Frauenpersönlichkeiten in Berlin-Mitte

Matthias Kehl

In dem rasanten Roman „Der Herr Direktor“ von 1928 wird das Großstadtgefühl Berlins der 20-er Jahre beispielsweise mit einem Treffen beim Sechstagerennen festgehalten. Berends Romane sind meist im kleinbürgerlichen Milieu Berlins angesiedelt. Kritiker heben ihre detailgetreue, realistische Schilderung der kleinen Leute, wie Dienstmädchen, Krämer, Schuster, Portiersfrauen, hervor. Einig sind sie sich darüber, dass Alice Berend als Humoristin eine Sonderstellung einnimmt. In einer Rezension über „Der Glückspilz“ von 1919 hieß es: „Soweit das Auge reicht, die einzige Frau mit Humor.“ Darüber hinaus waren Berends pointenreiche, ironische Romane auch Publikumserfolge.

Soweit ein Ausschnitt aus der Biografie der Schriftstellerin Alice Berend, der vollständige Text ist auf der Projektseite „Frauenpersönlichkeiten in Berlin-Mitte“ von Kulturring in Berlin e.V. zu finden. Angesichts dessen, was diese wenigen Sätze hervorheben – dass die Romane einen kurzweiligen Einblick geben in den Alltag kleiner Leute während der „Goldenen Zwanziger Jahre“, in welchen sich die Stadt auch heute gerne spiegelt – mag es verwundern, dass deren Autorin nach ihrem Tode schnell vergessen wurde. Auf einige Gründe dafür wird in der Biografie verwiesen; immerhin erinnert in Berlin-Mitte ein Straßenname an sie. Jedem Passanten wird dadurch ihre Wiederentdeckung möglich.

Die ersten Frauen, welche auf Namensschildern von Stadtteilen, Kirchen, Gassen und Straßen in Erscheinung traten, kamen aus den herrschenden Adelshäusern und waren demzufolge Kurfürstinnen, Prinzessinnen, Königinnen oder Kaiserinnen – denken wir beispielsweise an die Sophienstraße oder an die Kaiserin-Augusta-Allee. Ihre Namen standen weniger für ihre Trägerinnen, sondern vor allem für die von Männern dominierten Herrschaften. Es kann nicht verwundern, dass sich gerade in der Mitte von Berlin (neben anderen Stadtteilen) derartige Namen häufen.

Im 20. Jahrhundert waren es insbesondere zwei historische Umbrüche, in deren Folge Straßenumbenennungen auch im Sinne eines größeren Frauenanteils möglich gewesen wären: einmal nach 1945, zum anderen nach 1989. Zwischen 1945 und 1989 wurden lediglich vier Straßen „weiblich umbenannt“: im Ostteil des heutigen Bezirkes Mitte waren es Rosa Luxemburg (1969) und Sophie Scholl (1949), im Westteil Louise Schroeder (1958), die einzige weibliche Bürgermeisterin Berlins, und die Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus Ottilie Pohl (1947), denen auf diese Weise öffentliche Ehrung zuteil wurde. Die selbstbewussten Anfänge der Frauenbewegung in der Kaiserzeit und Weimarer Republik waren vermutlich in Folge des nationalsozialistischen Frauenbildes und in der Not der unmittelbaren Nachkriegszeit in den Hintergrund gedrängt worden oder gar in Vergessenheit geraten und wurden in der Adenauerzeit wegen deren restaurativer Tendenzen nicht wieder aufgenommen.

Der Fall der Mauer eröffnete eine neue Chance, Straßen nach Frauen zu benennen. Zuletzt gaben insbesondere neu entstehende Straßen um den Hauptbahnhof, der Umbau am Nordbahnhof sowie der Bau des Holocaust-Mahnmals dazu Gelegenheit. Nicht alle sind einer breiten Öffentlichkeit geläufig: Wie bekannt sind beispielsweise Dorothea Schlegel oder Margarete Steffin? Die eine war die Tochter des Philosophen und Aufklärers Moses Mendelssohn, die andere Mitarbeiterin und Geliebte von Bertolt Brecht.

Auf der Internetseite „Frauenpersönlichkeiten in Berlin-Mitte“ ist dies alles und noch viel mehr nachzulesen: Neben Frauenstraßennamen werden auch Biografien bedeutender Frauen festgehalten, die schon wegen ihrer Vielzahl nicht alle im öffentlichen Raum zugegen sein können. Ob es sich nun um die ersten zugelassenen Ärztinnen, um Richterinnen, Historikerinnen, Künstlerinnen oder um Kämpferinnen für die Rechte der Frauen handelt. Frauen haben in der Großstadt Berlin schon immer eine eigene Rolle gespielt, sei es dass sie aus ihrem scheinbar eng begrenzten Wirkungs- und Lebenskreis eindrücklich hervortraten, sei es dass sie über Region und Land hinaus „Geschichte gemacht“ haben. Beispielhaft genannt seien eine Anzahl von Ärztinnen, die in der Schweiz ihr Medizinstudium absolvieren mussten, da Frauen als Gasthörerinnen in Preußen erst ab 1896 zugelassen waren. Später praktizierten diese Medizinerinnen in Berlin, zum Teil eigens für Patientinnen (Franziska Tiburtius, Emilie Lehmus, Amelie Clara Minna Mathilde Du Vinage-von Skopnik und weitere). Andere Biografien zeigen, dass es in den Wissenschaften kein spezifisch weibliches Tätigkeitsfeld gibt (beispielsweise die Bildhauerin, Biologin und Psychologin Mathilde Carmen Hertz, die Kernphysikerin Lise Meitner, die Meereskundlerin Lotte Möller). Der Kulturring in Berlin e. V. wird den aktuellen Stand der Recherche auch in weiteren Kategorien und Bezirken abbilden und würdigen.

Dass die Tätigkeitsorte herausragender Frauen sich nicht auf Schreibtisch und Büro beschränkten, soll zum Schluss ein Blick auf die Biografie von Margarete von Etzdorf zeigen; so abenteuerlich, wie es die folgenden Sätze ausdrücken, so spektakulär war auch ihr Leben davor und danach.

Für ihren nächsten Flug nach Istanbul im gleichen Jahr lässt Marga Zusatztanks für längere Flugstrecken einbauen und startet am 14. November 1930 zu einen Flug von Berlin über Basel, Lyon, Madrid, Rabat auf die Kanarischen Inseln, wo sie am 6. Dezember eintrifft und mit Begeisterung empfangen wird. Beim Rückflug muss sie wegen schlechten Wetters auf Sizilien notlanden. Die Maschine wird dabei beschädigt, und Ersatzteile sind nicht zu beschaffen. Marga muss das Flugzeug mit der Eisenbahn in das Junkers-Werk Dessau zurückbringen lassen. Am 18. August 1931, zweieinhalb Wochen nach ihrem 24. Geburtstag, hebt sie in Berlin zu ihrem ersten spektakulären Interkontinentalflug nach Tokio ab.

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