es durch Schulen, freie Projekte oder persönliche Engagements. So kommen immer wieder neue Orte, Themen und Teilnehmer hinzu, von der Kurt-Schwitters-Schule in Prenzlauer Berg über ein Geflüchtetenprojekt in Brandenburg bis hin zu Beiträgen aus dem Fotomarathon Berlin.

Diese Vielschichtigkeit ermöglicht eine außergewöhnliche Vielfalt an Perspektiven. Besonders spannend wird es, wenn sich Teilnehmer aus unterschiedlichen sozialen Räumen begegnen, etwa Schüler aus der Großstadt und geflüchtete Jugendliche aus ländlichen Orten. Solche Begegnungen auf künstlerischer Ebene eröffnen neue Zugänge, fördern Empathie und zeigen, welches Potenzial Kunst für den sozialen Austausch hat.

Thematische Offenheit mit Tiefgang

Ein zentrales Merkmal von „Jugend Fotografiert“ ist die thematische Offenheit. Zwar gab es in einzelnen Jahren Themenschwerpunkte, etwa „Grenzen“ im Rahmen des Projekts „SpurenWandler“ 2023 oder „Beiträge aus Belfast“ 2024. Doch im Regelfall entstehen die Themen aus den Arbeiten selbst. Die Ausstellung ist bewusst ergebnisoffen konzipiert. Erst im Auswahlprozess wird geschaut, welche Motive sich häufen, welche Techniken dominieren und welche Erzählstränge sich ergeben.

So steht häufig das Thema Identität im Mittelpunkt, gerade in der sensiblen Phase der Pubertät, in der viele Jugendliche beginnen, sich mit der eigenen Rolle in der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Die Fotografie bietet hier einen wertvollen Spiegel: Die Werke reichen von düsteren, nachdenklichen Selbst­porträts über fantasievolle Rollenspiele bis hin zu kritischer Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normen. Auch das Spannungsfeld zwischen Selbstdarstellung in sozialen Medien und authentischer Selbsterkundung wird sichtbar.

Technik, Zugänge und Herausforderungen

Neben den inhaltlichen Aspekten spielen auch praktische Fragen eine große Rolle. Technische Ausstattung, Zeitressourcen und organisatorische Hürden bestimmen oft, was realisiert werden kann. Nicht alle Jugendliche verfügen über hochwertige Kameras oder Druckmöglichkeiten. Deshalb setzen viele Projekte auf kreative Lösungen, etwa durch den Einsatz von Smartphones, Cyanotypie (auch als Eisenblaudruck bekannt) oder Schwarzweiß-Fotografie mit einfachsten Mitteln.

Die Galerie unterstützt so gut sie kann, hat aber keine unbegrenzten Mittel zur Verfügung. Immer häufiger übernehmen Schulen oder Eltern Förderanteile, um zum Beispiel den Druck der Werke zu ermöglichen. Gleichzeitig sorgt das offene Konzept dafür, dass auch spontane Beiträge möglich sind, etwa durch Einbindung bereits laufender Schulprojekte oder externe Workshops.

Einblicke in junge Lebenswelten

Was der Ausstellung jedes Jahr aufs Neue einen besonderen Charakter verleiht, ist die Tiefe der Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelten junger Menschen. Die gezeigten Arbeiten erzählen oft sehr persönliche Geschichten. Sie sind Ausdruck von inneren Kämpfen, sozialen Fragen und kulturellen Identitäten und zugleich auch von Neugier, Hoffnung und Experimentierfreude. Die Galerie achtet dabei sensibel auf Fragen des Jugendschutzes. Wie weit darf zum Beispiel die Selbstinszenierung gehen? Auch auf die Freiwilligkeit der Präsentation wird geachtet und kein Werk ohne Zustimmung gezeigt.
Die Themen wiederholen sich mit Variationen: Identität, Körperbilder, Gruppenzugehörigkeit, Isolation, Selbstdarstellung, aber auch Humor und kreative Spielfreude. Gerade der Umgang mit analoger Fotografie, etwa in Form von Cyanotypie oder Dunkelkammerarbeit, hat für viele Jugendliche einen besonderen Reiz. Es ist ein Kontrast zur digitalen Bilderflut, als bewusster Entschleunigungsprozess, und auch, um durch abstrakte visuelle Ausdrucksformen die eigene Gefühlswelt darzustellen, die man besonders in der Jugend oft nur schwer in Worte fassen kann.

Ausblick und Organisation

Die achte Ausgabe von „Jugend Fotografiert“ wird am 3. Juli 2025 eröffnet. Im Mai und Juni liefen die letzten Vorbereitungen, und es finden Materialsammlun­gen, Sichtungen und orga­nisatorische Abstimmungen statt. Alle Beteiligten bemühen sich, eine möglichst große Vielfalt an Projekten zu berücksichtigen, ohne dabei die kuratorische Qualität zu vernachlässigen.

Wie in den Vorjahren ist die Finanzierung eine Herausforderung, vor allem bei den Druckkosten für die Exponate. Vieles wird über persönliche Netzwerke, Schulbudgets oder Eigeninitiative ermöglicht. Trotzdem bleibt der Anspruch bestehen, eine professionelle, hochwertige Ausstellung zu verwirklichen, mit dem gleichen künstlerischen Ernst wie bei etablierten Künstlern. „Jugend Fotografiert“ ist damit nicht nur eine Plattform für junge Fotografie, sondern ein Ort der Begegnung, des Dialogs und der gesellschaftlichen Teilhabe durch Kunst.


Über das Ausstellungsprojekt „Jugend Fotografiert“ sprach der Autor mit Felix Hawran und Anna Jetter von der Fotogalerie Friedrichshain am Helsingforser Platz 1. Die Ausstellung dauert vom 4. Juli bis zum 8. August 2025, die Vernissage findet am 3. Juli statt.