Lauschoffensive ausdrücklich erwünscht!

Martina Pfeiffer

Die Podcasts des Kulturrings verleiten zum Eintauchen in die Audiowelt 

Schon längst besetzt der Podcast keine Nische mehr. Wohin man heute schaut, das Podcast-Fieber grassiert bei Zeitungen, Verlagen, Websites, Rundfunk- und Fernsehsendern, Streamingdiensten und freien Produzenten. Nicht zu vergessen, während der Corona-Pandemie wirkten Podcasts vielfach als „akustisches Lagerfeuer“. Hauptgrund für den Siegeszug der neuen Hörkultur: Podcasts lassen sich als Begleitmedium je nach Gusto in den Alltag einbetten, beim Autofahren oder beim Bügeln hören, beim Joggen und beim Radeln oder inmitten einer schlaflosen Nacht – Journalismus und Unterhaltung on demand eben.

Wofür stehen die Podcasts des Kulturrings? Für starke Inhalte: Das kulturelle Erbe im Visier, ohne Epigonen den roten Teppich auszurollen. Aber auch: Erkenntnis- und Erlebnishorizonte neu absteckend, mit Gruß nach vorn. Ein frühes und markantes Kapitel in der Erfolgsgeschichte der Kulturring-Podcasts wurde im September 2021 aufgeschlagen, denn im Grunde begann alles mit Paul Klee. Der Live-Vortrag „Wanderer zwischen den Welten“, den ich anlässlich der Langen Nacht der Bilder im Studio Bildende Kunst in Lichtenberg gehalten hatte, traf auf so erfreuliche Resonanz, dass ich mir vornahm, ihn zu einem Hörbeitrag zwecks Onlineschaltung umzuschreiben. Gedacht, getan, und der Podcast war wenig später für alle Neugierigen abrufbar. Hinzu gesellen sich ab dem ersten Podcast Begleittexte online und die journalistischen Beiträge auf den Projektseiten von „Begegnungen Wort-Wörtlich“ und „Literatinnen und Literaten in den Ring“. In der Folge sprang bei gleich mehreren überregional und medial erfolgreichen Künstlerinnen und Künstlern der Funke über, und sie ließen sich für Interviews und Lesungen mit ins Boot holen, darunter Kornelia Boje, Andreas Ulrich, Stefanie Kock und Alexander Kerbst, Martin Wimmer, Michael Lederer, Ingrid Birkholz sowie die Mitglieder des Parktheaters Edelbruch. In der Lesereihe „Baumissimo!“ im Kulturhaus Baumschulenweg sind übrigens viele der Podcast-Partner dann auch live zu erleben. Was mich von Beginn an für Podcasts eingenommen hat? Ich denke, es ist die Chance, sie mit einem Musik-Intro und -Outro bzw. mit eingelegten Musiksequenzen zu verquicken. Der Sound macht für mich das Hörerleben komplett. Ebenso erfüllende wie elektrisierende Stunden verbringe ich damit, die nach meinem Hörempfinden passenden Melodien zu den Beiträgen im Netz zu suchen. Da passiert es schon mal, dass die Nacht zum Tag wird, wenn ich auf gleich mehreren musikalischen Fährten bin, aber noch nicht voll und ganz überzeugt, und dann endlich auf ein Motiv treffe, von dem ich spüre: Das ist es!
 

Die Schiffsplanken knarren, den Taifun heulen hören

Regelmäßig im Sommer zieht das Bücherfest am Bebelplatz sein Publikum an. Dort präsentiert sich eine kunterbunte Verlagslandschaft. Hier stieß ich auf eine Aktion zum 100. Todestag Joseph Conrads. Nach meiner Kontaktaufnahme mit der Verlagsleitung erfolgte die Zusage für eine Audiolesung: Textpassagen aus Conrads „Taifun“, eingelesen von Katharina Zeilinger. Beim Probehören dachte ich zuerst: Meine Güte! Was habe ich da bloß angezettelt – gelesen von einer Frau!? Das ist so, als ob virile Superhelden, wie „Seewolf“ Wolf Larsen oder Waljäger Käpt'n Ahab, eine weibliche Signatur bekommen. Im Hörverlauf wird das Ganze tatsächlich zum wagemutigen Experiment, das althergebrachte Erwartungshaltungen völlig umkrempelt. Immerhin, wenn Wedekinds Frauenrollen in „Lulu“ durchgängig mit Männern besetzt werden, wie auch schon mal im Dresdner Staatsschauspiel geschehen, dann sollte hie und da auch das Entgegengesetzte möglich sein. Beim packenden Einsprechen der Schauspielerin kann man buchstäblich die schwankenden Schiffsplanken knarren, den Taifun heulen hören. Die Bilder, welche durch Podcasts im Kopf entstehen, berühren uns auf einer tieferen Ebene. Sie gehen unter die Haut, weil unser imaginäres Zutun ins Spiel kommt. Mit den Ohren sehen wir anders. Wenn wir hören, sind wir ganz bei uns, ein direkter Draht führt zur wahrgenommenen Stimme und Sprache. Gelungene Podcasts kennen kein Plantschen an der Oberfläche, man taucht tief ein. Zudem habe ich den Eindruck, die Gäste öffnen sich dem Host in einem Podcast-Interview, zeigen sich authentisch und sprechen oftmals aus, was sie bewegt. Stimme hat tatsächlich viel mit Stimmung zu tun. Diese Stimmung hat etwas Brückenbauendes, Verbindendes, fast Intimes. Sie ist eine Schwingung, ein geheimes Band zwischen der Person, die ins Mikro spricht und jedem einzelnen Zuhörenden in den Weiten des Äthers. So beweist z.B. das Interview „Verinnerlichte Vielfalt“ mit rbb-Moderator Andreas Ulrich, dass sich beim Zuhören das innere Visier öffnet. Die Torstraße und die Fischerinsel, die sich mittlerweile verändert haben, ihre Bewohner, die älter geworden oder schon verstorben sind, verlebendigen sich dank des Sprechers, der sie uns nahebringt.
 

Recherchegestützt und unprätentiös

Bei den Podcastaktivitäten bin ich auf den Ausgleich unterschiedlicher Zielgruppen bedacht: War der Tag des älteren Menschen das Thema, dann dauert es nicht lange, und ich versuche, etwas zu Kinder- und Jugendliteratur zu machen. Nach einem „Celebrity“-Podcast darf gerne Mr. oder Mrs. NoName zu Wort kommen. Häufen sich die Literaten, dann wird es Zeit für Bildende Künstler oder Musiker. Kultur, die vor unserer Haustür stattfindet und dann wieder die Jubiläen im großen Raum. Zuviel hehre Kunst? Dann kommt in der Folge Zeitgeschichtliches zum Tragen, oder dem Besonderen im Alltagseinerlei wird nachgespürt. Kurioses oder Humorvolles balanciert ernste Beiträge aus. Kunstschaffende, die sich zu ihrer Zeit einer bündigen Festlegung entzogen haben, wie etwa Georges Rouault, Rembrandt Bugatti, ein so Unbequemer wie der Theatermann Tabori und weitere geniale „Sonderlinge“, werden in ihrer Bedeutung für unser Hier und Jetzt besichtigt. Dankenswerterweise ist uns durch zahlreiche Rückmeldungen bekannt, dass durch Frische, Abwechslung und Vielschichtigkeit der Podcasts, verknüpft mit dem journalistischen Output auf den Projektseiten, die unterschiedlichsten Adressaten Geschmack daran finden. Insgesamt gibt es bei den regelmäßig Zuhörenden und den neu Hinzukommenden reichlich Dynamik, deckt doch das Angebot der Kulturring-Podcasts inhaltlich eine beachtliche Bandbreite ab. Gattungsmäßige Abwechslung als Credo, recherchegestützt und unprätentiös.
 

Goldene Gelegenheiten

Neujahrsempfänge von Verlagen sind goldene Gelegenheiten, um die Fühler auszustrecken. Bei einem Berliner Verlag zum Jahresbeginn 2024 traf ich beispielsweise auf den amerikanischen Schriftsteller und Schauspieler Michael Lederer. Wir kamen über sein neuestes Buch ins Gespräch, und irgendwann habe ich vergessen, auf die Uhr zu schauen. Dieser Künstler aus New Jersey war der ideale Kandidat für das Projekt „Begegnungen Wort-Wörtlich“. Mehrere Begleittexte im Podcastbereich, darunter der zu Shakespeares 460. Geburtstag, haben ihn positiv eingenommen, und er sagte zu. Es kam sogar noch besser: Auf meine Frage, ob er zum Mark-Twain-Jubiläum 2025 den Text „How to tell a Story“ in amerikanischem Englisch einsprechen würde, erfolgte ein promptes Yes, und der Podcast wurde im April geschaltet. Chancen für Kontakte und neue Blickwinkel bieten insbesondere auch laufende Ausstellungen. So ist es mein Anliegen, die Beiträge in größere Kontexte und in Traditionslinien zu stellen, z.B. im Podcast mit Markus Feiler. Hier habe ich seine Konzeptkunst angebunden an die in der Neuen Nationalgalerie präsentierte Ausstellung „Zerreißprobe – Kunst zwischen Politik und Gesellschaft 1945 bis zur Jahrtausendwende“. Oder der Jubiläumspodcast zu Anselm Kiefer „Das Aufgewühltsein dauerhaft in sich tragen“. Dafür recherchierte ich im Hamburger Bahnhof und machte Fotos.
 

Spartenübergreifende Produktion

Zum 100. Todestag Franz Kafkas ein Novum: Ich erinnerte mich, dass der Lange-Nacht-Künstler Mathias Roloff mir bei unserem zurückliegenden Interview, noch für die kulturnews, eigene Zeichnungen gezeigt hatte. Darunter ausdrucksstarke Illustrationen zu Franz Kafkas Erzählungen. Nach der Erstellung des Content-Plans der Griff zum Hörer und die Frage an Mathias Roloff, ob er sich am Podcast zum Kafka-Jubiläum beteiligen würde. Ich ließ ihm den Kafka-Text „Auf der Galerie“ und meinen Podcast-Begleittext „Schärfer sehen mit geschlossenen Augen“ zukommen. Er mir im Gegenzug eine Bildauswahl im Hinblick auf das Banner. Parallel hierzu habe ich mich an die Schauspielerin Nicole Gospodarek gewandt, die ich von meinem Interview für kultur.txt mit dem Figurentheater Grashüpfer kenne. Sie hatte bei den Kulturring-Podcasts schon ein Kunstmärchen von Oskar Wilde eingesprochen und sagte auch diesmal sofort zu. Ich selber kümmerte mich um die Musikauswahl und holte die Lizenz dafür ein. Christian Reichelt machte wie immer die Schnittmontage, und Uwe Lauterkorn gestaltete das Banner – ein Beispiel für die gelungene Kooperation mit allen Beteiligten und für das bewährte Zusammenwirken innerhalb des Podcast-Teams.


Lyrik-Podcasts hören, wann und wo man Lust darauf hat

Unbedingt erwähnt sei die Kooperation mit dem Haus für Poesie. Zum Shakespeare-Jubiläum hat die bekannte britische Lyrikerin Redell Olsen das Sonnett 18 im Original eingesprochen, die Leiter des Hauses für Poesie Katharina Schultens und Matthias Kniep die deutschen Übersetzungen. Überhaupt ist das Gemeinschaftsprojekt „Dichtkunst mal…“ bei unseren Podcasts gut vertreten. Projektpartnerin Karla Montasser vom Haus für Poesie verlinkt die Beiträge zweimal jährlich auf ihrer Seite für poetische Bildung „Komm zur Sprache“ mit dem Kulturring. Damit wird das Projekt auch zum Gespräch in der Lyrikszene und den sozialen Netzwerken. Erfreulicherweise gehen uns die Themen nicht aus. Im Gegenteil, wir sind weiter eifrig am Pläneschmieden. Die mitwirkenden Dichterinnen und Dichter kommen aus den Reihen der Young Poems und der Open Poems. Bislang gab es nach dem ersten „Dichtkunst mal …“ fünf Gruppenlesungen im Verbund mit „Hintergrund und Interviews“ zu den Themenbereichen Freiheit, Eco Poetry, Poetry Slam, Lyrik und Künstliche Intelligenz, Poesie und Musik. Diesmal dreht sich alles um „Berlin im Gedicht“, und im November werden „Dichterworte zur Zukunft“ zu Hörerlebnissen gemacht.


Ja, wo lauschen Sie denn?!

Namhafte Sprecherinnen und Sprecher präsentieren in unserem Podcastbereich Texte von Shakespeare, Goethe, Rilke, Kafka und Hofmannsthal. Von Mitgliedern der beiden im Labsaal Lübars verorteten Amateurtheatergruppen nicht minder eindrucksvoll vorgetragen, erweisen sich u.a. Texte von Lichtenberg, Tucholsky, Ringelnatz und Zeilen zum Internationalen Tag des Briefeschreibens, wie auch zum Weltglückstag, als echte Glückstreffer. Aktuell gibt es einen Podcast in Zusammenarbeit mit Wolfgang Schneider, dem Autor des 2024 vom Kulturring verlegten Buches „Das Sperrgebiet, Karlshorst 1945–1994“, mit eingesprochenen Zeitzeugenstimmen anlässlich des 80-jährigen Kriegsendes. Dadurch werden Inhalte von Dokumenten, die über Jahrzehnte in Archiven schlummerten, via Podcast in die Welt geschickt. Podcast-Beiträge zu berühmten Frauen? Artemisia Gentileschi, Elise Crola, Rahel Varnhagen, Clara Wieck, Camille Claudel, Virginia Woolf, Renée Sintenis und Lee Krasner geben sich die Ehre. Die Hörerschaft erlebt so manche Ohrenlustbarkeit. Die Audios des Kulturrings machen Ernst mit Kultur in ihren überraschenden Schattierungen. Und sie machen Spaß, hoffentlich. Lauschoffensive ausdrücklich erwünscht!

Wir freuen uns sehr über den 100. Podcast, das Interview mit der Autorin, Zeichnerin und Filmemacherin Anna Faroqhi. Gesprächsanlass ist ihre Graphic Novel „Andersdenkerinnen“ über Anna Seghers, Helene Nathan und Hannah Arendt – die Heldinnen dreier Jugendlicher aus Berlin: Das Interview als Podcast, mit einem begleitenden Essay von Martina Pfeiffer zum Thema „Heldentum“, auf den Projektseiten von „Begegnungen Wort-Wörtlich“: „Helden – Chiffre für Außergewöhnliches, alltagserprobt oder ein antiquierter Typus?“