ANDYMON wird vierzig

Team ANDYMON

I: Ihr seid alle Mitglieder des Science-Fiction-Clubs ANDYMON bei uns im Kulturring. Wollt ihr euch mal kurz vorstellen?
K: Ich bin Hardy Kettlitz und einer der Gründer unseres Clubs. Heute bin ich Verleger, Herausgeber und weiter Science-Fiction-Fan.
N: Mein Name ist Ralf Neukirchen. Ich bin seit über dreißig Jahren Leiter unseres Clubs.
B: Ich bin Wolfgang Both. Schon während des Studiums war ich in einem Science-Fiction-Club. In ANDYMON bin ich seit dem Ende der 1980er Jahre.
P: Mein Name ist Lothar Powitz. Ich bin mit dem Regierungsumzug 2000 nach Berlin gekommen. Nach dem endgültigen Umzug bin ich auf der Suche nach einer Möglichkeit, mich mit anderen SF-Fans auszutauschen, letztlich bei ANDYMON gelandet.
S: Mein Name ist Klaus Scheffler. Ich bin seit Jahrzehnten Clubmitglied.
A: Ich heiße Peter Alsdorf und bin seit vierzig Jahren dabei.

I: Wie kam es denn zur Gründung des Clubs?
K: Das ist jetzt genau vierzig Jahre her. Wir waren Mitglieder im Astronomischen Jugendklub an der Archenhold-Sternwarte in Treptow. Und wir interessierten uns damals schon für Science Fiction (SF). Dafür war aber an der Sternwarte kein Platz. So vermittelte uns der Leiter Prof. Dieter B. Herrmann an den Kulturbund in Treptow. Die damalige Leiterin Charlotte Friedmann nahm uns als neuen Arbeitskreis für wissenschaftlich-phantastische Literatur auf. So nannte man das Genre damals in der DDR.

I: Jetzt tragt ihr den Namen ANDYMON. Wie kam es dazu?
K: Es gab eine Reihe von Vorschlägen für einen eigenen Namen der AG. Zum Beispiel „Snegow-Klub“ nach dem sowjetischen SF-Autor Sergej Snegow, der uns mit seinen Büchern begeistert hat. Letztlich haben wir uns für den Roman „ANDYMON“ von Angela und Karlheinz Steinmüller entschieden, der 1982 in der DDR erschienen war. Die beiden Autoren haben der Namensgebung zugestimmt und sind uns heute noch eng verbunden.

I: Gab es denn noch andere solche Arbeitsgruppen in der DDR?
B: Es gab schon in den 50er und 60er Jahren Versuche von Klubgründungen. Aber die wurden von der DDR-Kulturadministration nicht unterstützt. So traf man sich vorrangig im privaten Kreis.
S: Nachteilig wirkte sich dann 1972/73 die Zerschlagung des Stanislaw-Lem-Klubs an der TU Dresden aus. Erst ein Jahrzehnt später hatten sich die Wellen geglättet, sodass in Berlin, Leipzig, Halle und Hoyerswerda neue Klubs entstanden, zum Teil mit dem Kulturbund als Träger. Nach dem Mauerfall gab es dann gleich die Verbindung zu den westdeutschen Klubs. Der bundesweite Science-Fiction-Club Deutschland gründete sich schon 1955.

I: Nun seid ihr schon seit vierzig Jahren zusammen. Wie sieht denn das Klubleben bei euch aus?
N: In all diesen Jahren trafen wir uns durchgängig monatlich, immer am zweiten Donnerstag, anfangs in den Kulturbund-Räumen in der Eschenbachstraße 1, seit 1999 im Kulturhaus Baumschulenweg hier in der Ernststraße. Unsere Treffen wurden in all diesen Jahrzehnten nur durch die Pandemie unterbrochen. Bei jedem Treff haben wir ein Thema, meist aus dem Klub heraus. Aber wir haben auch Schriftsteller und Wissenschaftler zu Gast.
S: Wir konnten, neben unseren Landsleuten, auch schon zahlreiche ausländische Besucher bei uns im Club begrüßen. Gleich nach dem Mauerfall war der große SF-Fan Forrest „Forry“ ­Ackerman (1916–2008) aus den USA bei uns. Die deutsch-amerikanische Literaturwissenschaftlerin Sonja Fritzsche besuchte uns mehrfach und hat auch darüber publiziert. Mehrere Autoren, wie zum Beispiel Norman Spinrad oder Thomas M. Disch waren hier. Unbedingt erwähnen möchte ich den russischen Autor Dmitry Glukhovsky.
K: Auf unserer Internetseite findet man die aktuellen Informationen – übrigens auch Informationen zu vergangenen Veranstaltungen, sodass man einen Überblick über unser Clubleben erhält.

I: Ist das alles?
K: Nein. Nein. Wir haben bereits zu DDR-Zeiten angefangen, größere und öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen zu organisieren. Mit den „Tagen der Phantasie“ waren wir in der Archenhold-Sternwarte und im Zeiss-Großplanetarium. Ausgerechnet für Anfang November 1989 hatten wir so ein Treffen „Planetarium total“ vorbereitet. Infolge des Mauerfalls saßen wir damals recht allein da. Unsere potenziellen Teilnehmer stürmten gerade die Buchläden in West-Berlin.
N: Zu unseren traditionellen Treffen gehören aber auch immer eine gemeinsame Wanderung zu Himmelfahrt, ein Sommerfest und ein Weihnachtstreffen – und wenn unsere Klubkasse mal gefüllt ist, können wir uns eine Klubgabe für alle Mitglieder leisten.
S: Wissenschaft und Technik kommen nicht zu kurz. In den Jahren haben wir zahlreiche Exkursionen zu interessanten Orten gemacht. So waren wir unter anderem im Kurd-Laßwitz-Archiv in Gotha, auf dem Telegrafenberg und im Einsteinturm in Potsdam, im Historisch-Technischen Museum Peenemünde oder im Haus der Deutschen Geschichte in Leipzig zur SF-Ausstellung. In Gotha war der Leipziger SF-Club dabei, in Peenemünde der Jules-Verne-Club Deutschland. An den Besuch bei den Planetenforschern in Adlershof schloss sich gleich ein geselliges Beisammensein mit den Freunden vom Verein zur Förderung der Raumfahrt an.
P: Ich finde es toll, dass wir aus dem Klub heraus so eine große inhaltliche Breite zur SF abdecken. Und hier kommen Erfahrungen aus Ost und West zusammen. Wir haben ja durchaus eine unterschiedliche SF-Sozialisierung. Vor zwanzig Jahren war mir ANDYMON zwar dem Namen nach bekannt – dennoch habe ich nur zufällig dort hineingeschnuppert. Aber: Es hat gepasst! Mittlerweile bin ich schon seit fast zwanzig Jahren dabei.

I: Was meint ihr mit inhaltlicher Breite? Was kann ich mir alles darunter vorstellen? Offenbar nicht nur Bücher und Autoren?
B: Ja, sicher geht es vorrangig um Bücher und die Geschichten dahinter. Aber auch Film, Musik, TV-Serien, Comics, Mangas und Technik spielen eine Rolle. Science Fiction, wie wir sie verstehen, baut ja sehr stark auf Wissenschaft und Technik auf. Das nennt man die Vernesche Linie, nach Jules Verne.
N: Die andere Linie ist die Wellssche, nach Herbert George Wells. Diese widmet sich mehr sozialen Aspekten. So wie wir sie in Utopien finden. Und die waren auch so ein starkes Thema in der DDR-SF. Der Roman „Andymon“ der Steinmüllers ist so eine Weltraum-Utopie. Ihr Roman „Der Traum­meister“ verstärkte dies noch. Der war 1990, als er – eigentlich zu spät – erschien, ein hochpolitischer Roman.
K: Wir holen aber auch manches aus der Vergessenheit oder dem Versteck. So habe ich mit unserem Klubmitglied Ivo Gloss zwei Bände mit Erzählungen des sowjetischen Autors Kir Bulytschow zusammengestellt und herausgegeben, die wegen ihrer kritischen Haltung bzw. bitterbösen Satire nicht in der Sowjetunion erscheinen durften. Oder Wolfgang hat eine Geschichte der sozialistischen Utopien zusammengetragen, die ich als Sachbuch editiert habe.
B: Dass Science Fiction auch unterhaltend sein kann, zeigt sich in der Musik. Ich befasse mich seit fünfzehn Jahren mit SF-Motiven in der Popmusik. Ich suche also Titel und Texte mit SF-Themen und diskutiere sie unter bestimmten Stichworten wie „Astronaut“ oder „Roboter“ oder „Mars“. Was transportieren die Musiker in ihren Texten, ist da etwas anderes als Liebe und Herz-Schmerz?
P: Hier möchte ich Wolfgang beipflichten. Mehr noch: Wenn man, wie ich, ziemlich früh mit der SF in Berührung kommt, steht das Unterhaltsame, das Abenteuerliche erst einmal im Vordergrund. Natürlich sah meine erste Lektüre etwas anders aus, als bei den langjährigen Mitgliedern von ANDYMON. Angefangen hat es bei mir mit den Heftreihen „Terra“ und „Terra Nova“. Ich bin aber schnell auch auf Taschenbücher gestoßen, vor allem aus den damals führenden Reihen bei Goldmann und Heyne. Später hatte ich über lange Jahre hinweg mehrere Brief- und Tauschpartner in der DDR. Ich konnte also auch einen Eindruck von den dortigen Veröffentlichungen gewinnen.
A: Zum Austausch haben auch unsere gemeinsamen Lesungen von Kurzgeschichten beigetragen. Das ist ein interessantes Format, bei dem einzelne Abschnitte einer Geschichte vorgelesen werden und dann darüber diskutiert wird. Hier können alle spontan ihre Gedanken einbringen. Dann ist das Lesen gar nicht mehr so einsam.

I: Gibt es denn über den Club hinaus einen Austausch?
S: Wie bereits erwähnt, stehen wir mit anderen SF-Clubs in Deutschland im Kontakt. Darüber hinaus gibt es regelmäßig überregionale Treffen, sogenannte Conventions. Unsere „Tage der phantastischen Kunst“ boten einen solchen Rahmen. Gleich nach dem Mauerfall waren wir auf dem „FreuCon X“ und im Sommer 1990 dann auf dem „World-SF-Con“ in Den Haag. Seitdem gibt es jährlich irgendwo ein SF-Treffen, zu dem Klubmitglieder reisen.
A: Die Möglichkeit, auf den Cons erstmals im großen Stil Bücher und Magazine günstig zu erwerben, hat zum Beispiel meine SF-Sammlung 1990 verdoppelt. Und die Besuche haben natürlich auch meinen Lesehorizont gewaltig erweitert.

I: Ist Science Fiction eigentlich so ein Männerding? Oder habt ihr auch weibliche Mitglieder?
K: Schon in unserer Gründungsmannschaft 1985 waren Mädchen mit dabei. Und das ist auch heute noch so. Allein im vergangenen Jahr hatten wir zwei Vorträge von Frauen aus unserem Klub.

I: Gibt es denn auch Autoren in euren Reihen?
K: Da ist eigentlich alles vertreten. Wir haben Belletristikautoren, Sachbuchautoren und Übersetzer in unseren Reihen. Daneben gibt es Verbindungen zu Grafikern und Verlagen. Ich führe zum Beispiel den Memoranda-Verlag. Von Clubmitgliedern sind schon zahlreiche Bücher erschienen. Nach dem Mauerfall gab es auch einige SF-Magazine und Fanzines.

I: Wie soll euer 40. Geburtstag denn nun begangen werden?
N: Wir haben ein halbes Jahr für zahlreiche Veranstaltungen eingeplant. Das werden Beiträge aus dem Klub sein, aber wir haben auch zahlreiche Gäste eingeladen. Im Januar fingen wir mit einer Betrachtung des Romans „Andymon“ an. Im März bauen wir die Ausstellung „Leseland DDR“ der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur auf. Seit zwei Jahren haben wir eine tolle Kooperation mit der Bundesstiftung. Wir konnten damals einen Beitrag zur Ausstellung liefern. Daraus ist eine Plakatserie zur SF in der DDR entstanden.
B: Die Zusammenarbeit geht mit zwei Vorträgen aus dem Klub im April in der Bundesstiftung weiter. Einer davon wird eine Buchpremiere des Schriftstellerpaares Steinmüller zu ihren Zensurerfahrungen als Autoren sein.
K: Gleichzeitig können wir diese Veranstaltungen nutzen, um unsere Editionen einem breiteren Publikum bekannt zu machen.
N: Anfang Mai haben wir dann eine ganze Woche mit Vorträgen in der Planung. Der Autor Bernhard Kegel und der Weltraumwissenschaftler Ulrich Köhler vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben schon zugesagt. Das aktuelle Programm findet man dann auf unserer Internetseite www.club-andymon.net.

I: Und wo findet die Festwoche statt?
N: Bis auf die beiden Vorträge in der Bundesstiftung finden alle Veranstaltungen im Kulturhaus Baumschulenweg des Kulturrings statt. Interessierte Gäste sind herzlich willkommen.

I: Ihr beschäftigt euch seit nunmehr vierzig Jahren mit der Zukunft. Wo seht ihr euren Club im nächsten Jahrzehnt?
S: Nun, so wie sich die Science Fiction weiter entwickelt, so werden auch wir uns entwickeln. Dabei wird es Strömungen geben, die sich an den großen globalen Problemen orientieren oder andere, die im zwischenmenschlichen Bereich angesiedelt sind. Wir brauchen doch nur die Zeitung aufschlagen. Die Probleme sind doch allgegenwärtig: Klimakatastrophe, Kriege …
B: Ja, gutes Beispiel ist die Climate Fiction, die sich seit den 1960er Jahren schon mit dem Klimawandel befasst oder auch die KI. Hier hat die SF frühzeitig technische und soziale Trends aufgegriffen.
N: Als ich vor über dreißig Jahren als „Clubkoordinator“ gewählt wurde, habe ich nicht so weit vorausgedacht. Ich kannte ehrlicherweise noch nicht einmal die ganzen Facetten der SF und war froh, wenn wir auf jedem Clubabend einen festen Programmpunkt hatten. Heute ist das anders, die SF, die von einem Großteil unserer Mitglieder gelesen wird, schwebt nicht irgendwo sinnentleert in abgelegenen Welten, sondern greift auch unser gegenwärtiges Leben und seine Konflikte (im phantastischen Mantel) auf und verarbeitet sie literarisch. Das ist es, was für mich gute Literatur ausmacht. Sich darüber auszutauschen, macht auch in zehn Jahren immer noch Freude.