Es waren die Tänzerinnen und Tänzer, die sie so begeisterten. Doch auch die Musik, das Bühnenbild – einfach alles! Auf der Bühne der Staatsoper Berlin erlebte Ines „Schwanensee“, ihr erstes klassisches Ballett. Die Eltern waren mit ihrer Tochter, die bereits zum Kinderballett ging, extra nach Berlin, ihrer Geburtsstadt, gekommen. Ines war so begeistert, dass sie nur noch Eines wollte: Tänzerin werden! Das war der Beginn der wunderbaren Karriere der Ines Dalchau zur Solotänzerin der Deutschen Staatsoper!
Anfang der 1960er Jahre hatte man staatlicherseits beschlossen, für die Ballettschulen ein neues Konzept mit einer 7-jährigen Ballettausbildung für Kinder ab 10 Jahren zu etablieren, basierend auf der russisch-akademischen Waganowa-Methode mit dem Schwerpunkt „klassischer Tanz“, der Basistechnik für viele Tanzrichtungen. In der DDR gab es drei professionelle Ballettschulen, eine davon in Berlin. Nun wurden im ganzen Land begabte Schülerinnen und Schüler gesucht. Ines Dalchau war eine von 500 Kindern, die sich für diese erste Kinderklasse bewarb. „Wir wurden gründlich untersucht, es folgten neben körperliche Eignungstests auch Musikalität, Auffassungsgabe, Kreativität und noch viel mehr.“ Aufgenommen wurden dann 14 Mädchen und 10 Jungen, die nun für sieben Jahre ins Internat zogen; damals in direkter Nachbarschaft zur Staatsoper gelegen. So hatten alle Kinder die gleichen Bedingungen und ein gemeinsames Ziel. Neben dem regulären Lehrplan einer Polytechnischen Oberschule wurde zusätzlich Musik- und Tanzgeschichte gelehrt, der eigentliche Schwerpunkt lag jedoch auf den vielseitigen tänzerisch-praktischen Fächern.
Wie umfangreich und hart diese Ausbildung sein würde, ahnte die Schülerin damals nicht. Die Tage waren optimal ausgefüllt, doch vermisst hat sie nichts. Das Fundament der Ausbildung bildete an allen Tagen das akademische Tanztraining. Neben den Fächern Historischer Tanz, Folklore, Akrobatik, Jazz, Gestaltung und Repetition wurden auch Koordination sowie Stilempfinden erarbeitet. Beim Pas de deux stand das Miteinander im Vordergrund. Denn Zuverlässigkeit, Vertrauen und Mut waren die Grundlage für Pirouetten, komplizierte Hebungen sowie Würfe durch die Luft.
Ein besonderes Ereignis war für die Ballettschülerin die Begegnung mit ihren großen Vorbildern Maja Plissezkaja und Galina Ulanowa, denen sie durch Delegierung an das Moskauer Bolschoi–Theater begegnete. Es sollten noch viele Begegnungen mit bedeutenden Künstlerinnen und Künstlern dieser Zeit geben. 1970 beendete Ines ihre Ausbildung mit dem Staatsexamen als Bühnentänzerin und dem Abschluss der 10. Klasse.
Anders als heute, rissen sich damals Ballettmeister und Choreografen aus dem ganzen Land um die Absolventen. Tom Schilling, der legendäre Choreograph der Komischen Oper, holte die 17jährige Ballerina an das Haus in Berlin. Sie bekam einen Vertrag mit Soloverpflichtungen! In den nächsten Jahren tanzte sie in mehreren Ballettinszenierungen. 1974 wechselte sie zur Deutschen Staatsoper Unter den Linden, hier verkörperte sie immer mehr Hauptrollen. Mit ihrer Ausstrahlung, Professionalität, Grazie und Eleganz verzauberte sie das Publikum. Tourneen führten das Ensemble u. a. nach Griechenland, Ägypten, Frankreich, Belgien, die damalige Sowjetunion und nach Japan. „Die Gastspiele waren tolle Erlebnisse, jedoch auch sehr anstrengend.“ erzählt sie. Nachdem sie 1981 ihre Tochter Antonia zur Welt gebracht hatte, kehrte sie einige Monate später ganz selbstverständlich auf die Bühne zurück. Es folgten weitere Rollen in wunderbaren Balletten wie Aschenbrödel, Macbeth, Carmina Burana, Undine, Giselle sowie Der widerspenstigen Zähmung. 1992 kam Rudolf Nurejew an die Staatsoper und choreographierte „Dornröschen“. Er tanzte bei der Premiere die böse Fee und Ines Dalchau die gute Fee!
Bis 1993 gehörte sie dem Ensemble der Deutschen Staatsoper an, war dort Solotänzerin. Doch mit dem politischen Umbruch 1989 veränderten sich die Bedingungen an den großen Häusern, so auch an der Staatsoper. Mit 40 Jahren, nach 23 Jahren als Tänzerin, nahm sie ihren Abschied! „Das war bitter für mich. Ich orientierte mich um, erinnerte mich an weitere Interessen in meiner Kindheit und entschied mich für eine dreijährige Umschulung zur Ergotherapeutin. In der neurologischen Abteilung der Brandenburg Klinik Wandlitz war nun mein Arbeitsplatz. Ich hatte eine erfüllende Alternative gefunden, fühlte ich mich dort gebraucht und wohl. Mit meinen oft schwerstkranken Patienten freute ich mich über jeden noch so kleinen Erfolg!“ sagt sie lächelnd. Bis zu ihrem Ruhestand ist sie geblieben und unterstützt ihr Team noch heute stundenweise.
Nun ist Ines Dalchau auf die Bühne zurück gekehrt. „Meine Sicht auf meine Zeit“ hat sie ihr Programm genannt, in dem die ehemalige Solotänzerin der Deutschen Staatsoper in einem sehr persönlichen Portrait, einem Zeitzeugnis von Herausforderungen, Ängsten, Begegnungen und Höhepunkten erzählt. Fotos und Filmsequenzen, kommentiert vom Musiktheater- und Ballettdramaturg Jürgen Nitschmann, bereichern das Programm. Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf wird die Künstlerin am 8. November um 15 Uhr im MAXIE-Treff zu Gast sein.