Bruno Schulz - Mariusz Kubielas - In Transitu

Christine Balbach / Lidia Głuchowska

„Umbrüche und Utopien. Das andere Europa“ ist das Thema des 6. Europäischen Monats der Fotografie Berlin (MdF) im Oktober/November 2014. Deutschlands größtes Fotofestival hat nationale und internationale Fotografinnen und Fotografen aufgerufen, sich unter historischen und zeitgenössischen Aspekten diesem Thema zu widmen. Die Fotogalerie Friedrichshain präsentiert in diesem Rahmen den Fotozyklus „Bruno Schulz – Mariusz Kubielas – In Transitu“ des polnischen Fotografen Mariusz Kubielas, geboren 1953 in Zywiec, Polen.

Das einzigartige kreative Experiment von Mariusz Kubielas, inspiriert vom literarischen und bildkünstlerischen Werk des polnisch-jüdischen Künstlers Bruno Schulz, wurde 2004 ins Leben gerufen. Zusammen mit einer Gruppe von Models und Schauspieler/innen begann Kubielas, Schulz‘ Werk mittels Performance und Pantomime zu inszenieren. Die theatralischen und surrealistischen Momente wurden anschließend fotografisch eingefangen. Die Bilder halten einerseits Visionen der heute nicht mehr als solche existierenden polnisch-jüdischen Realität der Stadt Drohobytsch (heute der Westukraine zugehörig) fest, andererseits spiegeln sie Emotionen und gruppendynamische Prozesse wider, die sich während des mehrtägigen Herstellungsprozesses ergeben haben. Die eindringlichen Schwarzweißaufnahmen wurden ohne Anwendung digitaler Bildbearbeitung realisiert.

Dieses transmediale Fotoprojekt – ergänzt durch Auszüge aus Schulz‘ Prosa und metaphorische Titel – erinnert thematisch an eine vergessene osteuropäische Kultur zwischen den Kriegen und regt die Intensivierung des internationalen und generationsübergreifenden Diskurses über die Vergangenheit und Zukunft des multikulturellen und multikonfessionellen Erbes des Alten Kontinents an. Die besondere Magie der Fotografien wird u. a. durch den „Effekt der Einladung ins Bild“ erzeugt. Das große Format der Abzüge sowie die Fotofolge, realisiert in der alten Synagoge in Drohobytsch von Jirij Gaschtschak, verstärkt den Eindruck, man würde sich selbst innerhalb der poetisch evozierten Räume befinden.

Für die Kenner noch beeindruckender ist sicherlich das „Kabinett der historischen Fototechniken“, welches ca. 20 Aufnahmen umfasst. Wie kaum einem zeitgenössischen Fotografen ist es Kubielas gelungen, sieben im 19. Jahrhundert verwendete Techniken und deren Varianten zu rekonstruieren und damit Effekte von genauester Wiedergabe der Wirklichkeit sowie schärfster Licht-Schatten-Kontraste zu erreichen.Mariusz Kubielas begann sein Abenteuer mit Lichtbildern lange bevor er sein Studium an der Hochschule für Fotografie in Jelenia Góra (Hirschberg) sowie an der Künstlerischen Fakultät der Universität Zielona Góra (Grünberg) absolvierte. Seit 2004 ist er Mitglied einer Gruppe von Liebhabern alter Fototechniken und widmet sich deren Wiederbelebung. Weiter wirkt er im internationalen Kontext als Leiter und Mitarbeiter bei etlichen Fotowerkstätten, hält Vorträge und verfasst Fachtexte zur Fotografie. In seiner Praxis befasst er sich häufig mit Themen aus dem Grenzbereich der bildenden Kunst und der Literatur. Sein besonderes Interesse gilt dem visuellen und prosaischen Werk des galizischen Wort- und Bildkünstlers Bruno Schulz, der, bevor er von den Nazi-Besatzern ermordet wurde, ein originelles Idiom des Surrealismus und Expressionismus geschaffen hat. Heute wird er grenzübergreifend als Vorläufer von Fantasy gefeiert. Die neueste deutsche Übersetzung seiner Erzählungen „Das Sanatorium zur Sanduhr“ und „Die Zimtläden“ von Doreen Daume wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

Die Ausstellungspremiere des „Kabinetts historischer Techniken“ von Mariusz Kubielas in der Berliner Fotogalerie Friedrichshain gehört zweifelsohne zu einer der größten Attraktionen des Monats der Fotografie 2014 sowie des Berliner Kunst- und Kulturfestivals „Kunstkreuz“. Die vorangegangene Ausstellungsreihe „Bei Schulz“ wurde mit großem Erfolg 2013/14 in Wrocław (Breslau) im Niederschlesischen Zentrum für Fotografie, in der Synagoge Zum Weißen Storch, in der Galerie Mitte Dresden sowie im Rahmen des Festivals Kulturbrücke in Lvov (Lemberg) und des Bruno-Schulz-Festivals in Drohobytsch vorgestellt. In Kürze wird sie auch in Belgrad, Brüssel, Helsinki, Bratislava und Prag präsentiert.

Diese magische Ausstellung, die Grenzen zwischen Raum und Zeit vergessen lässt, wird von einem polnisch-englischen Fotoband mit Kommentaren begleitet, wodurch die komplexen historischen Kontexte verständlicher und die unvergesslichen Eindrücke vertieft werden.

Begleitpublikation:

Bruno Schulz-Klisza Werk-Transgressiones, Hg. Lidia Głuchowska, Wrocław: OKIS: Zentrum für Kultur- und Kunst (Ośrodek Kultury i Sztuki we Wrocławiu), 2013 (in Englisch und Polnisch)

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