Affinitäten

Hadass Gilboa

Experimentelle und traditionelle Druckgrafik

Die Werkstatt für künstlerische Lithographie in Treptow arbeitet seit ihrer Gründung mit dem Kulturring zusammen. Zunehmend ist sie auch Teil der inhaltlichen Ausrichtung des Kulturhauses Baumschulenweg. Sie ist Teil des Trägerverbunds Treptow-Köpenick, in dem Einrichtungen des Bezirkes Kräfte bündeln und sich regelmäßig austauschen.

Der Leser von heute denkt beim Wort „Druck“ sicher an maschinell hergestellte, kommerzielle Massenprodukte, wie Bücher, Zeitungen und Textilien. In der Tat haben wir uns an Druckerzeugnisse gewöhnt, ohne zu merken, dass sie das Ergebnis ausgefeilter, über Jahrhunderte enstandener Methoden sind, die mittlerweile unser tägliches Leben prägen. 

Affinities – Young Print wird am 16. Januar im Kulturhaus Baumschulenweg eröffnet. Die Ausstellung präsentiert Arbeiten von acht Künstlerinnen und Künstlern, Druckgrafikern, die aktive Mitglieder der Berliner Druckgrafikszene sind. Obwohl wir aus unterschiedlichen Verhältnissen stammen und über verschiedene Fachgebiete zur Druckgrafik kamen, eint uns die Liebe zu deren Enstehungsprozess und eine geradezu spielerische Neugier auf dieses, unser Medium.

Zu dieser Ausstellung lade ich gemeinsam mit dem Kulturhaus Baumschulenweg das Publikum ein, die Welt der Druckgrafik zu entdecken und in ihrer Vielfalt und mäandernden Schönheit mit den verschiedenen Techniken kennenzulernen. Fangen wir also ganz von vorne an: Was ist die Kunst des Druckens? Von Picassos filigranen Radierungen bis zu Warhols Suppendosen, die Druckgrafik ist so vielfältig wie jedes andere künstlerische Medium. Sie kann mit den unterschied­lichsten Materialien wie Holz, Metall, Linoleum, Kunststoffsieben oder Kalksteinen hergestellt werden. Suchen wir nach einem gemeinsamen Nenner, so ist es die Möglichkeit, ein Bild in mehrfacher Ausführung zu drucken, und zwar traditionell auf Papier. Während Ihres Besuchs bei Affinities werden Sie feststellen, dass dies nicht immer der Fall ist. 

Eine Druckgrafik gilt als Originalkunstwerk, denn der Künstler hat von Anfang an die Absicht, eine Radierung, einen Holzschnitt oder ein anderes grafisches Werk zu schaffen, und nutzt künstlerisch die Möglichkeiten und Grenzen der jeweiligen Technik. Die frühe Druckgrafik war zweifelsohne stark von dem Wunsch nach Mehrfachdrucken geprägt, und die Grafiker stellen auch heute noch Auflagen und Serien ihrer Werke her. Die Künstler entdeckten jedoch schnell, dass eine Zeichnung, wenn sie in einen Holzschnitt oder Kupferstich übertragen wird, einen völlig neuen ­Charakter annimmt. 
Jede Technik hat ihren eigenen unverwechselbaren Stil, der von den Werkzeugen, Materialien und Druckverfahren bestimmt wird. Es ist wichtig zu verstehen, dass Künstler die Drucktechniken nicht willkürlich auswählen, sondern sich für die entscheiden, mit denen sie sich am besten ausdrücken können. Wenn ich als Künstler und Grafiker das Wort „Druck“ verwende, beziehe ich mich exakt auf das Originalwerk eines Künstlers, der anstelle des Farbpinsels oder Steinmeißels eine Drucktechnik als Ausdrucksmittel wählte.

Die Druckgrafik wird im Allgemeinen in drei Hauptverfahren unterteilt: Hochdruck (engl. relief printing), Tiefdruck (engl. intaglio) und Flachdruck (engl. surface oder planographic printing). Diese scheinbar willkürliche Unterteilung bezieht sich auf das, was schließlich eingefärbt und gedruckt wird. Zu den Hochdruckverfahren gehören der beliebte Linolschnitt oder der filigrane Holzschnitt, wie er von Albrecht Dürer im 15. Jahrhundert angewandt wurde. Beim Hochdruckverfahren wird das, was nicht gedruckt werden soll, vom Block oder der Platte, weggeschnitten, -geschnitzt oder -geätzt, sodass das Motiv erhaben als Fläche oder Linie steht.

Der Tiefdruck ist das Gegenteil des Hochdruckes, da hier der Druck mit Farbe erfolgt, die sich in den Vertiefungen der Platte befindet. Wenn ich ein aussagekräftiges Beispiel für Tiefdruck nennen sollte, wäre es sicherlich Francisco Goyas „Los Capricios“ aus dem 18. Jahrhundert. Bei einer Tiefdruckplatte (z. B. Kupferstich) wird das Motiv in die Oberfläche geschnitten, gekratzt oder geätzt. Die Platte kann aus Kupfer, Zink, Aluminium, Magnesium, Kunststoff oder sogar beschichtetem Papier, wie Tetrapack, bestehen. Der Tiefdruck erfordert enorme Kraft, daher ist das wichtigste Gerät in der Werkstatt die Radierpresse, eine einfach aufgebaute Walzenpresse, deren Grundprinzip sich seit Jahrhunderten nicht verändert hat.

Die dritte Kategorie ist der Flachdruck, bei dem das Bild direkt von der Oberfläche eines Metalls, eines Steins oder eines Seidengewebes gedruckt wird. Das bekannteste Flachdruckverfahren ist die Lithografie, die Ende des 19. Jahrhunderts von Alois Senefelder in München entdeckt wurde. Sie beruht auf dem Prinzip, dass sich Wasser und Fett nicht vermischen. Das Bild wird mit einer fettigen Lithografie-Kreide oder fettiger schwarzer Tinte (Tusche) auf den Kalkstein oder die Metallplatte gezeichnet bzw. gemalt. Aufgrund der Abstoßung von Fett und Wasser zieht das mit fettigen Materialien gemalte Bild während des Druckvorgangs die ölige Druckfarbe an, während die weißen/leeren Bereiche auf dem Stein sie abstoßen und Wasser anziehen. 

Der Siebdruck, der manchmal als eigene Kategorie betrachtet wird, ist ein ausgeklügeltes Schablonenverfahren, das um 1900 entwickelt wurde und zunächst hauptsächlich für Werbe- und Ausstellungszwecke verwendet wurde. Um 1950 begannen bildende Künstler wie Robert Rauschenberg und Andy Warhol, das Verfahren ausgiebig zu nutzen, und gaben ihm den Namen „Serigraphie“. Das Siebdruckverfahren hat seinen Namen von dem feinen Seidengewebe, das, auf einen Holzrahmen (heute Aluminium) geheftet, als Träger für eine Schablone dient. Beim Grundverfahren lässt das offene Gewebe der Seide die Farbe durch, während eine Schablone sie abblockt. Schablonenplatten können auch fotografisch hergestellt werden. Dazu wird ein fotografisches Positiv auf eine fotosensibilisierte Gelatine-Schablonenplatte in einem Vakuumdruckrahmen gelegt. Durch die Lichteinwirkung wird die Gelatine in den transparenten Bereichen gehärtet, während sie in den dunklen Bereichen weich bleibt. In warmem Wasser werden die weichen Bereiche ausgewaschen, sodass einige Bereiche porös und andere für die Farbgebung gesperrt sind.

Auch wenn jede dieser Techniken zu einer Vielzahl von kreativen Produkten führt, haben sie alle bestimmte Affinitäten: Affinitäten des Prozesses, Affinitäten der Materialien, Affinitäten des Konzepts, Affinitäten der Farbe, Affinitäten der Form und so weiter.

Da wir ständig in extreme Polarisierung verfallen, in der nichts gleich ist sondern alles das jeweils Andere, das Unterschiedliche, das Fremde, das Gegensätzliche, die Unterdrücker und die Unterdrückten, scheint es mir als Künstlerin und Grafikerin, dass wir zu oft vergessen, dass alles, das Künstler, Kunsthandwerker und sogar Kinder erschaffen, viel mehr gemeinsam hat, als wir denken. 
 

Ausstellung

Die berühmten Worte von Décartes hießen immer: „Ich denke, also bin ich“. In posthum veröffentlichten Aufsätzen („La Recherche de la Vérité par La Lumiere Naturelle“, ca. 1700) wurden sie jedoch geändert in: „Ich zweifle, also denke ich, also bin ich“. Aus dem Mund des Vaters rationalen Denkens klingt dies für mich wie ein Zeichen der Demut angesichts bestimmender Konzepte und Ideen. Ich glaube, wir brauchen Zweifel, müssen Fragen stellen und uns neugierig umsehen. Mit diesem Gedanken möchte ich in die Ausstellung Affinities einladen, umherzuwandern, Fragen zu stellen und Unsicherheiten zuzulassen, um besser zu sehen, wie die Dinge miteinander verbunden sind und koexistieren. 

In dieser Ausstellung von uns acht Künstlern hat jede/r eine eigene bevorzugte Technik und eine eigene Herangehensweise für das Schaffen eines Drucks. Wir arbeiten in verschiedenen Druckateliers über ganz Berlin verteilt. Julia Herfurth, Isabella Liberti, Sanne Vaghi und ich sind Teil der Werkstatt für künstlerische Lithographie in Treptow; Anne Amelang und Chritiane Schmidt betreiben die „SDW“ in der Taborstraße in Kreuzberg; Jördis Hirsch ist Teil des Teams, das das „Stattlab e.V.“ in Wedding betreibt und Sabrina Sundermann hat ihre eigene Buchdruckwerkstatt bei „Small Caps Berlin“ in Friedrichshain. Die Arbeiten in der Ausstellung sind so vielfältig wie das Medium selbst: farbenfrohe Siebdruck-Monotypie, Kaltnadelradierung auf Gips, Druck auf Satinstoff, der das Licht reflektiert, oder auf Beton, der die Tinte absorbiert, Drucke, die an die feinen Linien einer flüssigen Tuschezeichnung erinnern, und puzzle­artige Collagen, die aus einfachen Buchstabenformen entstehen. Gemeinsam verweben wir die Tradition der Druckgrafik, indem wir die Materialien und Werkzeuge, die wir verwenden, erweitern, die Oberflächen, auf denen wir drucken, wechseln und die Stücke, die wir für den Druck auswählen, neu erfinden. 

Das bringt mich zu dem zurück, was die Druckgrafik für mich, für uns alle, bedeutet: Sie ist nicht nur eine Technik, sondern ein kreativer Prozess, ein Medium, wie es das Gemälde für einen Maler oder der Film für einen Regisseur ist. Obwohl die meisten von uns auch in anderen Bereichen der Kunst tätig sind, Isabella Liberti zum Beispiel im Animationsfilm oder Sanne Vaghi im Tattoo-Design, haben wir uns ausdrücklich gemeinsam für die Druckgrafik als unsere kreative Stimme entschieden.

Wie bin ich zur Druckgrafik gekommen?

Ich wurde in Israel geboren und wuchs als Kind mit meiner Familie in Belgien auf, bevor ich an der Bezalel Academy of Art and Design in Jerusalem Film und Animation studierte. Sowohl meine Großmutter als auch meine Mutter sind Künstlerinnen, und ich habe viel Zeit im Atelier meiner Mutter verbracht, um zu beobachten, zu gestalten und mir einfach die Zeit zu vertreiben. Ich bin mit dem Wissen aufgewachsen, dass der Beruf des Künstlers Hingabe und Ausdauer erfordert, mit vielen Kämpfen, aber auch Erfolgen, vor allem in Kombination mit einem Familienleben.

Meine erste Begegnung mit der Druckgrafik hatte ich durch Dana Shamir, die während meines zweiten Jahres in Bezalel Illustration unterrichtete. Bevor ich Dana traf, hatte ich noch nie etwas von Intaglio (Tiefdruck) gehört. Sie war geistreich und hatte eine große Portion Humor, was das Unterrichten anging. Sie hatte mich sofort für sich eingenommen, und ich meldete mich für alle ihre Kurse an.
Im Sommer 2009 lud Dana mich zusammen mit einigen anderen Studenten ein, an einem Praktikum in Tiefdruck im Artist's House in Tel Aviv teilzunehmen. Zwölf Wochen lang, in den Sommerferien, als meine Freunde durch die Welt reisten oder sich am Strand sonnten, fuhr ich zweimal pro Woche mit dem Bus von den Höhen Jerusalems ins sandige Tel Aviv, zu einem nach Terpentin riechenden Atelier.

Die Druckwerkstatt des Tel Aviv Artists' House wurde 1965 von Tovia Barry zusammen mit der Vereinigung der Maler und Bildhauer in Tel Aviv-Yafo gegründet. Zunächst beschäftigte sich die Werkstatt mit den Medien Radierung und Stich. Später kamen weitere Techniken wie Siebdruck und Lithografie hinzu. Die Druckwerkstatt wird auch heute noch unter der Leitung des Druckermeisters Tanofant Suster betrieben.

Seit jenem Sommer habe ich überall, wo ich lebte, die Druckateliers besucht. Während der Jahre, in denen ich ein kleines Animationsstudio in Jerusalem leitete, oder während der Zeit, in der ich mein erstes Kind bekam, sowie bei meiner Arbeit in der Bildungsabteilung des Modern Art Museum in Tel Aviv war die Druckgrafik in jeder einzelnen Woche wie ein Leuchtfeuer für mich.

Ich verliebte mich in all die verschiedenen Techniken, die der Stichtiefdruck zu bieten hatte, und ich halte ihn immer noch für die vielseitigste Methode der Druckgrafik. Jede Technik oder jedes Werkzeug, das im Stichtiefdruck verwendet wird, kann eine breite Palette von Effekten hervorbringen, von den zartesten, federartigen Linien bis hin zu einer reichhaltigeren Druckoberfläche und dreidimensionalen Schichtungen. Ich liebe es, neue Muster zu schaffen, neue Herangehensweisen zu lernen und Probleme in jeder einzelnen Platte zu lösen, die ich selbst, mit Schülern oder mit Künstlern, denen ich assistiere, geschaffen habe.

Nach meinem Umzug nach Berlin im Jahr 2018 habe ich mich sofort auf die Suche nach einer Druckwerkstatt gemacht. So entdeckte ich die Werkstatt für künstlerische Lithographie in Treptow. Henry Ruck, seit über dreißig Jahren einer ihrer Gründer und Druckmeister, empfing mich im Atelier. Es roch nach Terpentin, Tinte und Kaffee, und ich fühlte mich sofort wie zu Hause. Die Geschichte dieser Werkstatt begann 1987 mit Neugier, Abenteuerlust und einer Steindruckpresse, sowie zwölf Lithografiesteinen. Diese Drucksteine wurden immer wieder verwendet bis 1989/90 aus schierer Beharrlichkeit der gemeinnützige, Verein Kunstwerkstatt Treptow e.V. gegründet wurde. Henry Ruck und Martin Lotz, die die Werkstatt viele Jahre lang leiteten, widmeten ihre Zeit und Energie dem Erlernen der Grundlagen der Lithographie und dem Experimentieren, bis sie selbst zu Meistern wurden.

Während der 38 Jahre ihres Bestehens, ahnte niemand, dass die Werkstatt für künstlerische Lithografie mit Unterstützung und Förderung durch das Kulturamt Treptow-Köpenick einmal ein Ort sein würde, an dem inzwischen über 400 Künstler aus über 30 Ländern kreativ gearbeitet und Kunstwerke geschaffen haben. Heute wird sie von der Künstlerin und Designerin Pia Szur und mir geleitet. Pia Szur ist für Lithografie und ich für Tiefdruck zuständig. Wir bieten Kurse für alle an, die sich für Druckgrafik interessieren, vom Anfänger bis zum Fortgeschrittenen, sowie Spezialisierungskurse. Mittwochs veranstaltet das Atelier einen offenen Workshop für Tiefdruck, an dem Künstlerinnen und Künstler teilnehmen und ihr eigenes Projekt mit unserer professionellen Unterstützung entwickeln können. Wir gehen nun auch Schritt für Schritt zu ungiftigen Verfahren über und ersetzen zum Beispiel gefährliche Materialien durch ungiftige Lösungs- und Beizmittel.

In den letzten beiden Jahren initiierte ich in den Sommer- und Herbstmonaten ein Druckereifest im Garten der Werkstatt, das Garden Print Fest. Für dieses Festival wurde ein Druckatelier unter freiem Himmel eingerichtet, in dem wir unsere Liebe zur Druckgrafik teilen und den luftigen Garten mit unseren Nachbarn und allen Interessierten genießen konnten. Das Fest war auch eine Gelegenheit für Druckgrafiker aus Ateliers in ganz Berlin, Kurse, Workshops und Vorträge im Bereich der Druckkunst anzubieten. Das Garden Print Fest brachte auch uns acht Künstler, die an der Ausstellung Affinities teilnehmen, zusammen. Wir haben zusammengearbeitet, gedruckt und sind Freunde geworden. Affinities – Young Print ist das Ergebnis dieser Freundschaft.

Mit diesen letzten Worten möchte ich Sie zu unserer Ausstellungseröffnung am 16. Januar im Kulturhaus Baumschulenweg einladen und hoffe, dass Affinities ein Licht auf die wunderbare Welt der Drucke wirft, zur Diskussion einlädt und neue Freundschaften und Affinitäten schafft.