Natacha Wolters - Die fantastische Welt der Perlen

Dagmar Steinborn

Perlen haben eine lange Geschichte. Die Menschen trugen sie bereits vor Jahrtausenden als Schutz vor bösen Geistern, als Talisman oder später im Christentum u. a. als Rosenkranz; sogar im Tauschhandel wurden sie eingesetzt. Die verschiedenen Materialien wie etwa Muscheln, Steine, Perlen aus Straußeneiern oder Mammut- und anderen Tierzähnen wurden bearbeitet, poliert, graviert, ziseliert und durchbohrt, um sie auffädeln zu können. Heute sind Perlen ein vielseitiger und individueller Schmuck. Sie gibt es in allen erdenklichen Formen, Farben, Größen und Materialien. Zusammen mit Strass, Pailletten und Stiften lassen sie Stickereien prächtig wirken und geben jedem Gewand eine edle Note. Perlenstickerei wird gern für Kleider und Accessoires der Haute Couture verwendet. Und noch immer geht ein besonderer Zauber von diesem Kunsthandwerk aus!

Dem Zauber der Perlen ist auch Natacha Wolters erlegen. Sie ist eine wahre Meisterin der Perlenstickerei. Doch nicht nur das Handwerk beherrscht sie perfekt, sie hat sich auch ein beeindruckendes Wissen auf dem gesamten Gebiet der Perlenarbeiten angeeignet. Im Verlauf ihrer Reisen, auf denen sie ihren Ehemann bei Ausgrabungen begleitete, vertiefte sich die Künstlerin in Geschichte und Kultur des jeweiligen Landes. Seit Jahrzehnten forscht sie dazu. So besuchte sie mehrmals Afghanistan, Tunesien, den Libanon und die Türkei. Weitere Reiseziele: die Elfenbeinküste und verschiedene Länder Europas. Sie studierte dort die alten textilen Handwerkstechniken, also die Volkskunst. Natacha Wolters schreibt Bücher und hält Vorträge – weltweit. Ihre Sprachkenntnisse in Französisch, Deutsch, Russisch, Englisch sowie Griechisch erweisen sich als Vorteil bei ihren Verbindungen zu Museen und Archiven in ganz Europa.

Ihre herausragenden Kenntnisse über Perlen und Gewebe, ihre Kreationen – von Miniaturwerken bis hin zu großen Arbeiten, sowohl zwei- als auch dreidimensional – zeigen die Komplexität ihres Könnens. So entwickelte sie alte Techniken weiter, wie beim Stricken mit Perlen oder sie erfand neue Gestaltungsmöglichkeiten. Immer haben ihre Arbeiten ein individuelles Aussehen, bezaubern durch ihre Zartheit und ihre ästhetische Gestaltung, denn dafür hat Natacha Wolters ein besonderes Gespür.

Ihre Kunstwerke befinden sich u.a. in dem renommierten "Corning Museum of Glass" in New York. Eine der bei ihr angekauften Kreationen ist das einzigartige Collier „Sommer“, gefertigt aus vierzehntausend winzigen Perlen. Natacha Wolters erzählt: „Jede Perle muss akribisch aufgereiht werden – Perle für Perle. Oftmals muss man mit der Lupe arbeiten, so winzig sind die Perlen!“ 

Natacha wurde in Paris in eine gebildete Künstlerfamilie mit russischen Wurzeln hineingeboren. Von klein auf war sie umgeben von Menschen, die wussten, „wie man Dinge schön macht“. Das hat sie geprägt. Bereits als Dreijährige konnte sie stricken, früh lesen und zeichnen; mit acht Jahren erlernte sie die Weißstickerei. Sie kann sich noch genau an die Zeit erinnern, als sie mit ihrer Familie in den südfranzösischen Cevennen auf dem Land die Kriegsjahre verbrachte. Die Bauern, bei denen die Familie lebte, betrieben einen recht einträglichen Nebenerwerb: sie züchteten Seidenraupen. „Das Schmatzen der Seidenraupen beim Verzehr der Maulbeerblätter höre ich noch heute!“, erzählt sie lächelnd. Immer wieder hat sie mit diesem vielseitigen, wunderbaren Material gearbeitet. Später malte sie auf Seide, entwarf Stoffmuster und fertigte Wandbehänge. 

Nach dem Abitur studierte Natacha zunächst Medizin, wechselte aber bald das Studienfach und wurde Psychologin. Doch ihre Liebe galt weiterhin der Textilgestaltung. Besonders die Perlen mit ihren vielfältigen Möglichkeiten faszinieren und inspirieren die bescheidene Künstlerin seit jeher. Sie arbeitete für das Modemagazin VOGUE, entwickelte zeitgleich eine eigene Modelinie. In einem kleinen Ort nahe Paris eröffnete sie schließlich ihre erste Werkstatt.

Mitte der 1970er Jahre lernte sie in ihrer Heimatstadt Paris ihren späteren Ehemann Dr. Christof Wolters kennen, der perfekt Französisch sprach. Ihm folgte sie 1984 nach Berlin – ohne ein Wort Deutsch zu können! Heute spricht sie sehr gut Deutsch, natürlich mit einem leicht französischen Akzent.

In Berlin-Lichtenberg hat das Paar ein altes Haus erworben und aufwändig, mit viel Liebe zum Detail hergerichtet. Hier in der Türrschmidtstraße 12 befindet sich seit 2004 die Galerie in der Victoriastadt. Dr. Wolters, der sich in der Bürgerinitiative Kaskelkiez engagierte, wollte an diesem Ort die Vielfalt der textilen Künste präsentieren sowie den Meistern ihres Fachs eine Plattform bieten.

Mit dem Namen Wolters verbinden Insider immer die TEXTILE ART BERLIN (TAB). „Es war die Idee meines Mannes, in Berlin eine internationale Messe der Textilkunst zu etablieren“, sagt Natasha Wolters. Heute ist die im Juni stattfindende „TEXTILE ART BERLIN“, wie sie schon lange heißt, ein ersehnter Termin für alle an zeitgenössischer Textilkunst interessierten Menschen aus ganz Deutschland und dem Ausland. Wie schon in den vergangenen Jahren verbindet die 16. TEXTILE ART BERLIN in diesem Jahr handwerkliche und bodenständige Textilkunst aus vielen Nationen. Künstlerische Kreativität, anspruchsvolle Modedesigns und exzellente Textilfabrikation aus Europa, Afrika und Asien werden präsentiert. Die Organisation dieses einzigartigen Forums bewältigt Natacha Wolters seit dem Tod ihres Mannes zusammen mit ihrem Team. Erstmals findet die TEXTILE ART BERLIN wegen der Pandemie nicht wie gewohnt auf dem PHORMS Campus in Berlin-Mitte statt. Vom 19. bis 21. Juni 2021 kann man die TAB online besuchen! www.textile-art-berlin.de.

In enger Zusammenarbeit mit dem Museum für Europäische Kulturen in Berlin Dahlem leitet sie dort regelmäßig Workshops. Täglich arbeitet sie in ihrem Atelier, kreiert, restauriert hin und wieder alten Schmuck und weiht Interessierte in die Kunst der Perlenstickerei ein.

Derzeit arbeitet die vielbeschäftigte Künstlerin an einem neuen Fachbuch. Die Reduzierung von Müll bzw. die Aufarbeitung textiler Materialien beschäftigt sie sehr. „UPCYCLING“ ist der Begriff dafür, also aus Altem entsteht Neues. „Raus aus dem Reichtum. Man kann gute und schöne Sachen machen, nicht nur Patchwork. Direkt beim Arbeiten entwickeln sich neue Ideen.“ Das jeweilige Stück erfährt eine stoffliche Aufwertung, wird zum Unikat und bekommt ein neues Leben. Dass wahre Kunstwerke entstehen können, zeigt, beschreibt und erklärt die Autorin in ihrem Buch ausführlich.