Katia Guedes: Neue Musik - mehr als ein Experiment

Dagmar Steinborn

Ohne Musik kann sich Katia Guedes ihr Leben nicht vorstellen, denn die gehörte schon zu ihr, als sie noch ein ganz kleines Mädchen war. Ihre Mutter war Schauspielerin, Sängerin und Pianistin. So stand Katia immer der Flügel zur Verfügung und sie hatte Spaß, darauf zu spielen. In der Nähe von São Paulo, der größten Stadt Brasiliens, wuchs sie auf. Eine Tante lehrte sie Blockflöte, mit 11 Jahren konnte sie bereits nach Noten musizieren. Später, als Schülerin, spielte sie auch sehr gern Theater, sang im Chor, produzierte Jingles für die Werbung und probierte sich künstlerisch weiter aus. Mit 17 Jahren begann sie ihr Studium mit dem Hauptfach Oboe, als Nebenfach wählte sie Gesang. Mit 20 Jahren schloss Katia ihre Ausbildung ab; gern wäre sie Mitglied eines Orchesters geworden. Doch Frauen waren dort nicht erwünscht. Das war damals in Brasilien eine reine Männerdomäne.

Sie sang und spielte trotzdem an verschiedenen Bühnen und nahm immer wieder gern an Musikfestivals mit bis zu 120 000 Besuchern, teil. Dort übernahm sie u. a. so anspruchsvolle Rollen wie die „Königin der Nacht“. Dadurch wurde sie nicht nur bekannt, es war für die junge Künstlerin auch eine hervorragende Schule. Katia erzählt: „Das war ein gutes Training, denn bis heute kenne ich kein Lampenfieber!“ Beim berühmten Roberto Carlos vertiefte sie ihr Können auf der Oboe.

Bei internationalen Wettbewerben gewann sie Preise. Als Künstlerin hat sie einen hohen Anspruch an sich selbst, daher war es immer wichtig für sie, sich weiterzuentwickeln. Sie hatte das Glück, ein Stipendium der „Konrad-Adenauer-Stiftung“ zu erhalten. Dafür sei sie heute noch dankbar, erzählt sie lächelnd.

So kam sie 1989 ins gerade wiedervereinigte Deutschland. „Das war eine sehr interessante Zeit.“ sagt sie. Parallel dazu studierte sie an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart weiter das Fach Gesang. Anschließend folgte eine Solistenausbildung als Opernsängerin an der Hochschule für Musik „Hans Eisler“. 2009 schloss sie in Berlin ihr Magisterstudium der Musikwissenschaft an der Technischen Universität und der Theaterwissenschaften an der Freien Universität ab. „Berlin ist eine wunderbare Stadt. Hier ist alles möglich. Nie habe ich mich so frei gefühlt wie hier; sogar in Jeans kann man in die Oper gehen!“ erzählt sie begeistert. Während dieser Zeit reiste sie viel, gab weltweit Konzerte und entwickelte sich zur international gefeierten Sängerin, die mit ihrer wundervollen Sopranstimme das Publikum begeistert. Zahlreiche CDs entstanden.

Als Koloratursopranistin sang sie all die klassischen Partien, doch schon früh entwickelte Katia Guedes eine Leidenschaft für eine ganz bestimmte Musikrichtung: Die „Neue Musik“. Wodurch zeichnet sich diese aus? Die Epoche der Moderne wird in der Musik auch als „Neue Musik“, „Zeitgenössische Musik“ oder „Musik der Gegenwart“ bezeichnet. Der Begriff „Neue Musik“ hat sich durchgesetzt und meint die unterschiedlichen musikalischen Stilrichtungen von 1950 bis zur Gegenwart. Tonalität, Dur- und Molltonarten werden in der Atonalität der Neuen Musik entwertet. Die zeitgenössische Musik hat Teil am Wesen ihrer Epoche. Utopien, Dissonanz und Stilpluralismus sind wichtige Merkmale. Hauptvertreter sind die Komponisten der Wiener Schule: Arnold Schönberg, Anton Webern und Alban Berg. Aber auch Benjamin Britten, Karlheinz Stockhausen, John Cage und Pierre Boulez haben sich u. a. mit dieser Musikrichtung beschäftigt.

Seit sich die Künstlerin der Neuen Musik verschrieben hat, entwickelt sie entsprechende Kompositionen und bringt diese, oft mit anderen Künstlerinnen und Künstlern gemeinsam, auf die Bühne. Ganz nach eigenem musikalischem Geschmack und subjektiven Vorstellungen kann man seiner Kreativität freien Lauf lassen und eine interessante Reise in die Welt der Musik starten. Ähnlich wie beim Jazz gibt es bei den Konzerten keine Absprachen. Ein Musiker beginnt, der andere reagiert. Man muss sich aufeinander einlassen, ein Gespür für Harmonie haben. Das ist immer eine Herausforderung. Dabei schöpft Katia Guedes aus ihrem weit gefächerten Wissen und dem vielfältigen musikalischen Können.

So hat sie zusammen mit der Berliner Komponistin und Pianistin Susanne Stelzenbach, die sie bereits 1993 kennenlernte, im Laufe der Jahre ca. acht Projekte erarbeitet und durchgeführt u. a. im brandenburgischen Rheinsberg, in Portugal und Estland. In Brasilien kommt im nächsten Jahr eine neue CD heraus. Aber auch die Arbeit mit Kindern macht ihr Spaß. Das Schulprojekt „Komponieren in der Schule“ war etwas Besonderes und begeisterte Kinder, Lehrer und Eltern. Als Künstlerin ist Katia Guedes international gut vernetzt, dabei sind ihre Sprachkenntnisse von Vorteil. Neben ihrer Muttersprache Portugiesisch spricht sie auch Deutsch, Spanisch, Französisch, Italienisch und Englisch. Wenn ihr neben den Konzerten und Projekten Zeit bleibt, widmet sie sich ihren Buchprojekten. Sie möchte eigene Gedichte veröffentlichen und schreibt an einem Sachbuch zur Gesangstechnik.

Die gebürtige Brasilianerin lebt seit mehreren Jahren in Hellersdorf und bereichert die Kulturszene im Bezirk. Schon mehrmals war sie zusammen mit Susanne Stelzenbach zu Gast in der "Pyramide". Derzeit ist Katia Guedes bei ihrer Familie in Brasilien. Im Oktober wird sie in Salzburg auf der Bühne stehen.